Eine Initiative hat die Enteignung großer privater Immobilienunternehmen zum Ziel. Wie realistisch ist das Vorhaben?

Selten ist ein Volksbegehren in Berlin so kontrovers diskutiert worden wie das der gleichlautenden Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Parallel zu einer Großdemonstration gegen „Verdrängung und Mietenwahnsinn“, zu dem ein außerparlamentarisches Bündnis aus rund 30 Gruppen aufgerufen hat, startet am kommenden Sonnabend die erste Stufe eines Volksbegehrens, das die Vergesellschaftung großer privater Immobilienunternehmen zum Ziel hat. In der aufgeheizten politischen Debatte gehen die Fakten allerdings leicht unter.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen – Spekulation bekämpfen“ will für das Land Berlin ein Gesetz herbeiführen, das für Wohnimmobilien in Berlin sowie die Grundstücke, auf denen sie errichtet sind, gelten soll. Laut dem vorliegenden Beschlusstext der Initiative soll es zur Anwendung kommen, wenn „Wohnungen durch einen Eigentümer in einem Umfang gehalten werden, der im Gesetz als ,vergesellschaftungsreif’ definiert wird“.

Darunter fallen „alle Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, gleich welcher Rechtsform“, die mehr als 3000 Wohnungen in ihrem Bestand haben. „Durch diese Höhe werden die Grundrechte auf Eigentum und Berufsfreiheit geschützt, gleichzeitig erfasst dieser Wert genug Unternehmen, um Gemeineigentum in einer Größenordnung zu schaffen, die den Begriff Vergesellschaftung rechtfertigt“, heißt es zur Begründung.

Die Wohnkostenkarte
Die Wohnkostenkarte © bm

Wie viele Unternehmen tatsächlich betroffen sind, ist derzeit noch unklar. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die für die amtliche Kostenschätzung zuständig war, hat eine Liste von zehn Unternehmen zusammen gestellt, die unter diese „Vergesellschaftungsdefinition“ fallen würden. Demnach sind folgende Unternehmen zu enteignen (Stichtag war der 30. September 2018): Deutsche Wohnen SE (111.500 Wohnungen), Vonovia (44.000), ADO Properties S.A. (22.200), Covivio SE (15.700), Akelius Residential Property (13.700), TAG Immobilien AG (9900), Grand City Properties S.A. (8000), BGP Gruppe (8000), Hilfswerk-Siedlung GmbH (6000) und D.I.V. Deutsche Vermögens- und Immobilienverwaltung (3800).

Allerdings weist die Verwaltung darauf hin, dass die Liste lediglich einen Mindestumfang darstelle, da eine weitere Recherche nur aufgrund gesetzlich begründeter Grundbuchauswertungen möglich sei. So kommt eine Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf elf Unternehmen, da auch die britische Pears Global Real Estate rund 6000 Wohnungen in Berlin besitze. Branchenexperten schätzen, dass die endgültige Liste mindestens doppelt so lang sein wird. So fehlt etwa auch das Berliner Traditionsunternehmen Becker & Kries, das ebenfalls mehr als 3000 Wohnungen in Berlin im Bestand hat.

Alle Unternehmen mit weniger als 3000 Wohnungen in Berlin sowie die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land, WBM sowie die Berlinovo, die sich derzeit zu rund 99,5 Prozent im Eigentum des Landes befinden. Ebenso ausgenommen sind die rund 80 Wohnungsbaugenossenschaften mit ihren zusammen rund 200.000 Wohnungen in Berlin.

Unternehmen auf der Enteignungsliste
Unternehmen auf der Enteignungsliste © bm

Die Enteignung soll durch ein „Gesetz zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“ erfolgen, das der Berliner Senat erarbeiten soll. Die rechtliche Basis dafür soll der Artikel 15 des Grundgesetzes liefern. In diesem Artikel heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

Das ist offen, denn tatsächlich ist der Artikel 15, auf den sich die Initiative beruft, seit seiner Formulierung vor 70 Jahren noch nie angewendet worden. Aktuell liegen dazu unterschiedliche Rechtsgutachten vor, die zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Das Grundgesetz sieht allerdings auch noch eine weitere Möglichkeit vor, nämlich eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit (Artikel 14). Dieser Artikel kommt ab und zu zur Anwendung, etwa wenn ein Stück Land für den Bau einer Straße benötigt wird.

Allerdings muss der Enteignungszweck hinreichend begründet sein. Doch nicht nur die Frage, ob die Enteignung von Wohnungsunternehmen tatsächlich verfassungskonform wäre, muss geklärt werden. Es gibt eine weitere rechtliche Hürde: Wenn die Entschädigung für eine Enteignung so kostspielig ist, dass dadurch der parlamentarisch verantwortete Landeshaushalt in Schieflage gerät, kann das Volksbegehren unzulässig sein. Zudem gilt in Berlin ab kommenden Jahr die grundgesetzliche „Schuldenbremse“ (Artikel 109). Eine verfassungskonforme Finanzierung wäre damit wohl nur schwer möglich.

Wird ein Grundstückseigentümer enteignet, dann muss er für den Verlust seines Vermögens entschädigt werden. Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzes sieht vor, dass die „Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist. Eine Enteignung würde nach der amtlichen Kostenschätzung des Berliner Senats Entschädigungen von 28,8 bis zu 36 Milliarden Euro erforderlich machen, heißt es in der amtlichen Kostenschätzung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Dieser Schätzung lägen die „überschlägig ermittelten aktuellen Markt-, beziehungsweise Verkehrswerte für rund 243.000 Wohnungen“ zugrunde. Dabei wurden also nur die Entschädigungssummen für die zehn Unternehmen ermittelt, die der Verwaltung bis zur Abgabe der amtlichen Kostenschätzung im Februar bekannt waren. Außerdem werden jährliche Folgekosten von bis zu 340 Millionen Euro sowie einmalige Nebenerwerbskosten von 180 Millionen Euro sowie 1,5 bis 2,9 Milliarden Euro für die Erfassung und technische Bewertung der Immobilien sowie für die Entschädigungen für unbebaute Grundstücke aufgelistet.

Die Initiatoren des Volksbegehrens gehen jedoch von ganz anderen Kosten aus, die im Fall eines erfolgreichen Volksentscheides auf das Land Berlin zukommen würden: Zwischen 7,3 und 14 Milliarden Euro. Das Berechnungsmodell der Initiative sieht vor, den Wert einer Immobilie nach den Einkünften durch „leistbare Mieten“ zu bestimmen. Da Berlin diese Summe zu 80 Prozent über Kredite finanzieren könne, würde zunächst also nur der Eigenkapitalanteil von 20 Prozent fällig – also etwa 1,5 bis 2,8 Milliarden Euro.

Für Volksbegehren generell gilt ein dreistufiges Verfahren. Die Initiative befindet sich in der ersten Phase. Am 6. April beginnt sie, für den Antrag auf ein Volksbegehren 20.000 gültige Unterschriften zu sammeln. Diese müssen innerhalb von sechs Monaten zusammen kommen. Sowohl Gegner als auch Unterstützer der Initiative gehen davon aus, dass die erforderlichen Stimmen in deutlich kürzerer Zeit zusammen kommen.

Sind die erforderlichen Unterstützungsunterschriften bei der Senatsverwaltung für Inneres eingereicht, wird die Zulässigkeit des Antrags – ob die notwendige Zahl an Unterstützungsunterschriften erreicht ist und ob das Volksbegehren mit höherrangigem Recht vereinbar ist – geprüft. In der zweiten Stufe, dem eigentlichen Volksbegehren, müssen etwa 170.000 gültige Unterschriften innerhalb von vier Monaten gesammelt werden. Waren die beiden ersten Stufe erfolgreich, kommt es zu einem Volksentscheid. Zur Abstimmung steht dann der Vorschlag des Volksbegehrens. Er gilt als angenommen, wenn mehr als 50 Prozent der Abstimmenden und mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen.

Im Fall eines Erfolges wäre der Senat aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Entschädigung der betroffenen Unternehmen regelt. Allerdings kann der Senat auch anders entscheiden, wenn er zu der Überzeugung kommt, dass die Forderungen des Entscheids nicht umsetzbar sind. So hatte der Berliner Senat vor rund einem Jahr entschieden, dass Tegel nicht offengehalten werden soll, obwohl sich im September 2017 56,1 Prozent der Wähler für einen Weiterbetrieb des Airports ausgesprochen hatten. Die umfangreiche Folgenabschätzung habe ergeben, dass die rechtlichen, betriebswirtschaftlichen, finanziellen und stadtentwicklungspolitischen Konsequenzen sowie die Auswirkungen auf Umwelt, Verkehr und Gesundheit gegen die Umsetzung sprächen, hieß es damals zur Begründung.

Das ist umstritten. Die Initiative jedenfalls geht in ihrem Begründungstext zum Antrag davon aus, dass durch den staatlichen Eingriff der Spekulation Einhalt geboten werden würde, die die Mieten nach oben treibt. Der Anteil kommunaler Wohnungen würde sich schlagartig von heute rund 300.000 auf mindestens 545.000 erhöhen. „Eine Folge wären daraus resultierende fallende Immobilien und Grundstückspreise“, heißt es weiter. Aktuell stelle der hohe, weil spekulative Grundstücks- und Immobilienpreis das wesentliche Hemmnis auf dem Weg zur Errichtung gemeinnützigen Wohnraums dar.

Mietpreise
Mietpreise © bm

Das sehen die Wohnungsverbände und Unternehmen ganz anders. Eine Enteignung würde am Kern des Problems am Berliner Wohnungsmarkt nichts ändern: dass die wachsende Stadt dringend mehr Wohnungen braucht. Das ginge nur durch mehr (geförderten) Neubau. Dessen Ausweitung wäre durch die hohen Enteignungskosten aber nicht mehr finanzierbar. „Mit 36 Milliarden Euro könnte der Neubau von rund 300.000 Wohnungen zu sozialen Mieten von 6,50 Euro pro Quadratmeter gefördert werde“, rechnete etwa Maren Kern, Chefin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) vor.

Rund 70 Prozent des Berliner Mietwohnungsbestandes befinden sich in privaten Händen. Würden mit einer Enteignung wie vom Senat geschätzt rund 245.000 Wohnungen in öffentliches Eigentum überführt, entspräche das 13 Prozent des Berliner Wohnungsmarkts. Das sei zu wenig, um nennenswert etwa auf die Entwicklung des Berliner Mietspiegels Einfluss zu nehmen. Nutznießer der Enteignung wären – wenn überhaupt – allenfalls die derzeitigen Mieter dieser Wohnungen. Die Allgemeinheit dagegen müsste für die enormen Enteignungskosten aufkommen – vielleicht sogar auch in Form von steigenden Durchschnittsmieten.

Die Berliner Volksbegehren

Die Liste der bereits abgeschlossenen und laufenden Volksbegehren in Berlin umfasst 44 Einträge. Elf scheiterten, weil die notwendigen Stimmen in der ersten Stufe (20.000 Unterschriften) nicht zusammenkamen. Vier wurden für unzulässig erklärt, zwei nach der ersten Stufe abgebrochen und fünf vom Abgeordnetenhaus nach Abschluss eines Kompromisses übernommen. Vier scheiterten am Unterschriftenquorum in der zweiten Stufe (170.000 Stimmen). Hinzu kommen neun Volksinitiativen. Insgesamt sechs Volksbegehren gelangten zum Volksentscheid: Zwei wurden mehrheitlich angenommen (Rekommunalisierung der Berliner Stromnetze, Verzicht auf die Randbebauung Tempelhofer Feld), eines mehrheitlich angenommen, aber nicht umgesetzt (Offenhaltung des Flughafens Tegel) und zwei konnten nicht die erforderlichen Stimmen (mehr Ja- als Neinstimmen und mindestens rund 613.000 Jastimmen) zusammenbekommen.

Drei Verfahren sind noch nicht abgeschlossen: „Für gesunde Krankenhäuser“ ist eine Initiative, mit der Personalvorgaben über das Landeskrankenhausgesetz festgeschrieben und die Finanzierung der notwendigen Investitionen im Krankenhaus verbessert werden sollen. Die Unterschriftensammlung begann am 1. Februar 2018 und wurde am 19. Juni 2018 erfolgreich abgeschlossen. Derzeit erfolgt eine formelle Rechtsprüfung des Gesetzesentwurfes.

Die „Initiative für mehr Videoaufklärung und Datenschutz“ hat am 11. Juli 2017 ihren Gesetzesentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach diesem sollen künftig in Berlin zusätzlich bis zu 2500 Kameras an 50 gefährlichen Orten angebracht werden. Die Aufnahmen von Kameras sollen gleichzeitig bis zu einen Monat lang gespeichert werden können. Am 19. Februar 2018 wurden die erforderlichen Unterschriften bestätigt. Nach der Prüfung durch die Senatsverwaltung, die das Volksbegehren im Oktober 2018 für rechtlich unzulässig erklärt hatte, wurde das Volksbegehren dem Verfassungsgerichtshof zur endgültigen Entscheidung über die Zulässigkeit vorgelegt.

Das Volksbegehren „Berlin werbefrei“ hat zum Ziel, Werbung im öffentlichen Raum und in öffentlichen Einrichtungen einzuschränken. Vom 16. Januar bis zum 13. Juli 2018 wurden Unterschriften gesammelt, das Quorum wurde erreicht. Zurzeit befindet sich das Volksbegehren in der Zulässigkeitsprüfung.

Die Volksinitiative Bürger/innen gegen den Transrapid war 1998 die erste Volksinitiative in Berlin und wandte sich gegen den geplanten Bau der Transrapid-Strecke von Berlin nach Hamburg. 122.910 Unterschriften wurden gesammelt, Anfang 1999 wurde das Anliegen jedoch vom Berliner Abgeordnetenhaus mit 100 zu 79 Stimmen bei vier Enthaltungen abgelehnt. Der Bau der Transrapid-Strecke wurde aufgrund steigender Kosten schließlich von der rot-grünen Bundesregierung verworfen. Stattdessen wurde die ICE-Strecke zwischen Berlin und Hamburg ausgebaut.