Berlin. Deutschland will durchsetzen, dass sexuelle Gewalt in Kriegen schärfer geahndet wird. Wichtige Initiative, aber es gibt Gegenwind.

Kleine Mädchen werden vergewaltigt, noch bevor ihre Körper Geschlechtsreife erlangt haben. Jungen werden mit vorgehaltenem Maschinengewehr dazu gezwungen, ihre Mütter und Schwestern zu missbrauchen. Frauen werden mit Flaschen, Holzstöcken und Messern vergewaltigt, um möglichst verheerende Verletzungen zu hinterlassen. Selbst Kleinstkinder werden aus ihren Familien gerissen und misshandelt.

Denis Mukwege hat über Jahre Tausende Frauen behandelt, die Opfer solcher Einsätze sexueller Gewalt als Kriegswaffe wurden. Am Dienstag saß der kongolesische Gynäkologe im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen in New York, dem Sicherheitsrat, um einmal mehr argumentativ den Boden dafür zu bereiten, dass die Völkergemeinschaft endlich mehr tut gegen das, was er „genitalen Terrorismus“ nennt.

Gemeinsam mit der 2018 ebenfalls mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Jesidin Nadia Murad, die von IS-Dschihadisten missbraucht worden war, bildete Mukwege die Speerspitze eines Vorstoßes, mit dem Deutschland, das just den Vorsitz im Sicherheitsrat führt, einen konstruktiven Fußabdruck im UN-Geschehen hinterlassen will.

Hintergrund: Maas und Jolie: „Sexuelle Gewalt ist Terrortaktik weltweit“

Vergewaltigung soll als justiziables Kriegsverbrechen gelten

Eine neue Resolution sollte Tiefenschärfe in das bringen, was die Vereinten Nationen bereits vor mehr als zehn Jahren offiziell konstatierten: dass es sich bei Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt um „justiziable Kriegsverbrechen“ handelt. Die begangen werden vor allem, „um Frauen und Mädchen zu erniedrigen, verängstigen und dominieren, und sie aus ihrer familiären oder ethnischen Gemeinschaft zu verstoßen“, wie es in der damaligen Resolution 1820 heißt.

Seither hat die Zahl der Gräueltaten nicht abgenommen. Unaussprechliches aus dem Sudan, Jemen, Syrien oder zuletzt aus Myanmar, wo Frauen des verfolgten Rohingya-Volkes geschändet wurden, erinnert augenfällig an ältere Schreckenskapitel aus dem Bosnien-Krieg, wo muslimische Frauen die Kinder ihrer serbischen Vergewaltiger zur Welt brachten. Oder an Ruanda, wo Huti-Krieger Frauen des Tutsi-Volkes mit HIV ansteckten.

Eindrücke aus einem Rohingya-Lager

Tausende Rohingya, eine muslimische Minderheit, flüchten aus Myanmar nach Bangladesch. Dort leben sie in Flüchtlingscamps. Die Lager sind in den Wäldern spontan entstanden. Die Äste und Baumstämme nutzen die Rohingya als Feuerholz.
Tausende Rohingya, eine muslimische Minderheit, flüchten aus Myanmar nach Bangladesch. Dort leben sie in Flüchtlingscamps. Die Lager sind in den Wäldern spontan entstanden. Die Äste und Baumstämme nutzen die Rohingya als Feuerholz. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Wände der Hütten sind dünn – nachts aber kann die Temperatur gerade im Januar bis zu 2 bis 5 Grad betragen. In diesem Jahr war es in Bangladesch so kalt wie seit 50 Jahren nicht.
Die Wände der Hütten sind dünn – nachts aber kann die Temperatur gerade im Januar bis zu 2 bis 5 Grad betragen. In diesem Jahr war es in Bangladesch so kalt wie seit 50 Jahren nicht. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Zelte der Rohingya sind in einer Reihe aufgebaut, haben alle die gleiche Größe und auf den Dächern liegen zum Teil Solarpanele, damit die Bewohner ihre Mobiltelefone aufladen können.
Die Zelte der Rohingya sind in einer Reihe aufgebaut, haben alle die gleiche Größe und auf den Dächern liegen zum Teil Solarpanele, damit die Bewohner ihre Mobiltelefone aufladen können. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Rohingya Arkam (25) vor seiner Familien-Hütte. Sie leben zu siebt auf rund 16 Quadratmetern. Er kann sich vorstellen, bald heimzukehren.
Der Rohingya Arkam (25) vor seiner Familien-Hütte. Sie leben zu siebt auf rund 16 Quadratmetern. Er kann sich vorstellen, bald heimzukehren. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Kinder sind in den Camps am sichtbarsten. Sie grüßen auf Englisch und machen jeden Spaß mit. Doch auch sie haben häufig Traumata auf der Flucht durchlebt.
Die Kinder sind in den Camps am sichtbarsten. Sie grüßen auf Englisch und machen jeden Spaß mit. Doch auch sie haben häufig Traumata auf der Flucht durchlebt. © Sören Kittel | Sören Kittel
Rund die Hälfte der geflüchteten Rohingya sind Kinder, das schätzt das Kinderhilfswerk Unicef.
Rund die Hälfte der geflüchteten Rohingya sind Kinder, das schätzt das Kinderhilfswerk Unicef. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Tag ist für viele Rohingya damit ausgefüllt, für Hilfsgüter anzustehen. Auch Kinder helfen häufig dabei, kleinere Arbeiten für die Familien zu erledigen. Schulen gibt es nicht.
Der Tag ist für viele Rohingya damit ausgefüllt, für Hilfsgüter anzustehen. Auch Kinder helfen häufig dabei, kleinere Arbeiten für die Familien zu erledigen. Schulen gibt es nicht. © Sören Kittel | Sören Kittel
Rohingya-Kinder bei der Ausgabe von Hilfsgütern in einer Hütte. Mehr als 5000 von ihnen sind zum Teil schwer unterernährt.
Rohingya-Kinder bei der Ausgabe von Hilfsgütern in einer Hütte. Mehr als 5000 von ihnen sind zum Teil schwer unterernährt. © Sören Kittel | Sören Kittel
Soviel, dass sie es kaum tragen können: Eine Ration von „Aktion gegen den Hunger“ enthält ein Moskitonetz, zwei Plastikplanen, ein Hygieneset und ein Seil.
Soviel, dass sie es kaum tragen können: Eine Ration von „Aktion gegen den Hunger“ enthält ein Moskitonetz, zwei Plastikplanen, ein Hygieneset und ein Seil. © Sören Kittel | Sören Kittel
Diese junge Frau ist mit ihrem Kind in einer Klinik für mangelernährte Kinder aufgenommen worden. Auch die Mütter werden hier darin geschult, mit ihrem Kind wieder eine Beziehung aufzubauen
Diese junge Frau ist mit ihrem Kind in einer Klinik für mangelernährte Kinder aufgenommen worden. Auch die Mütter werden hier darin geschult, mit ihrem Kind wieder eine Beziehung aufzubauen © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Arzt Jubayer Mumin (33) ist Bangladescher und arbeitet in einem Krankenhaus für unterernährte Kinder. „Wir haben vor allem mit Krankheiten zu kämpfen, die als Folgen der Flucht entstanden sind: Durchfall und Lungenentzündungen.“
Der Arzt Jubayer Mumin (33) ist Bangladescher und arbeitet in einem Krankenhaus für unterernährte Kinder. „Wir haben vor allem mit Krankheiten zu kämpfen, die als Folgen der Flucht entstanden sind: Durchfall und Lungenentzündungen.“ © Sören Kittel | Sören Kittel
Zwei warme Mahlzeiten bekommen die Kinder der Rohingya, meist aus Reis, Zwiebeln und etwas Gemüse. Unterernährte Kinder werden bevorzugt behandelt.
Zwei warme Mahlzeiten bekommen die Kinder der Rohingya, meist aus Reis, Zwiebeln und etwas Gemüse. Unterernährte Kinder werden bevorzugt behandelt. © Sören Kittel | Sören Kittel
In „Child friendly Spaces“ können sich kleine Kinder tagsüber aufhalten. Sie funktionieren ganz ähnlich einem Kindergarten. Nur dass die Rohingya auch hier einen Raum haben, in dem traumatisierte Kinder behandelt werden.
In „Child friendly Spaces“ können sich kleine Kinder tagsüber aufhalten. Sie funktionieren ganz ähnlich einem Kindergarten. Nur dass die Rohingya auch hier einen Raum haben, in dem traumatisierte Kinder behandelt werden. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Alltag von Flüchtlingen in Kutupalong besteht vor allem aus häufigem Anstehen. Auf Listen werden die eingetragen, die bereits ein Hilfspaket bekommen haben.
Der Alltag von Flüchtlingen in Kutupalong besteht vor allem aus häufigem Anstehen. Auf Listen werden die eingetragen, die bereits ein Hilfspaket bekommen haben. © Sören Kittel | Sören Kittel
Das Holz wird den Rohingya zum Bauen der Hütten zur Verfügung gestellt. Doch viele Einheimische fragen inzwischen, warum die Rohingya so viel geschenkt bekommen, während sie weiter arm bleiben.
Das Holz wird den Rohingya zum Bauen der Hütten zur Verfügung gestellt. Doch viele Einheimische fragen inzwischen, warum die Rohingya so viel geschenkt bekommen, während sie weiter arm bleiben. © Sören Kittel | Sören Kittel
Es gibt auch immer wieder Geschäfte in den Lagern, meist von Bangladeschern betrieben, in denen die Rohingya Lebensmittel, Seife oder Mobiltelefone kaufen können. Ein einfaches Telefon kostet 1000 Taka (10 Euro).
Es gibt auch immer wieder Geschäfte in den Lagern, meist von Bangladeschern betrieben, in denen die Rohingya Lebensmittel, Seife oder Mobiltelefone kaufen können. Ein einfaches Telefon kostet 1000 Taka (10 Euro). © Sören Kittel | Sören Kittel
Shamima, 35, eine Rohingya aus Myanmar, die ihr Gesicht nicht zeigen will, aus Angst vor den burmesischen Militär und der „Heilsarmee“ der Rohingya. Ihr Bruder starb bei der Flucht aus Myanmar.
Shamima, 35, eine Rohingya aus Myanmar, die ihr Gesicht nicht zeigen will, aus Angst vor den burmesischen Militär und der „Heilsarmee“ der Rohingya. Ihr Bruder starb bei der Flucht aus Myanmar. © Sören Kittel | Sören Kittel
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Ernüchternde Gemeinsamkeit: Die Täter kamen und kommen meist ungeschoren davon. Obwohl die Traumatisierung und Stigmatisierung der Opfer das soziale Gefüge ganzer Gesellschaften auch dann noch schädigt, wenn die zugrundeliegenden Kriege längst Geschichte sind.

Kampf gegen sexuelle Kriegsgewalt hat keine Priorität

Den Vereinten Nationen wirksamere Werkzeuge an die Hand zu geben, um die weltweit verbreitete Straflosigkeit bei sexualisierter Gewalt im Zuge von Konflikten zu beenden, liegt also auf der Hand. Allein, die Realität sieht bitter aus.

Mit Amerika, China und Russland haben drei Veto-Mächte im Sicherheitsrat klargemacht, dass der Kampf gegen sexuelle Kriegsgewalt für sie keine sicherheitspolitische Priorität genießt. Eine der zentralen Forderungen der von Deutschland angeregten Resolution – die Einrichtung einer Beobachtungsstelle, die Übergriffe ermittelt und Täter identifiziert – wurde bereits vor der Sitzung am Dienstag wegverhandelt.

Initiative ist lobenswert, aber zum Verwässern verurteilt

Die USA, im Zeitalter Donald Trumps ohnehin kein Freund der Vereinten Nationen mehr, drohten außerdem mit Ablehnung, wenn nicht eine Sprachregelung entfernt wird, wonach Vergewaltigungsopfer umfassende Gesundheitsversorgung beanspruchen dürfen. Logisch zu Ende gedacht: auch das Recht auf Abtreibung.

Ein Thema, das die Regierung in Washington innen- wie außenpolitisch mit Rücksicht auf Trumps evangelikale Kern-Wählerschaft mit spitzen Fingern anfasst. Deutschlands Initiative, lobenswert und wichtig, war darum bereits vor dem Start zum Verwässern verurteilt.

(Dirk Hautkapp)