Berlin. Der Wirtschaftsminister spricht über europäische Industriepolitik und Steuersenkungen. Mit Kritik an der SPD will er sich zurückhalten.

Der Minister war gerade auf Dienstreise in Ägypten. Begeistert berichtet Peter Altmaier (CDU) vom Besuch bei den Pyramiden: Als Jugendlicher habe er Archäologe werden wollen. Wieder in Berlin, stellte Altmaier in der vergangenen Woche seine Industriestrategie vor. Im Interview wirbt er dafür – und für mehr Steuergerechtigkeit.

Herr Altmaier, die Pleite der Fluggesellschaft Germania ist für Sie ein „Anwendungsfall von Marktwirtschaft“. Warum hilft der Staat nicht?

Peter Altmaier: Um es klar zu sagen: Jede Unternehmensinsolvenz tut mir als Wirtschaftsminister im Herzen weh, weil dadurch Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren – obwohl sie für die Pleite keinerlei Verantwortung tragen. Für die Beschäftigten ist jetzt wichtig, dass sie zügig eine Perspektive erhalten. Dennoch gehören unternehmerischer Erfolg und Misserfolg zur Marktwirtschaft dazu.

Wie passt das zu Ihrer Industriestrategie, die bewirken soll, dass der Staat große Unternehmen vor einer Pleite oder einer Übernahme durch ausländische Eigentümer bewahren und dafür sogar Anteile erwerben soll?

Altmaier: Bei meiner Industriestrategie 2030 geht es darum, die deutsche und europäische Industrie zu stärken und zu schützen, damit unsere Unternehmen im rauen internationalen Wettbewerb, etwa mit amerikanischen oder chinesischen Konzernen, mithalten können.

Es geht nicht darum, jede Pleite zu verhindern oder große Unternehmen gegenüber den Kleineren zu bevorzugen. Es geht um unseren zukünftigen Wohlstand, um die Jobs der Zukunft und um unsere technologische Souveränität.

Was muss dafür geschehen?

Altmaier: Wir müssen uns gewaltig auf die Hinterbeine stellen, wenn wir nicht den Anschluss bei Basis-Innovationen und Game-Changer-Technologien verlieren wollen. Und es ist äußerst wichtig, dass wir in Deutschland die komplette Wertschöpfungskette abbilden. Das macht uns unabhängig und sichert viele Arbeitsplätze. Ungeachtet dessen können Pleiten von wichtigen, systemrelevanten Unternehmen für die Bürger und den Staat zu schlimmsten Verwerfungen führen.

Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 standen große Teile des deutschen Bankensystems vor der Insolvenz. Die Bundesregierung hatte daraufhin ein Rettungsprogramm aufgelegt, damit die Banken weiter funktionieren und ihre Kunden nicht ihre Einlagen verlieren. Darüber hinaus ist es auch industriepolitisch wichtig, dass Deutschland im Bankensektor große Player hat, die unsere Wirtschaft finanzieren.

Aber ist es Aufgabe des Staates, diese „nationalen Champions“, wie Sie sie nennen, zu schmieden?

Altmaier: Der Staat soll diese Unternehmen nicht „schmieden“, er sollte ihnen aber auch keine Hindernisse in den Weg legen. Wir müssen in Zukunft diejenigen Zusammenschlüsse ermöglichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit von Europa auf den internationalen Weltmärkten notwendig sind. Wo das Wettbewerbsrecht dem entgegensteht, muss es überprüft und gegebenenfalls modernisiert werden.

Ein Fall, der zeigt, wie nötig eine nationale und europäische Indus­triepolitik ist, ist das aktuelle Verbot der Fusion von Siemens mit Alstom. Es ist mir nicht egal, dass aktuell die großen Internetkonzerne nicht aus Europa kommen, sondern nur aus den USA oder aus China. Die haben eine enorme Marktmacht. Hier besteht eine gewaltige Schieflage. Wir als eines der führenden Länder dieser Welt müssen aber den Anspruch haben, etwa bei der Digitalisierung und der Plattform-Ökonomie ganz vorne dabei zu sein.

Der Staat könnte helfen, einen digitalen Konzern zu gründen?

Altmaier: In Einzelfällen kann es passieren, dass Unternehmen tatsächlich neu gegründet werden müssen. Das beste Beispiel ist Airbus vor rund 50 Jahren. Ohne Airbus hätten wir 100.000 Arbeitsplätze weniger in Europa. Vorher waren wir in Europa nicht in der Lage, große Verkehrsflugzeuge zu bauen.

Heute ist Airbus mit Boeing Weltmarktführer. Ich kann mir vorstellen, dass wir in Europa eine Art Airbus der künstlichen Intelligenz etablieren. Dieser Konzern könnte zum Beispiel maßgeblich beim autonomen Fahren werden und hätte positive Auswirkungen auf viele Branchen.

Haben Sie in Ihrer Industriestrategie die mittelständischen Unternehmen vergessen, die mehr Beschäftigte haben als große Konzerne?

Altmaier: Nein, die Stärkung des industriellen Mittelstandes ist in der Strategie zen­tral. Klein und Groß sind nicht als Gegensatz zu sehen, sondern im Verbund, denn es geht vielmehr um Wertschöpfungsketten und Zukunftstechnologien. Ganz entscheidend ist, dass wir den Mittelstand mehr unterstützen, vor allem bei der Digitalisierung.

Wir haben bereits Kompetenzzentren errichtet für mittelständische Unternehmer, die oft die Besten in ihrem Bereich sind, aber deren Kernkompetenz nicht die Digitalisierung ist. Hier müssen wir den Unternehmen helfen, auch in zehn, 20 Jahren besser zu sein als ihre Konkurrenten aus anderen Teilen der Welt.

Sie werben stark dafür, die Unternehmen zu entlasten. Welche Chancen gibt es dafür, wenn der Finanzminister nun sparen will?

Altmaier: Wir haben im Koalitionsvertrag weitreichende Entlastungen für Familien, Kinder und Arbeitnehmer beschlossen und zum Teil schon umgesetzt. Nun sollten wir den nächsten Schritt tun: Dazu gehört ein Fahrplan zur stufenweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle und eine Entlastung von Unternehmen, dann können sie Arbeitsplätze schaffen, und dadurch kann auch der Finanzminister weniger sorgenvoll in die Zukunft blicken. Die USA, Großbritannien und Frankreich haben Steuern bereits stark gesenkt. Deutschland muss für Unternehmen attraktiv bleiben.

Es gibt im Bundeshaushalt also Spielraum, den Soli noch in dieser Wahlperiode komplett abzuschaffen?

Altmaier: Wenn klar ist, dass der Soli für alle und komplett abgeschafft wird, hat das eine positive Wirkung. In welchen Schritten und über welche Zeit dies geschieht, müssen wir bereits in dieser Legislaturperiode klären.

Wir haben alle ein Interesse an einem ausgeglichenen Haushalt und an der schwarzen Null, aber es gibt Spielräume. Der Finanzminister muss die Lage der Kassen natürlich möglichst düster darstellen, das gehört zur Jobbeschreibung dazu.

Die Lage des Haushalts ist nicht so schlimm?

Altmaier: Wir befinden uns im längsten Aufschwung seit 1966. Die deutsche Wirtschaft wächst, aber nicht mehr so stark wie vermutet, denn der internationale Gegenwind wird stärker. Unternehmer brauchen nun einen Anreiz, mehr zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Politik kann ihnen helfen, etwa indem die Abschreibung neuer Wirtschaftsgüter erleichtert wird. Wichtig ist auch, keine neuen arbeitsrechtlichen Hürden zu errichten. Mit den richtigen Rahmenbedingungen bekommt der Aufschwung neue Fahrt.

Für welche wichtigen Projekte muss die Bundesregierung noch Geld haben?

Altmaier: Wir sollten uns auf Projekte konzentrieren, die uns bei der Innovation voranbringen, und auf Projekte, die uns beim Ausbau der Infrastruktur helfen. International sind Länder erfolgreich, die mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben.

Wir müssen Bereiche wie die künstliche Intelligenz oder das autonome Fahren mit öffentlichen Geldern unterstützen. Im Übrigen stehen wir zu unseren Verpflichtungen im Rahmen der Nato und gegenüber den europäischen Verbündeten. Das schränkt die finanziellen Spielräume etwas ein, ist aber im Interesse Deutschlands unverzichtbar.

Können wir uns eine Grundrente leisten, so wie Arbeitsminister Heil sie plant?

Altmaier: Die Grundrente steht im Koalitionsvertrag. Wir wollen Menschen einen guten Lebensabend ermöglichen, wenn sie trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht von ihrer Rente leben können. Sie sollten keine Grundsicherung beantragen müssen. Was Herr Heil aber vorgeschlagen hat, steht nicht im Koalitionsvertrag. Das kann so nicht bleiben.

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Wie wichtig ist es, dass die Grundrente nur an Bedürftige gezahlt wird?

Altmaier: Für jemanden mit viel Geld stellt sich die Lage anders dar als für eine Witwe mit einem kleinen Häuschen, das sie den Kindern vererbt. Deshalb ist die Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente elementar. Jemand, der viel Vermögen hat und aus ihm Einkommen erzielt, sollte keine Grundrente bekommen.

Ich warne davor, sich mit Vorschlägen bei der Rente profilieren zu wollen, das stärkt am Ende nur die populistischen Parteien am rechten und linken Rand. Im Übrigen haben wir eine Rentenkommission eingesetzt, die sich grundsätzlich mit der Zukunft der Rente befasst.

Wie bewerten Sie die Pläne der SPD, Hartz IV zu reformieren und das Arbeitslosengeld I fast drei Jahre zu zahlen?

Altmaier: Die SPD arbeitet derzeit ihre Vergangenheit auf, ich will politischen Mitbewerbern keine Ratschläge geben. Als Wirtschaftsminister ist mein Ziel, dass niemand drei Jahre lang arbeitslos wird. Wir haben derzeit mit 45 Millionen einen Beschäftigungsrekord und in vielen Bereichen einen Fachkräftemangel. Ich möchte Vollbeschäftigung erreichen. Darauf müssen wir uns konzen­trieren!