Tel Aviv/Berlin. Benjamin Gantz, Israels Ex-Generalstabschef, will Benjamin Netanjahu herausfordern. Der Wahlkampf könnte zur Schlammschlacht werden.

Der Mann auf der Bühne spricht nüchtern, klar, unaufgeregt. Er warnt vor dem Iran, „der immer noch nach atomaren Militär-Kapazitäten“ strebe. „Die Mullahs mögen ihre Strategie geändert haben. Aber die Vision, ihre Ideen zu exportieren, bleibt gefährlich.“ Es redet Benjamin Gantz, ehemaliger Generalstabschef der israelischen Armee.

Der Ton ist ruhig, der Auftritt präsidial. Gantz wirkt wie einer, der erklären und überzeugen, aber keine Panik verbreiten will. Knapp sechs Wochen vor der Parlamentswahl am 9. April ist er der Kandidat, dem viele zutrauen, gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu gewinnen.

Der 59-Jährige verfügt über eine Reihe von Trümpfen. Er hat den Glorienschein des Militärs, einer Institution, die in Israel traditionell höchstes Ansehen genießt. Gantz ist ein asketischer Typ, der die Aura der Pflichterfüllung verströmt. Er profiliert sich als der Anti-Netanjahu, der gegenüber Gefälligkeiten immun ist und nur das Wohlergehen des Landes im Blick hat.

Netanjahu soll in drei Korruptionsfällen angeklagt werden

Die Taktik könnte aufgehen. Der Generalstaatsanwalt hat gerade angekündigt, den Premierminister in drei Korruptionsfällen anzuklagen. Netanjahu soll Geschäftsleuten Vorteile verschafft und dafür Zigarren, Champagner und Schmuck im Wert von rund 230.000 Euro angenommen haben.

Benjamin Netanjahu im August 2018.
Benjamin Netanjahu im August 2018. © dpa | Jim Hollander

Zudem gibt es nach Ansicht der Ermittler Beweise, dass Netanjahu den Verleger der ihm gegenüber kritisch eingestellten Zeitung „Yedioth Ahronoth“ geködert hat: positivere Berichterstattung gegen Einschränkungen bei der Auflage des Gratisblatts „Israel Hajom“.

Netanjahu streitet alles ab und spricht von einer „Hexenjagd“. Nach israelischem Recht hat der Ministerpräsident wie jeder Beschuldigte die Gelegenheit, sich in einer Befragung zu äußern. Danach wird formell Anklage erhoben, was aber erst in einigen Monaten – also nach der Wahl – passieren wird.

Seit zehn Jahren ist Benjamin Netanjahu Ministerpräsident

Die Strahlkraft des Amtsinhabers ist deutlich blasser geworden. Lange Zeit kannte Israels Politik nur eine Konstante: Netanjahu regiert – egal, was passiert. Seit 2009 ist der heute 69-jährige politische Haudegen ununterbrochen Ministerpräsident. Seine nationalkonservative Likud-Partei stützt sich auf eine Koalition mit Religiösen und Rechten.

Sicherheit wurde zu seinem Markenzeichen. Netanjahu forcierte den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem und machte Front gegen den Iran, dem er trotz des Atomabkommens nukleare Ambitionen vorwirft. Er traf damit einen Nerv in der israelischen Gesellschaft, die in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gerückt ist. Doch Netanjahus unangefochtene Position bekommt Risse.

Erstmals seit Jahren konnte sich die Opposition auf einen starken Gegenkandidaten einigen. Gantz tritt nicht nur mit seiner im Dezember neu gegründeten Partei „Widerstandskraft für Israel“ an. Er steht an der Spitze einer Wahlliste mit dem Titel „Blau und Weiß“ – den Nationalfarben des Landes –, in der es von Schwergewichten nur so wimmelt.

Viererbündnis will Netanjahu schlagen

Da ist Jair Lapid, Vorsitzender der Zukunftspartei, früherer Finanzminister und populärer Fernseh-Moderator. Der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Yaalon mischt ebenfalls mit. Komplettiert wird die Liste von Gabi Ashkenazi, Gantz’ Vorgänger als Generalstabschef der Streitkräfte und einer der beliebtesten Offiziere der vergangenen Jahrzehnte. Das Besondere an dem Viererbündnis: Für den Fall eines Sieges haben sich Gantz und Lapid auf ein Rotationsmodell geeinigt. Nach zweieinhalb Jahren wollen sie sich als Ministerpräsident ablösen.

Gantz spielt bewusst die militärische Karte. Seine ersten Wahlkampf-Videos zeigten Schwarz-Weiß-Bilder israelischer Kampfjets bei Bombenabwürfen im Gazakrieg 2014. Die Botschaft: Keine Toleranz bei Angriffen der radikal-islamischen Hamas. Doch der Kandidat gibt auch andere Signale. So schien er in einem seiner seltenen Interviews offen zu sein für einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten. Wenig später schob seine Partei allerdings nach, Gantz wolle den Bau der Siedlungen keineswegs einstellen, sondern lediglich das Tempo drosseln.

Wahlkampf droht zur Schlammschlacht zu werden

Benjamin Gantz und Jair Lapid wollen sich im Fall eines Wahlsiegs über Benjamin Netanjahu im Amt des Ministerpräsidenten abwechseln.
Benjamin Gantz und Jair Lapid wollen sich im Fall eines Wahlsiegs über Benjamin Netanjahu im Amt des Ministerpräsidenten abwechseln. © Getty Images | Ilia Yefimovich

Gantz hat ein gemischtes Programm. Einerseits gibt er den Hardliner, der an Jerusalem als ewige Hauptstadt Israels festhält. Mit seiner Forderung nach Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und seinem Versprechen, gegen soziale Ungleichheit und steigende Lebenshaltungskosten vorzugehen, will Gantz eine eher linke Klientel ansprechen. Diese Unbestimmtheit ist beabsichtigt. Sie soll eine versöhnende Alternative zu Netanjahus Politik der eisernen Faust bieten, die das Land zutiefst polarisiert hat.

Die politischen Kräfteverhältnisse kommen ins Rutschen. Nach einer Umfrage der „Times of Israel“ könnte die Anklage-Empfehlung des Generalstaatsanwalts dazu führen, dass die Likud-Partei Platz eins in der Wählergunst verliert. Demnach käme die von Gantz geführte Wahlliste auf 44 der 120 Abgeordnetensitze, der Likud nur noch auf 25. Gleich mehrere potenzielle Koalitionspartner Netanjahus würden es nicht mehr über die 3,25-Prozent-Hürde schaffen. Am Sonntag forderten mehrere Hundert Demonstranten in Tel Aviv wegen der Korruptionsvorwürfe den Rücktritt des Regierungschefs.

Das Lager des Premiers befürchtet, dass die knappe Mehrheit der rechten Regierungsallianz bröckeln könnte. Und sinnt nach Tricks und Kniffen. So hat Netanjahu der Siedlerpartei „Jüdisches Haus“ bei einem Wahlsieg bereits das Bildungs- und das Bauministerium angeboten, wenn sie sich mit der rechtsextremistischen Partei „Jüdische Stärke“ verbündet. Dort sind Forderungen wie die „Reinheit jüdischen Bluts“ und ein Verbot der Heirat zwischen Juden und Arabern salonfähig.

Der Wahlkampf droht zur Schlammschlacht zu werden.