Berlin. CDU-Chefin AKK erklärt vor der Europawahl, wie sie das Vertrauen der Bürger stärken will. Außenminister Maas zeigt sich enttäuscht.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer setzt den jüngsten Reformvorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die Europäische Union ein eigenes Konzept entgegen. Ihre Ideensammlung, die sie in einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“ veröffentlichte, trägt den Titel „Europa richtig machen“.
Macrons Vorstoß für einen EU-weiten Mindestlohn erteilt sie darin eine klare Absage. Auf seinen Vorschlag, europäische Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen zu bevorzugen, geht sie nicht ein. Stattdessen will sie Steuerschlupflöcher in Europa schließen und betont: „Dem Ziel eines handlungsfähigen Europas wird kein europäischer Superstaat gerecht.“
Der EU-weite Mindestlohn steht auch im Koalitionsvertrag
Der Koalitionspartner SPD zeigte sich tief enttäuscht vom Konzept Kramp-Karrenbauers. Außenminister Heiko Maas warnte im Gespräch mit unserer Redaktion, Deutschland dürfe sich nicht „aus Zaghaftigkeit große Chancen verbauen“.
Maas verwies darauf, dass der europäische Mindestlohn auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD stehe. Daran hielten sich die Sozialdemokraten. Macron, lobte der Außenminister, habe „einen sehr wertvollen Impuls“ gegeben für die Debatte, wie Europa aussehen soll.
Kritik von Grünen und FDP
Auch von der Opposition hagelt es Kritik. Kramp-Karrenbauer „verpasst eine Chance: Anstatt die EU mit neuen Leben zu füllen, blockiert sie“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter unserer Redaktion. „Gemeinsam den Klimaschutz anpacken, Digitalstandards setzen, Europa auch als Projekt der soziale Gerechtigkeit begreifen: Das sollte man jetzt angehen.“ Aber dazu, so Hofreiter, fehle Kramp-Karrenbauer wohl Mut und Wille.
Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff sagte, das Europa-Konzept der CDU-Chefin sei „eine fade Mischung altbekannter CDU-Positionen, vager Ankündigungen, längst beschlossener Projekte und sogar unnötiger Provokationen Richtung Paris und Brüssel“.
Der Sitz des EU-Parlaments in Straßburg soll wegfallen
Die CDU-Chefin schlägt in ihrem Konzept vor, den zweiten Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg abzuschaffen – für Frankreich ein rotes Tuch. EU-Beamte sollten ihrer Ansicht nach nicht mehr von der Einkommensteuer ausgenommen sein. Für die EU beansprucht sie einen gemeinsamen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Einen Eurozonen-Haushalt – schon länger ein Lieblingsprojekt Macrons – erwähnt Kramp-Karrenbauer nicht. Was sie sich aber vorstellen kann, ist ein EU-Investitionsbudget für gemeinsame Forschungen, Entwicklungen und Technologien.
Das sind die CDU-Vorsitzenden seit 1946
Macron hatte vor wenigen Tagen in einem leidenschaftlichen Appell tiefgreifende Reformen für die Europäische Union gefordert. Er schlug eine europäische Asylbehörde vor sowie eine „europäische Klimabank“, die den ökologischen Wandel finanzieren solle. Der Präsident hatte auch mit der Notwendigkeit argumentiert, Nationalisten vor der Europawahl etwas entgegenzusetzen.
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In der Migrationspolitik muss jeder Mitgliedsstaat seinen Beitrag leisten
Kramp-Karrenbauer stellt zwar auch fest, die Bürger vermissten „Handlungsfähigkeit im Umgang mit Migration, Klimawandel, Terrorismus und internationalen Konflikten“. Sie rät den Befürwortern einer weitgehenden europäischen Integration aber, sie sollten „jetzt selbstbewusst an die Arbeit gehen“, anstatt sich ständig mit den „Anwürfen von Populisten“ zu beschäftigen.
Um Bewegung in die seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen über eine gemeinsame EU-Migrationspolitik zu bringen, schlägt Kramp-Karrenbauer vor, bereits an den Außengrenzen des Schengen-Raums zu prüfen, „ob ein Asylanspruch, ein Flüchtlingsstatus oder ein anderer Einreisegrund vorliegt“. Jeder Mitgliedstaat müsse seinen Beitrag leisten – zur Bekämpfung von Fluchtursachen, beim Grenzschutz und durch die Aufnahme von Flüchtlingen.
Ein „Europäischer Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens“
Die CDU-Vorsitzende plädiert dafür, in einem „Europäischen Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens“ über gemeinsame außenpolitische Positionen zu entscheiden und gemeinsames Handeln in der Sicherheitspolitik zu organisieren. Bei Gesprächen über Änderungen der Europäischen Verträge von Anfang an alle Mitgliedstaaten einzubeziehen. Denn dabei „darf weder die ‚Brüssel-Elite‘, noch die ‚West-Elite‘, noch die vermeintlich ‚pro-europäische‘ Elite unter sich bleiben“.
Macron hatte angeregt, noch in diesem Jahr eine „Europakonferenz“ ins Leben zu rufen, „um alle für unser Projekt erforderlichen Änderungen vorzuschlagen, ohne Tabus, einschließlich einer Überarbeitung der Verträge“. (gau/dpa)