Berlin. Der frühere Außenminister und FDP-Chef Klaus Kinkel ist tot. Kinkel war ein großer Demokrat, der aber unvollendet blieb. Ein Nachruf.

Seine 82 Jahre sah man ihm nicht an, bis ins hohe Alter war Klaus Kinkel agil. Spielte Tennis, ging bis vor einigen Monaten noch alle zwei Tage joggen, meist mit seinem Labrador. Am Montag ist er nach schwerer Krankheit gestorben. Er ist der vierte frühere Außenminister und FDP-Chef, der binnen drei Jahre verstorben ist, nach Walter Scheel, Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher; Kinkels Mentor, der als Außenminister eine Legende war, aber auch einen großen Schatten auf seinen direkten Nachfolger warf.

Unvermittelt an die Spitze des Staates katapultiert

Kinkel war ein Spitzenbeamter, der keinen Karriereplan für die Politik hatte, aber unvermittelt an die Spitze des Staates katapultiert wurde. Mit der Politik, der Parteipolitik zumal, hat er immer wieder gefremdelt hat: mit ihren Ritualen, Terminhatz und Zwängen. Er bewahrte sich selbst als Diplomat – zum Selbstschutz? – seine offene, direkte schwäbisch-rabauzige Art.

Gelegentlich brach er aus dem Politik-Betrieb regelrecht aus, buchstäblich. Bei einem Sommerinterview in seinen Garten erzählte Kinkel einmal, wie er und Ehefrau Ursula ihre Leibwächter genarrt hatten. Sie hatten am Vorabend einfach ihr Auto zwei Straßen entfernt geparkt und stahlen sich über ihren Garten davon, um ungestört nach Holland ans Meer zu fahren, während die Polizei ahnungslos Wache schob.

Parteivorsitz war sein glücklosestes Amt

An Genschers Seite startete der Schwabe durch, erst persönlicher Referent und Büroleiter im Innenministerium, dann Leiter des Planungsstabes im Außenministerium. Zwischendurch war Kinkel Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Über seine Zeit beim Geheimdienst erzählte er gern Anekdoten, unter anderem, wie er in Pullach anwies, im Zwinger der Wachhunde eine Fußbodenheizung aufzubauen, weil ihm die Tiere leid taten, die sich die Pfoten abfroren.

Kinkel fühlte sich zwar Genschers Partei, der FDP, verbunden, aber zur Wahrheit gehörte, dass er 1991 schon Justizminister war – seine erfolgreichste Zeit -, als er der Partei beitrat. Nur zwei Jahre später war er auch ihr Vorsitzender, sein mit Abstand glücklosestes Amt, das er nur zwei Jahre lang innehielt. Das Schlusskapitel war unschön: Kinkel wurde auf einem Parteitag in Gera auf offener Bühne ausgelacht.

Ein unvollendeter Chefdiplomat

1992 wurde er Außenminister und blieb es bis zum Ende der Koalition mit der Union im Jahr 1998. Kinkel hatte keine leichte Aufgabe. Er musste an der Seite von zwei epochalen Figuren irgendwie bestehen, Genscher und den damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU).

Die Außenpolitik im gerade wiedervereinten Deutschland musste neu austariert werden, und im Innern gestaltete sich die Einheit schwerer als erhofft. Hinzu kam, dass Kinkel die FDP-Führung zu einem Zeitpunkt übernahm, als die Partei sich müde gesiegt hatte, nach Jahrzehnten ununterbrochener Regierungsbeteiligung. Er konnte ihr keine Impulse geben.

Als Chefdiplomat blieb er irgendwie unvollendet. Sinnbild dafür ist sein vergebliches Streben nach einem ständigen Sitz für die Bundesrepublik Deutschland im UN-Sicherheitsrat. Dazu kam, dass er Genschers umstrittene Balkan-Politik vertreten und weiter führen musste, eine zermürbende Aufgabe.

Kinkel verlor 1982 seine Tochter

Seine privat größte Tragödie war der Tod seiner Tochter, eines von vier Kindern, die 1982 im Alter von 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall starb. Wie der Vater wollte Kinkel zunächst Arzt werden, wechselte aber während des Studiums und wurde Jurist. Tennis war seine große Leidenschaft – Deutschland war im Boris Becker-Fieber -, und der Karlsruher SC, der heute in der dritten Liga spielte, in den 90er Jahren aber in der Fußball-Bundesliga für Furore sorgte.

Nach seinem Ausscheiden aus der Politik engagierte sich Kinkel denn auch in der Bundesliga-Stiftung und in der Sepp-Herberger-Stiftung des DFB und war zugleich Vorsitzender der Ethikkommission des Verbands. Weit über die FDP hinaus wurde der Schwabe auch nach seinem Ausscheiden aus der Politik geschätzt und respektiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die ihn als junge Familien- und Umweltministerin im Kabinett erlebte, trauert „um einen treuen Weggefährten aus der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung“. Er war ein großer Liberaler und Demokrat, was er tat, das machte er mit Herz.