Berlin. Gesundheitsminister Jens Spahn und andere Politiker wollen die Organspende neu regeln. Zwei Meinungen zur Widerspruchslösung.

Pro: Organspende neu regeln – Es geht um das Leben von 10.000 Menschen

Dem ehrgeizigen CDU-Politiker Jens Spahn kann man sicher einiges vorwerfen – aber eines ganz sicher nicht: mangelnden Mut. Sein Gesetzentwurf für eine Neuregelung der Organspende ist eine höchst effektive und gleichzeitig unbequeme Antwort auf die Frage, wie die Anzahl der dringend notwendigen Organspenden in Deutschland erhöht werden kann.

Mit einer Widerspruchslösung gewinnt man sofort all diejenigen, die eine eigene Organspende im Prinzip befürworten, aber aus Bequemlichkeit oder Nachlässigkeit sich nie einen Ausweis besorgt haben. Unsere Nachbarn zeigen bereits, dass es so geht. In Frankreich, Österreich, Polen, Tschechien und den Niederlanden gibt es diese Lösung; sie funktioniert, und viele Menschenleben konnten gerettet werden.

Niemand muss für Organspende sein

Selbstverständlich muss niemand für das Spenden von Organen sein. Daher bliebe jedem bei der geplanten Neuregelung die Entscheidung überlassen. Aber wer behauptet, die bestehende Regelung reiche aus, geht in seiner Argumentation über Leichen.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin. © Dirk Bruniecki

Aber wann ist der passende Zeitpunkt, seine Haltung zu dokumentieren? Nicht schlecht ist die Idee, dies etwa bei der Ausgabe eines neuen Personalausweises zu tun. Das wäre ein amtlicher Akt und ließe sich rechtssicher dokumentieren.

Alle acht Stunden stirbt ein Patient, der auf der Warteliste steht

Ohne Not sterben bei uns jedes Jahr Männer, Frauen und Kinder, die mit einem Spenderorgan hätten gerettet werden können. Deutschland ist bei der Organspende eines der Schlusslichter Europas. 2017 fiel die Zahl der Spenden auf einen historischen Tiefstand. Alle acht Stunden stirbt laut Experten ein Patient auf der Warteliste, die 10.000 Namen umfasst.

Der Trend zur „Ich“-Gesellschaft hat leider auch in der Gesundheitsversorgung tiefe Spuren hinterlassen. Es ist die vornehmste Aufgabe von Politik, dies zu ändern. Jörg Quoos

Im TV: „Hart aber fair“ zeigt, was eine Organspende bewirken kann

Kontra: Ein solcher Eingriff muss immer freiwillig bleiben

Was ist das Wertvollste, was jeder Mensch besitzt? Sein Geist, sein Körper. Die Entscheidung darüber, was nach dem Tode mit den eigenen Organen geschieht, gehört zur unveräußerlichen Selbstbestimmung jedes Menschen. Das Grundgesetz schützt diese Unversehrtheit jedes Einzelnen. Ausgerechnet der Staat will sich nun das Recht sichern, Organe zu entnehmen, wenn der Einzelne nicht ausdrücklich widerspricht.

Heute kann man freiwillig entscheiden, ob und wenn ja, welche Organe man zu spenden bereit ist. Die Widerspruchslösung ändert das: Wer nicht ganz deutlich ausschließt, seine Organe zu spenden, gibt automatisch seine Einwilligung. Ist ein Schweigen wirklich ein Ja? Ein Zwang, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, Formulare auszufüllen – da geht der Staat entschieden zu weit.

An vielen Menschen gehen Aufklärungskampagnen vorbei

Kerstin Münstermann, Politik-Korrespondentin
Kerstin Münstermann, Politik-Korrespondentin © Reto Klar | Reto Klar

Viele Menschen in Deutschland haben, gewollt oder ungewollt, keinen Anteil am politischen Leben, an ihnen gehen solche Aufklärungskampagnen komplett vorbei. Die Organspende ist großartig, wenn man sich nach Abwägung aller Fakten dafür entschieden hat. Sie rettet Leben, mehr freiwillige Spender – gerne vom Staat besonders unterstützt – sind vonnöten. Im Übrigen auch Krankenhäuser und Ärzte, die die teuren und aufwendigen Transplantationen durchführen.

Die Spende von Organen allerdings ist ein Geschenk von einem Menschen an einen anderen. Das Größte, was man machen kann. Das muss es bleiben. Einen moralischen Druck aufzubauen ist unrecht. Wer in Deutschland Mails verschicken will, muss vorher eine Zustimmung einholen. Der Schutz der privaten Daten ist zunehmend heilig. Aber den Schutz der Unversehrtheit des Körpers will der Staat nun aufweichen?

Eine Pflicht für Mitmenschlichkeit kann man nicht verordnen. Der Staat kann sie fördern, etwa bei Behördengängen für die Spende werben. Wer spenden will, soll das tun. Unbedingt. Aber aus freiem Willen. Kerstin Münstermann