Berlin. Hunderte Deutsche zogen für den IS in den Krieg. Viele von ihnen sitzen in kurdischen Gefängnissen. Aber dort können sie nicht bleiben.

Sie habe ihren Sohn nie gefragt, was er dort in Syrien genau gemacht hat. Ob er an der Seite von Dschihadisten für den selbst ernannten „Islamischen Staat“ (IS) gekämpft hat. Ob er Menschen getötet hat. „Ich wollte es nicht wissen“, sagt die Frau, die im Süden Deutschlands lebt, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ihr Sohn war Ende 2013 ausgereist in Richtung Syrien. In Richtung IS. Er hat dort geheiratet und zwei Töchter bekommen.

Heute gilt die Terrorgruppe als besiegt, zumindest militärisch. Tausende sind getötet, Tausende geflohen. Knapp 3000 mutmaßliche IS-Anhänger und ihre oft jungen Kinder sind derzeit jedoch in kurdischer Haft in Nordsyrien.

Mutmaßliche IS-Anhänger, die in den Gefechten von Kurden gefangen genommen wurden. Männer, Frauen und viele Kinder – auch Deutsche, eine höhere zweistellige Zahl. Unter ihnen: der Sohn der Mutter aus Süddeutschland.

Auswärtiges Amt verhandelt seit Monaten

Für das kurdische Militär werden die IS-Anhänger zu einem Sicherheitsrisiko. Auch Politiker in Deutschland fordern vermehrt, die mutmaßlichen Islamisten zurückzuholen und juristisch zu verfolgen.

Seit Monaten laufen Verhandlungen des Auswärtigen Amtes, im Ministerium prüft eine eigene Gruppe, welche Wege es für die Rückkehr gibt. Doch passiert ist bisher wenig. US-Präsident Donald Trump hat mit seinem Appell an die Bundesregierung den Druck erhöht.

Was will Donald Trump?

Der US-Präsident fordert in einem Tweet, dass Regierungen von Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland mutmaßliche IS-Angehörige nicht den Kurden überlassen, sondern in ihre Heimatländer zurückholen. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Islamisten freikämen und „nach Europa eindringen“ könnten.

Die Amerikaner unterstützen die Kurden in Nordsyrien seit Jahren im Kampf gegen den IS. Doch Trump will seine Soldaten abziehen, lieber früher als später. Das dürfte ein Motiv für seine Äußerungen sein.

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    Die Gefängnisse seien längst überfüllt, sagte der Außenbeauftragte der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien, Abdulkarim Omar, schon Ende November im Gespräch mit unserer Redaktion. Seitdem sind noch einmal etliche Gefangene dazugekommen.

    Die kurdische Miliz YPG, die vor Ort das Sagen hat und die Kämpfe gegen den IS anführt, muss zunehmend Ressourcen für die Gefängnisse abstellen. Die Milizen fehlen an der Front. Langfristig droht die Gefahr, dass die Kurden die hohe Zahl an Gefangenen nicht mehr sichern können – und somit Islamisten ausbrechen könnten.

    Das gilt noch viel mehr, sobald das türkische Militär in Nordsyrien Stellungen der Kurden angreift. Mehrfach hatte die Regierung in Ankara der YPG gedroht. Für die Türkei ist die PKK-nahe Organisation eine Terrorgruppe.

    Wie gefährlich sind IS-Kämpfer?

    Für die deutschen Sicherheitsbehörden sind die Islamisten in kurdischer Haft ein schwer kalkulierbares Risiko – und gerade deshalb ein gravierendes Sicherheitsproblem. Rund 1000 Menschen sind seit Ende 2013 aus Deutschland in Richtung der Dschihad-Gebiete ausgereist. Rund ein Drittel von ihnen ist auf eigenen Faust nach Deutschland zurückgekehrt.

    Die meisten der Rückkehrer waren Teil einer Terrororganisation oder lebten in deren Gebiet, nur wenige blieben wohl in der Türkei. Vor allem die Männer haben an Kampfhandlungen teilgenommen oder Terroranschläge geplant.

    Ob sie noch stärker ideologisiert sind oder frustriert und traumatisiert von Krieg und Dschihad, lässt sich nur im Einzelfall sagen.

    Nach Informationen unserer Redaktion sprechen deutsche Nachrichtendienstler mit den Gefangenen in Syrien. Doch wie gut ihre Erkenntnisse sind, ist bislang unklar. Auch Distanzierungen einzelner Islamisten in Interviews mit Medien sind mit Vorsicht zu genießen. Denn die Frauen und Männer wissen, dass sie im Visier der Justiz stehen könnten.

    Ist Deutschland überhaupt in der Lage, IS-Mitglieder aufzunehmen?

    Mehrere Beratungsstellen haben eine Rückholung von ehemaligen IS-Kämpfern nach Deutschland befürwortet. „Deutschland ist mit der Rücknahme der IS-Angehörigen nicht überfordert“, sagte Thomas Mücke, Geschäftsführer von Violence Prevention Network, unserer Redaktion. Anders als 2013 und 2014 gebe es „eine Infrastruktur der Hilfe für Frauen und Kinder, die im IS-Staat gelebt haben“.

    Gerade die Kinder müssen laut Mücke nach Deutschland zurückkehren. „Sie leben unschuldig dort in Lagern, ohne Schule, ohne Betreuung. Das dürfen wir nicht zulassen.“

    Auch Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle für Deradikalisierung Hayat in Berlin, hob hervor: „Es ist wichtig, dass die Bundesregierung diese Menschen zurück nach Deutschland holt. Zum einen ist eine Verurteilung möglicher Straftaten durch ein deutsches Gericht zentral. Zum anderen aber sind unsere Möglichkeiten in Deutschland viel größer, diese Menschen aus der Radikalität zu holen, sie engmaschig therapeutisch zu betreuen und so eine weitere Radikalisierung zu verhindern“, sagte Dantschke unserer Redaktion. „Diese Leistung müssen wir erbringen – denn diese jungen Menschen haben sich in Deutschland der IS-Ideologie zugewandt. Sie haben sich unter uns radikalisiert.“

    Kann es passieren, dass Terroristen in Deutschland frei herumlaufen?

    Die Gefahr besteht – ist aber Teil eines Rechtsstaats, der jedem Beschuldigten eine Straftat auch nachweisen muss. Gerade bei den Frauen, die im Dschihad-Gebiet waren, sind die Informationen der deutschen Sicherheitsbehörden dünn. Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft fehlen oftmals Belege, dass Islamisten an Kämpfen des IS teilgenommen haben.

    Neben Stimmen, die die Wiedereingliederung in die Gesellschaft fordern, gibt es auch solche nach konsequentem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt etwa warf Justizministerin Katarina Barley (SPD) vor, einen vom Innenministerium vorgelegten Gesetzentwurf zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Dschihadisten mit Doppelstaatsbürgerschaft zu verschleppen.

    Deutsche Staatsbürgerschaft entziehen

    Im Koalitionsvertrag ist auf Seite 128 vereinbart: Ein neues Gesetz soll künftig möglich machen, einer Person die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn sie sich nachweislich an terroristischen Kampfhandlungen im Ausland beteiligt. Und sofern der verurteilte Dschihadist neben dem deutschen noch einen weiteren Pass besitzt. Denn niemand darf staatenlos gemacht werden.

    Doch genau diese Beweisführung ist oftmals schwierig zu erbringen. Beweisvideos oder DNA-Spuren sind Mangelware. Der Bundesgerichtshof urteilte zudem, dass ­allein das Leben im IS-Gebiet nicht ausreicht, um Menschen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen – das betrifft vor allem Frauen, die oftmals nicht kämpften, sondern Kinder großzogen für den IS-Staat oder als Ehefrauen IS-Kämpfer versorgten.

    Beweise schwierig

    Bei der Suche nach Beweisen hilft ausgerechnet die IS-Bürokratie: Die Terroristen ließen ihre Anhänger aus dem Ausland nach deren Einreise nach Syrien und in den Irak Fragebögen ausfüllen. Vermerkt ist dort neben den Namen auch die anvisierte Funktion: etwa Soldat oder Selbstmordattentäter.

    Mehrere Urteile gegen deutsche IS-Kämpfer hat die Justiz schon gesprochen, etliche Ermittlungsverfahren laufen. Zudem schiebt Deutschland vermehrt Islamisten in ihre Heimatländer ab. Der Grund: Die Behörden halten sie für gefährlich. Oftmals ohne konkrete Belege für eine bevorstehende Straftat.

    Was sagt die deutsche Politik zur Forderung Trumps?

    Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) reagierte skeptisch auf die Forderung des amerikanischen Präsidenten. Solange es keine Informationen und Ermittlungsverfahren gebe, halte er dies „für außerordentlich schwierig zu realisieren“. Somit würden die deutschen Islamisten vorerst in kurdischer Haft bleiben.

    Ähnlich äußerte sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte – genauso wie mehrere andere Politiker der Opposition – die Regierung dagegen auf, in Syrien gefangene IS-Kämpfer zurückzunehmen.

    „Der Umgang mit islamistischen Straftätern ist anspruchsvoll und wird unsere Strafjustiz und vor allem den Strafvollzug vor Herausforderungen stellen“, sagte sie unserer Redaktion. „Die Bundesregierung muss sich dieser Verantwortung aber stellen und deutsche Staatsbürger, denen islamistische Gewalttaten vorgeworfen werden, zurücknehmen und hier vor Gericht stellen.“

    Göring-Eckardt warnte: „Ein zweites Guantanamo muss verhindert werden, aus rechtsstaatlicher Verantwortung, aber auch damit die Region befriedet wird.“ Deutschland müsse ein Interesse haben, dass deutsche Staatsbürger für schwerste Straftaten zur Verantwortung gezogen werden.