Tokio. Kanzlerin Merkel ist zu Gast bei Japans Premier Abe. Das Bekenntnis zu Freihandel und gemeinsamen Werten wirkt wie eine Kampfansage.

Die Proben für die militärischen Ehren laufen auf Hochtouren. Im Protokoll-Saal der Kantei, dem Amtssitz des japanischen Ministerpräsidenten, proben zwei Stellvertreter zu den Klängen der deutschen und japanischen Hymne die Laufwege der beiden Regierungschefs.

Auf einmal wird man in der deutschen Delegation unruhig. Die beiden Militärangehörigen haben gar keine Schuhe an. Wird das auf die Kanzlerin und ihren Gastgeber dann auch zutreffen?

Doch als Angela Merkel zum Handschlag mit Japans Ministerpräsident Shinzo Abe kommt – ungewöhnlich über eine Rolltreppe – sind alle beruhigt: Die Kanzlerin trägt Schuhe, die militärischen Ehren werden absolviert.

Shinzo Abe ist Merkel Freund in unruhigen Zeiten

So ganz gut gelaunt wirkte Merkel bei ihrer Ankunft am Montag zunächst nicht, der Flug war lang, geschlafen hat sie kaum. Der Besuch ist ihr dennoch wichtig: Sie besucht mit Japans Ministerpräsident Shinzo Abe einen Freund in unruhigen Zeiten.

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Der findet zur Begrüßung dann auch warme Worte: Es sei heute Tag des Frühlingsanfangs in Japan, normalerweise sei es aber zu dieser Jahreszeit noch kühl. Doch mit Merkel kam warmes Wetter nach Tokio, „Frau Merkel hat den Frühling mit nach Japan gebracht“, sagt Abe bei der Pressekonferenz zur Begrüßung. Sie könne ruhig länger bleiben. Merkel lächelt.

Seit Merkels letztem Besuch hat sich viel verändert

Es ist der fünfte Besuch der deutschen Kanzlerin in Japan, Ministerpräsident Abe traf sie allerdings schon 17 Mal. Doch seit die Kanzlerin 2015 das letzte Mal Japan besuchte, hat sich viel verändert. Deutschland und die EU müssen sich seitdem mit den Folgen der Flüchtlingskrise auseinandersetzen, die Populisten sind in Europa auf dem Vormarsch, Großbritannien hat sich entschieden, die EU zu verlassen.

Auch international haben sich die Vorzeichen verändert. In den USA regiert inzwischen Präsident Donald Trump mit dem Motto „America First“ und einer Abneigung gegen multilaterale, also gemeinschaftliche, Krisenlösungen und freien Welthandel.

Beide Seiten sprechen von Wertegemeinschaft

China tritt deutlich offensiver auf, das Riesenreich strebt selbstbewusst eine stärkere internationale Position an. Ohne sich dabei im Inneren in irgendeiner Art und Weise zu demokratisieren. Und Russland steckt mitnichten zurück, wenn es um die neue Austarierung des weltweiten Kräfteverhältnisses geht.

Für die Kanzlerin geht es angesichts dessen darum, die Zusammenarbeit mit verlässlichen Partnern zu stärken. Beide Seiten sprechen vor dem Besuch von einer Wertegemeinschaft. Statt nur auf die polternden USA und China zu starren, wollen beide Regierungen lieber Standards für Freihandel und den Umgang miteinander zu setzen. Merkel nennt dies „Multilateralismus“, Abe „liberale Weltordnung“.

Handelsabkommen verbindet 600 Millionen Menschen

Das Gespräch mit Abe ist dann auch erwartbar von Übereinstimmung geprägt. Japan trete mit Deutschland für eine regelbasierte Ordnung ein, man arbeite eng in dieser Frage zusammen, sagt Merkel und lobt das am Freitag in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan als wegweisend.

Das Abkommen sei „in dieser Zeit eine wichtige Mitteilung an die Welt. Wir schätzen das sehr und wollen das auch mit Leben erfüllen“. Der Vertrag soll Märkte mit mehr als 600 Millionen Menschen verbinden und 40 Prozent des Welthandels umfassen.

Japan richtet Ende Juni den G20-Gipfel aus

Abe, immerhin Regierungschef der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, betont, der Protektionismus greife weltweit um sich. Der Besuch der deutschen Kanzlerin kurz nach dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens sende „eine kraftvolle Botschaft für die Stärkung unserer bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und für das Vorantreiben des Freihandels“.

Die Kanzlerin bietet ihrem Gastgeber auch eine intensive Zusammenarbeit bei der japanischen Agenda für den G20-Gipfel Ende Juni in Osaka an. Japan nehme Fragen der Gesellschaft 5.0 auf und beschäftige sich mit Datensicherheit und -ethik. „Das sind Themen, die uns auch umtreiben.“

Ohne Parteivorsitz wirkt Merkel befreit

Merkel treiben diese Themen in der Tat um. Aber seit sie beim CDU-Parteitag in Hamburg Anfang Dezember ihre Abschiedsrede gehalten und den CDU-Vorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer weitergegeben hat, wirkt sie in gewisser Weise befreit. Sie verfolgt ihre Agenda, die Tagespolitik tangiert sie nicht in gleichem Maß wie vorher.

Bereits einen Tag nach Ende des Parteitreffens flog sie nach Marrakesch, um an der Unterzeichnung des UN-Migrationspakts als einer der wenigen Regierungschefs persönlich teilzunehmen. Die Kritik an dem Vertragswerk war riesig, die USA und etliche EU-Staaten verweigerten ihre Unterschrift.

Fulminante Rede in Davos

Doch Merkel setzte ein deutliches Zeichen für das Abkommen und ihre Vorstellung von Einwanderungspolitik. Es folgte eine fulminante Rede in Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos, wo sie vor allem an die Adresse des nicht in die Schweiz gereisten US-Präsidenten das hohe Lied des Multilateralismus sang. Und den stürmischen Applaus bekam.

Eine ähnliche Rede folgte in der vergangenen Woche in Anwesenheit des US-Botschafters Richard Grenell in Berlin. Die Kanzlerin hat sich international zur wichtigsten Stimme einer internationalen Allianz des Multilateralismus, einfacher ausgedrückt, der internationalen Partnerschaft gemacht. Wohl wissend, dass es eine fragile Allianz ist.

Merkel positioniert sich gegen Trump

Doch sie scheint entschlossen zu kämpfen für ihre Überzeugungen. Und damit auch gegen den Mann im Weißen Haus. Ihre Zurückhaltung ist gewichen, sie spricht nun sehr offen darüber, wie Trump die Weltordnung verändert.

Die deutsche Regierungschefin ist der Ansicht, dass es nicht die Zeit ist, sich selbst klein zu machen. Sie ist überzeugt, dass Trump jede Schwäche erkennt und ausnutzt. Deswegen müsse man immer stärker herausstellen, wofür Deutschland stehe.

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Auch um den Populisten im eigenen Land und im benachbarten Ausland keine Stimme zu geben. So gesehen ist Japan der Besuch bei einem „großen Verbündeten“, wie es in der Delegation heißt. Es ist das Zusammenrücken von Partnern, die sich gegen die zur Wehr setzen, die einen anderen Kurs fahren. Unentschieden,wie das Rennen ausgeht.

Merkel ist realistisch.Gegen die großen Player wird es schwierig.

Ein besonderer Besuch im Kaiserpalast

Die Wertschätzung, die Merkel in Japan erfährt, kann man an einem besonderen Termin am Dienstag deutlich. Sie wird Kaiser Akihito zusammentreffen, das dritte Mal bereits. Doch der 85 Jahre alte Monarch wird am 30. April abdanken, am 1. mai übernimmt Kronprinz Naruhito, deswegen ist der Besuch im Kaiserpalast ein besonderer.

Wenn sich die Türen im Audienzzimmer Shohiroma öffnen, hat die deutsche Regierungschefin ein Ziel erreicht. Deutschlands wichtige Rolle im Pazifikraum zu untermauern.

Japan: Letzte Neujahrsrede von Kaiser Akihito

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