Kiew. Der Krieg in der Ukraine bedroht auch die Umwelt. Bergwerke werden überflutet – lebensgefährliche Stoffe verunreinigen das Trinkwasser.

Die Kiewer Presse hat die Grube Butowka „Grube des Todes“ getauft. Schon zu Kriegsbeginn verschanzten sich ukrainische Soldaten in dem Kohlebergwerk am Westrand von Donezk. Ihre Artilleriebeobachter saßen auf dem Förderturm, die Rebellen und ihre russischen Verbündeten zerschossen ihn aus allen Rohren.

Es herrscht Krieg im Donbas. Das Gekläff der Minenwerfer schallt durch eine von Fördertürmen und Fabrikschloten beherrschte Industrielandschaft. Sie ist marode. Und nach viereinhalb Jahren Kleinkrieg drohen Giftstoffe und Atommüll das Donbas in totes Land zu verwandeln.

Schon vor dem Krieg plante die Ukraine zwei Drittel der 127 Zechen im Donbas stillzulegen. Von 93 Gruben im Rebellengebiet arbeiten noch etwa 25, auf der ukrainischen Seite knapp 30.

Viele Gruben im Donbas durch Schächte verbunden

Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für die besetzten Gebiete sind im Kriegsgebiet 65 Zechen geflutet worden. Oder werden gerade geflutet. Das heißt, man hat die Pumpen abgeschaltet, die den Spiegel des Grubenwassers stabil halten. Mancherorts sind die Pumpstationen so marode wie die Bergwerke, anderswo liegen ihre Zugänge unter Beschuss.

Der Kiewer Hydrogeologe Jewgeni Jakowlew besitzt Wasserstandsangaben über 22 Zechen im Rebellengebiet: Vom 1. November 2017 bis zum 1. Juli dieses Jahr stieg ihr Wasserspiegel im Schnitt um mehr als 83 Meter. Schon jetzt dringt laut Jakowlew das Grubenwasser vielerorts in Erdschichten ein, in denen es sich mit Grundwasser vermischt.

„In fünf bis zwölf Jahren wird das stark mineralisierte und verschmutzte Grubenwasser die Brunnen, Quellen und Flussläufe erreichen.“ Eine schleichende Apokalypse. Jakowlew hat mit einem internationalen Forscherteam im Auftrag der OSZE ein Jahr lang die ökologische Lage des Donbas unter Tage untersucht.

Nach seiner Einschätzung sind inzwischen 88 Prozent der unterirdischen Trinkwasserreserven dort ungenießbar. „Die Region“, sagt er, „wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein.“

Radioaktive Partikel könnten im Trinkwasser landen

Minenarbeiter in der Rebellenhauptstadt Donezk.
Minenarbeiter in der Rebellenhauptstadt Donezk. © picture alliance / Viktor Drache | dpa Picture-Alliance / Viktor Drachev

Rasant stieg das Wasser in der Grube „Junger Kommunarde“ in Jenakijewo, zwischenzeitlich um 4,6 Meter täglich. Laut Jakowlew wegen des Wasserdrucks aus zwei bereits gefluteten Nachbarzechen. Viele Gruben im Donbas sind durch Schächte verbunden. Und in einem Streb des 2001 stillgelegten Jungkommunarden lagert eine Kapsel mit dem radioaktiven Restmüll einer experimentellen Atomexplosion aus dem Jahr 1979.

Jakowlews Arbeitsgruppe rechnet damit, dass diese Kapsel im Herbst 2019 unter Wasser gerät. Nach Aussage eines Beamten der Donezker Rebellenregierung haben russische Fachleute das Projekt einer „nassen Konservierung“ der Kapsel vorgestellt. Es werde nichts Schlimmes passieren. Auch wenn die überschwemmte Kapsel platzen sollte, würden sich die Radionuklide darin aufgrund des Wasserdrucks aus den Nachbargruben nur langsam ausbreiten.

„Die Gefahr, dass der radioaktive Inhalt mit einem Mal entweicht, ist sehr gering“, sagt auch der Ukrainer Jakowlew. „Und es werden nicht mehr als 50 Curie Strahlung frei, das ist ein Millionstel der Strahlung von Tschernobyl.“ Aber er schließe nicht aus, dass radioaktive Partikel am Ende auch im Trinkwasser landen.

Zuviel Sulfat, Kupfer und Eisen im Wasser

Das Unheil verbreitet sich auf beiden Seiten der Front. Im Mai kamen die Pumpen in der ukrainischen Zeche Solotoje nicht mehr gegen das steigende Wasser an, das aus drei gefluteten Zechen der Rebellenrepublik Lugansk strömte. In zwei Monaten stieg der Wasserspiegel in Solotoje von minus 867 auf minus 700 Meter und überschwemmte alle aktiven Flöze. Steigt er weiter, droht Ähnliches auch zwei ukrainischen Nachbarzechen.

Die ukrainischen Hydrologen haben danach das Grubenwasser in Solotoje untersucht, sie fanden darin 1240 Milligramm Sulfat pro Liter, (die ukrainische Trinkwassernorm erlaubt maximal 250 Milligramm), 3,7 Milligramm Kupfer (Norm: 1 Milligramm) und 16,9 Milligramm Eisen (Norm: 0,2 Milligramm).

Ein höchst ungesundes Gebräu, das Experten als „gelben Jungen“ bezeichnen, wegen seiner orangenen Färbung, aber auch wegen des Mineralstoffgehalts, der seinen pH-Wert drastisch verändert. Solches Wasser droht dem gesamten Donbas.

Rebellen verschweigen schleichende Katastrophe

Die Region ist voller Gift. Die stillgelegte Quecksilbergrube in Gorlowka liegt unter dem Sewerskij Donez-Donbas-Kanal. Er versorgt die Rebellenhauptstadt Donezk wie die ukrainische Industriemetropole Mariupol mit Trinkwasser. Im November berichtete der dem ukrainischen Geheimdienst nahe Parlamentarier Dmitri Timtschuk, die Rebellen hätten die Pumpen hier und in einer weiteren Quecksilbermine abgestellt.

Auch über der Erde ticken Zeitbomben. Etwa die 300.000 Tonnen Chemiemüll einer stillgelegten Munitionsfabrik in Gorlowka. Sie zu beschießen, komme Völkermord gleich, warnen die Separatisten.

Die schleichende Katastrophe unter Tage wird dagegen in den Rebellenrepubliken öffentlich totgeschwiegen, auch die Experten dort bemühen sich um Optimismus. „Katastrophen, das sind Tsunami oder Vulkanausbrüche“, sagt Professor Viktor Driban vom Donezker Institut für Bergbaugeologie. Die gebe es hier nicht. Er hofft auf Drainagen, Abflusskanäle und Bohrungen, um das aufsteigende Grubenwasser wieder zu senken.

Die ukrainischen Soldaten halten noch immer die Trümmer der Zeche Butowka. Die Rebellen erwarten eine ukrainische Winteroffensive. Der Aktivist Sergei Nowikow ruft im Internet dazu auf, der Front Batterien für Schützenpanzer zu spenden. Und, „am ehesten wegen der Wasserqualität“, Arzneien gegen Wurminfektionen für die gesamte Truppe.