Berlin. Seit dem 1. Januar hat Rumänien die EU-Präsidentschaft inne. Schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Bukarest lassen Zweifel aufkommen.

Kann ein Land, in dem innenpolitisch Krieg herrscht, die Ratspräsidentschaft der EU ausüben? Rumänien hat diese Aufgabe turnusmäßig am 1. Januar übernommen. Doch kaum ein Tag vergeht, ohne dass in Bukarest an verschiedenen Fronten schwere Konflikte ausgetragen werden. So wettert Präsident Klaus Johannis gegen die Regierung, brandmarkt ihre Spitzen-Repräsentanten als „Unfall der Demokratie“, „Kriminelle“ oder „Verbrecher“.

Die Ministerpräsidentin Viorica Dancila verwahrt sich gegen die Rügen des Staatsoberhaupts und schießt verbal zurück. Johannis, der sein Land bei EU-Gipfeln vertritt, kann sich immerhin auf Rückhalt in der Bevölkerung verlassen. Im vergangenen August demonstrierten im ganzen Land mehr als 100.000 Menschen gegen Korruption. „Diebe, Diebe“ riefen sie und forderten den Rücktritt der Regierung.

Parteichef wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt

Die Zielscheibe ihrer Kritik ist vor allem Liviu Dragnea, Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD. Der gelernte Ingenieur gilt als der starke Mann in Bukarest, obwohl er gar nicht am Kabinettstisch sitzt. Der 56-Jährige ist ein mit allen Wassern gewaschener Strippenzieher, der die Richtung in der Regierung vorgibt. Er hatte in der Vergangenheit mehrere Ministerposten inne – unter anderem für Inneres und regionale Entwicklung.

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, und Viorica Dancila, Ministerpräsidentin von Rumänien.
Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, und Viorica Dancila, Ministerpräsidentin von Rumänien. © dpa | Geert Vanden Wijngaert

Aufgrund einer Vorstrafe wegen Wahlmanipulation darf er nicht Regierungschef werden. In laufenden Verfahren drohen ihm Haftstrafen. In erster Instanz wurde er im Juni wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Darüber hinaus wird gegen ihn wegen Veruntreuung von EU-Fördergeldern in Höhe von rund 21 Millionen Euro ermittelt. Hierbei soll Dragnea eine „kriminelle Gruppe“ gegründet haben, die Dokumente fälschte, um illegal EU-Mittel zu erhalten. Der Beklagte bestritt jegliches Fehlverhalten. Teile seines Vermögens wurden beschlagnahmt.

Präsident musste Hitler-Vergleiche über sich ergehen lassen

Präsident Johannis hat seit der Regierungsübernahme durch die PSD Anfang 2017 versucht, Sand ins Getriebe der geplanten Justizreform zu streuen. Er verwies Gesetze an das Parlament zurück, reichte Klagen vor dem Verfassungsgericht ein und nutzte Fristen bis zum letztmöglichen Termin aus. Damit trieb er den PSD-Vorsitzenden Dragnea zur Weißglut.

Dessen Getreue lancierten die Verschwörungstheorie, dass Johannis die Marionette eines „tiefen Staats“ im Staat sei, die auf eine heimliche Verquickung von Geheimdienstleuten und Justiz zurückgehe. Auch Hitler-Vergleiche musste der aus einer deutschen Familie in Siebenbürgen stammende Johannis sich gefallen lassen. Dragnea sprach kürzlich sogar von einem möglichen Verfahren wegen Landesverrats gegen den Staatschef.

Polen und Ungarn dienen als Vorbild

Trotz aller Verzögerungstaktik: Verhindern kann der Präsident Gesetze nicht. So musste Johannis im Sommer ein Paket unterzeichnen, das den Einfluss der Regierung auf die Justiz, vor allem auf die Staatsanwaltschaft, stark ausweitet. Aufgrund der neuen Definition von Amtsmissbrauch müssten etliche Korruptionsverfahren eingestellt werden, auch der laufende Prozess gegen Dragnea. Zudem soll der Generalstaatsanwalt Augustin Lazar abberufen werden.

Die populäre Chefin der Anti-Korruptionsbehörde DNA, Laura Kövesi, wurde bereits gefeuert. Kritiker werfen der Regierung vor, sie wolle die Justiz an die Kandare nehmen. Vorbilder seien die Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Beide streben eine deutlich strengere Kontrolle von Justiz und Medien an. Die EU-Kommission hat bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen die zwei Länder eingeleitet.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker übt scharfe Kritik an Bukarest

In Brüssel läuten die Alarmglocken. EU-Kommissionchef Jean-Claude Juncker sagte, Rumänien sei zwar technisch gut auf die Ratspräsidentschaft vorbereitet. „Ich glaube aber, dass die Regierung in Bukarest noch nicht in vollem Umfang begriffen hat, was es bedeutet, den Vorsitz über die EU-Länder zu führen“, so Juncker. Dazu brauche es „die Bereitschaft, anderen zuzuhören, und den festen Willen, eigene Anliegen hintanzustellen. Da habe ich einige Zweifel.“

Die rumänische Regierung reagierte äußerst dünnhäutig auf Junckers Worte. Ministerpräsidentin Dancila nannte die Schelte aus Brüssel „unfair“. Rumänien werde diskriminiert und das „Recht auf eine eigene Meinung“ verweigert. Man übe nur deshalb Kritik, weil es ein osteuropäisches Land sei. Die EU – so scheint es – eignet sich aus Bukarester Sicht derzeit besonders als Prügelknabe. Kurz vor Weihnachten verhängte das Kabinett per Eilverordnung eine „Gier-Steuer“. Laut PSD-Chef Dragnea richtet sie sich insbesondere gegen die von der EU angeblich bevorteilten internationalen Unternehmen, die den rumänischen Staat hintergingen.

Derlei Vorwürfe sind eine schwere Hypothek für die anstehende Ratspräsidentschaft. Das Gremium der 28 Staats- und Regierungschefs setzt wichtige Themen der Gemeinschaft. Wie Rumänien für die nächsten sechs Monate seine Rolle als ehrlicher Makler ausfüllen will, erscheint heute schleierhaft.