Brüssel/Straßburg. Im Juli konstituiert sich das neue EU-Parlament. Dabei ziehen einige schrille Außenseiter und auch Quereinsteiger ein. Ein Überblick.

Die Abgeordneten stehen schon in den Startlöchern: Nach der Europawahl Ende Mai konstituiert sich in der ersten Juliwoche endlich das neugewählte EU-Parlament. Die erste Sitzung der 751 Abgeordneten dürfte spannend werden – in der europäischen Volksvertretung nehmen auch schrille Außenseiter, prominente Quereinsteiger und bunte Polit-Vögel Platz. Einige sind alte Bekannte, andere kommen neu hinzu. Ein Überblick.

Heinz-Christian Strache: Wegen der Ibiza-Affäre ist der 49-Jährige in seinem Heimatland Österreich gerade erst als Vizekanzler und Vorsitzender der rechten Partei FPÖ zurückgetreten. Aber schon feiert Heinz-Christian Strache als Europaabgeordneter sein politisches Comeback. Eigentlich hatte der FPÖ-Chef nur symbolisch auf dem letzten Listenplatz zur Europawahl kandidiert, doch eine Besonderheit des österreichischen Wahlsystems verhalf ihm zum Erfolg: Seine Anhänger gaben ihm wenige Tage nach seinem Absturz so viele Vorzugsstimmen, dass er ganz nach vorn auf der Liste rückte und nun Anspruch auf eines der FPÖ-Mandate hat. Im Parlament trifft er alte Freunde – Rechtspopulisten aus Italien, Ungarn und Deutschland, mit denen er zusammen in der rechten ENF-Fraktion sitzen wird.

Nigel Farage: Der 55-jährige Brexit-Vorkämpfer sitzt schon seit vielen Jahren im EU-Parlament, Ende März hätte mit dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens Schluss sein sollen. Doch der Brexit ist verschoben und Nigel Farage dadurch wieder mit von der Partie – und fühlt sich im verhassten EU-Parlament so stark wie nie. Seine neue Brexit-Partei war Wahlsieger in Großbritannien, gleich 29 Abgeordnete gehören zur EU-feindlichen Farage-Truppe, deren Aufmarsch im Parlament mit einigem Bangen entgegengesehen wird. Farage wird wohl tun, was er immer tat: Polarisieren und provozieren, immer gegen das „Establishment“ in der EU und die „nutzlose“ Kommission, mit selbstbewusstem Grinsen und bei öffentlichen Auftritten bevorzugt mit einem großen Bier in der Hand. Der rechtspopulistischen ENF-Fraktion wird sich Farages Brexit-Partei nicht anschließen, voraussichtlich geht er ein Bündnis unter anderem mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung ein.

Silvio Berlusconi.
Silvio Berlusconi. © Reuters | MASSIMO PINCA

Silvio Berlusconi: Er ist zurück im EU-Parlament – und wieder auf der großen Bühne. Der skandalumwitterte frühere italienische Regierungschef Silvio Berlusconi hatte 2013 wegen Steuerbetrugs ein sechsjähriges Ämterverbot erhalten, das aber 2018 von einem Gericht „wegen guter Führung“ vorzeitig aufgehoben wurde. Rechtzeitig, damit der Chef der konservativen Forza Italia für das Europaparlament kandidieren konnte. Dort wird er der christdemokratischen EVP-Fraktion angehören. Der 82-Jährige hat angeblich Großes vor: Er habe sich zur Kandidatur entschlossen, weil Europa „eine tiefgreifende Vision für die Welt“ fehle, erklärt Berlusconi. In Wahrheit hat sich der schwerreiche Medienunternehmer seit 1994 viermal ins EU-Parlament wählen lassen, aber dreimal das Mandat dann lieber an nachrückende Parteikollegen abgetreten. Nur einmal, um die Jahrtausendwende, saß er tatsächlich für zwei Jahre im EU-Parlament. Wie lange Berlusconi diesmal durchhält, ist ungewiss.

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    Carles Puigdemont: Der ehemalige Regionalpräsident Kataloniens sorgt auch im EU-Parlament gleich für das ganz große Drama. Carles Puigdemont (56) lebt derzeit im belgischen Exil; in Spanien liegt ein Haftbefehl gegen ihn wegen Rebellion vor. Dennoch oder gerade deshalb stimmten knapp fünf Prozent der spanischen Wähler für seine Liste „Freie für Europa“. Als Mitglied des EU-Parlaments bekäme Puigdemont Immunität, er wäre also vor Strafverfolgung geschützt. Das Problem: Vorher müsste er seine Ernennungsurkunde in Madrid abholen und einen Eid auf die spanische Verfassung leisten, das ist Vorschrift für alle spanischen Europaabgeordneten. Sehr wahrscheinlich würde ihn die spanische Justiz bei dieser Gelegenheit festnehmen. Was in den nächsten Wochen passiert und ob Puigdemonat Parlamentsmitglied wird, ist unklar: Ins EU-Parlament durfte Puigdemont jedenfalls erstmal nicht – eine vorläufige Akkreditierung wurde ihm versagt.

    Martin Sonneborn.
    Martin Sonneborn. © dpa | Wolfgang Kumm

    Martin Sonneborn: Der Vorsitzende der deutschen Satire-Partei „Die Partei“ hat bei der Wahl nicht nur sein Mandat verteidigt, sondern sogar noch Verstärkung bekommen: „Die Partei“ schickt mit dem Hamburger Kabarettisten Nico Semsrott gleich noch einen zweiten Abgeordneten ins Parlament. Leichter wird es für den 53-jährigen Sonneborn damit allerdings nicht. Denn sein umstrittener, überwiegend destruktiver Politik-Stil wird jetzt auch von innen heraus in Frage gestellt: Während Sonneborn als fraktionsloser Abgeordneter die „skurrilen und unseriösen Seiten“ des Parlaments ausleuchten will und es lustig findet, bei Abstimmungen im steten Wechsel mit Ja oder Nein zu votieren, hat sich sein neuer Kollege offenbar zu seriöserer Arbeit entschlossen: Der 33-jährige Semsrott, bekannt vor allem aus dem Team der Fernsehsendung „heute-show“, hat sich im Parlament umgehend der Grünen-Fraktion angeschlossen. Sonneborn dagegen will als Einzelgänger weitermachen.

    Sarah Wiener: Die Fernsehköchin, Autorin und Gastro-Unternehmerin hat für die österreichischen Grünen kandidiert. Eigentlich waren Sarah Wieners Chancen trotz Listenplatz zwei gar nicht so gut. Am Ende reichte es doch für ein Mandat. Im Parlament will sich die 56-Jährige nun „reinwerfen in den Politbetrieb“, vor allem in der Agrarpolitik mitmischen und großen Lebensmittelkonzernen das Leben schwerer machen.

    Ilie Năstase: Der Rumäne wurde in den 70er-Jahren als Nummer eins der Tennis-Weltrangliste berühmt, gewann 58 Einzeltitel. In den vergangenen Jahren machte der 72-jährige Ilie Năstase vor allem Schlagzeilen wegen seines als „dynamisch“ beschriebenen Liebeslebens nach vier beendeten Ehen, 2018 wurde er nach einem Handgemenge mit der Polizei in Handschellen abgeführt. Nun sitzt Năstase erstmals im EU-Parlament, als Kandidat der kleinen Partei Nationalunion für den Fortschritt Rumäniens, einer Abspaltung von den Sozialdemokraten.