Berlin. Verkehrsminister Scheuer setzt auf die Selbsteinschätzung älterer Autofahrer. Forscher empfehlen jedoch eine Prüfung für Senioren.

Der Unfall ereignete sich auf der Landstraße A149 in der Nähe des Landsitzes der britischen Königin in Ostengland. Der 97 Jahre alte Fahrer war an diesem Nachmittag allein unterwegs.

Die Sonne stand schon tief und schien ihm ins Gesicht, als der Geländewagen mit einem entgegenkommenden Auto zusammenstieß und sich mehrfach überschlug. Der Fahrer blieb unversehrt, die zwei Frauen in dem anderen Fahrzeug erlitten leichte Verletzungen; ein neun Monate altes Kleinkind kam ohne Schaden davon.

Fahrtest für Senioren – darum geht es:

  • Experten fordern Fahrtest für Senioren
  • Grund dafür ist unter anderem die abnehmende Wahrnehmung von Lichtverhältnissen
  • Der Verkehrsminister Andreas Scheuer ist dagegen

Der Zusammenstoß, den Prinz Philip, der Ehemann der Königin, vor gut zwei Wochen verursachte, ist in gewisser Weise typisch.

„Die Hell-Dunkel-Empfindlichkeit nimmt im Alter zu“, sagt Siegfried Brockmann, Unfallexperte der Versicherungsunternehmen. Die Augen von alten Menschen könnten sich nicht mehr so schnell auf wechselnde Lichtverhältnisse einstellen, sagt Brockmann. Jedenfalls ginge es nicht mehr so schnell wie bei Jüngeren.

Prinz Philip baute kürzlich einen Unfall und befeuerte so die Debatte über Fahrtest für Senioren.
Prinz Philip baute kürzlich einen Unfall und befeuerte so die Debatte über Fahrtest für Senioren. © dpa | Sam Russell

„Vie­len älte­ren Autofahrern man­gelt es an Selbs­t­er­kennt­nis“

Seit Jahren schon befasst Brockmann sich mit der Verkehrssicherheit von Senioren.Er wertet Statistiken und medizinische Erkenntnisse aus.

Er sortiert das Unfallgeschehen nach Altersgruppen oder nach gefahrenen Kilometern und danach, wie viele Menschen in einer Altersgruppe überhaupt einen Führerschein haben. Sein Fazit: „Vie­len älte­ren Autofahrern man­gelt es an Selbs­t­er­kennt­nis.“

Wenn sie wüssten, dass sie eine Gefahr seien, würden viele ihr Verhalten ändern, glaubt Brockmann, der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird.

Unermüdlich wirbt er für einen verpflichtenden Fahrtest für Ältere: Eine Stunde Autofahren in Begleitung eines Experten, danach ein aufklärendes Gespräch mit Ratschlägen. „Aber niemandem wird der Führerschein entzogen“, versichert Brockmann.

Bisher hat sein Werben wenig Erfolg, auch nicht beim Bundesverkehrsminister. „Dass ältere Autofahrer ihre Verkehrstauglichkeit testen lassen müssen, ist nicht sinnvoll. Ich setze auf Eigenverantwortung“, sagt Andreas Scheuer.

Scheuer lehnt Verkehrstest für Senioren ab

Der 44 Jahre alte CSU-Politiker ist leidenschaftlicher Autofahrer. Aus der Unfallstatistik würden sich keine Auffälligkeiten bei älteren Fahrern ergeben, meint Scheuer. „Unfälle können einem 21 Jahre alten Fahrer genauso passieren wie einer 81 Jahre alten Fahrerin.“

Eigenverantwortung, das heißt für ihn, dass jeder Fahrer „immer wieder selbst seine Fitness und seine Fähigkeiten im Straßenverkehr überprüft“. Eine Verpflichtung, dies ab einem bestimmten Alter zu machen, lehnt er ab: „Einen Verkehrstest für Senioren wird es mit mir nicht geben.“

Mit dieser Haltung ist Deutschland in Europa weitestgehend allein. Außer der Bundesrepublik verzichten nur fünf weitere europäische Länder auf eine Fahreignungsprüfung für ältere Menschen (Frankreich, Belgien, Österreich, Polen und Bulgarien).

Portugal lässt Fahrtauglichkeit ab Alter von 50 Jahren prüfen

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). © dpa | Michael Kappeler

In allen anderen Ländern der EU gibt es mehr oder weniger strenge Regeln, nach denen die Fahrtüchtigkeit älterer Menschen getestet wird. In Ländern wie Portugal beginnen die ärztlichen Untersuchungen bereits mit 50 Jahren. In den allermeisten liegt die Grenze bei 70 Jahren.

Unfallexperte Brockmann empfiehlt für die Kontrollfahrt – er selbst verwendet den Begriff „Rückmeldefahrt“ – das Alter von 75 Jahren. In den Jahren zuvor seien die meisten älteren Fahrer noch sicher unterwegs und würden von ihrer oft jahrzehntelangen Fahrpraxis profitieren.

Ab 75 Jahren aber gebe es immer öfter Situationen, in denen die Fahrer nicht mehr schnell genug reagieren könnten. Gerade an Kreuzungen seien diese Fahrer oft überfordert, es komme zum Unfall.

Ältere Fahrer verursachen die meisten Unfälle selbst

Um die Grenze für den Fahreignungstest beim Alter 75 Jahre belegen zu können, hat Brockmann sich die Statistiken genau angeschaut. Es komme darauf an, die richtigen Daten in Bezug zueinander zu setzen, sagt er. Die absoluten Zahlen der Unfälle von Senioren seien gering, gibt der Experte zu. Das liege daran, dass oft nur das Alter „ab 65 Jahre“ erfasst werde.

Auch allgemein bestimmte Altersgruppen zu betrachten, nütze nichts, denn viele Senioren würden tatsächlich nicht mehr Auto fahren oder hätten – das gelte für viele Ehefrauen in dem Alter – gar keinen Führerschein. Entscheidend sei also, dass man die Fahrleistung berücksichtige, sagt Brockmann.

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Sein Fazit aus allen verfügbaren Statistiken: Jenseits der 75 Jahre verursachen Senioren 75 Prozent aller Unfälle, an denen sie beteiligt sind, selbst. Das sei ein etwas höherer Wert als bei den 18- bis 21-Jährigen.

Demografische Entwicklung könnte Problem vergrößern

Der Unfallexperte versteht, dass das Thema heikel ist – sowohl bei den Senioren und ihren Familien als auch in der Politik. Aktuell sei der Handlungsdruck auch noch nicht so hoch. In zehn Jahren aber könne es echtes Problem daraus werden, meint er.

Dann seien viel mehr Senioren mit mehr als 75 Jahren mit dem Auto unterwegs als heute. „Dann sollten wir Instrumente haben, um darauf vorbereitet zu sein.“

Doch weder die Politik noch große Automobilclubs halten etwas von einem Fahrtest für Senioren. Der ADAC beispielsweise glaubt, dass bei den Testfahrten geeignete Fahrer irrtümlich als ungeeignet eingestuft würden.

Und: „Ein positives Testergebnis kann einen älteren Fahrzeugführer dazu verleiten, seine eigenen Fähigkeiten weit über den Testzeitpunkt hinaus zu überschätzen.“

Minister Scheuer findet darüber hinaus, dass sich das ganze Thema bald ohnehin erledigen wird: „In naher Zukunft werden ältere Menschen auch nicht mehr unbedingt selbst fahren müssen“, sagt er.

„Gerade auf dem Land können die Menschen mithilfe von autonomen und automatisierten Systemen mobil bleiben. Sie rufen ein autonom fahrendes Auto, können mit Freunden oder Nachbarn einsteigen und sich zu Apotheke oder Supermarkt bringen lassen.“