Berlin. Abtreibungen lassen sich nicht verhindern – auch nicht, wenn Ärzte und Frauen diffamiert werden. Betroffene brauchen Informationen.

Was wurde damals gerungen um die Reform des Paragrafen 218, der die Abtreibung regelt: Mehr als 20 Jahre stritten Parteien und Gerichte bis im Jahr 1995 die Fristenlösung eingeführt wurde.

Seitdem bleibt Abtreibung zwar rechtswidrig, ist aber straffrei, sofern Frauen in den ersten drei Monaten die Schwangerschaft abbrechen und sich vorher beraten lassen.

Paragraf 219a interessierte früher keinen

Wiederum 20 Jahre lang blieb es danach still um das Thema Abtreibung – ein wichtiges frauenpolitisches Ziel war schließlich erreicht. Abtreibung war kein düsteres Kapitel mehr, in dem „gefallene Mädchen“ unter den Händen von pfuschenden Engelmacherinnen starben oder – wenn sie überlebten – kriminalisiert wurden.

Es gab Ärzte, es gab Beratungsstellen, Frauen in Not fanden Hilfe. Das Werbeverbot – der Paragraf 219a – interessierte niemanden.

Doch inzwischen sitzen mit den Abgeordneten der AfD klare Abtreibungsgegner im Bundestag. Auch in evangelikal-christlichen Kreisen machen sogenannte Lebensschützer mobil, sie durchforsten das Internet und zeigen Ärzte an, die über Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis informieren – wie die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie Downloads zum Ablauf einer Abtreibung bereitstellte.

In Köln rollten im September „Lebensschützer“ im Schaufenster einer Buchhandlung ein Plakat aus mit der Aufschrift „Abtreiben macht frei“ – gestaltet wie der Schriftzug „Arbeit macht frei“ am Konzentrationslager Auschwitz.

Papst verglich Abtreibung mit Auftragsmord

Und auch die katholische Kirche, die genug zu tun haben müsste mit der Aufarbeitung des jahrzehntelangen Missbrauchs von Kindern, steigt voll in die Debatte ein: Ein Kind abtreiben zu lassen sei „wie einen Auftragsmörder zu mieten“, erklärte neulich der Papst.

Kein Wunder, dass in diesem Klima immer mehr Gynäkologen ihr Angebot auf die Begleitung von Schwangerschaften, Wechseljahrsbeschwerden und Krebsvorsorge beschränken. In Münster etwa finden Frauen keinen Gynäkologen mehr, der Abbrüche vornimmt. Und Medizinstudenten der Berliner Charité haben eine Arbeitsgruppe gegründet, in der sie sich selbst die sichere Abtreibung beibringen – auf dem Lehrplan steht sie nicht.

Um es mal klar zu sagen: Jedes Kind, das geboren wird, ist wunderbar. Und es ist richtig, Abtreibung zu vermeiden, wo immer es geht. Das kann mit Unterstützung und mit Aufklärung funktionieren – in dieser Hinsicht wird sicher zu wenig getan.

Ärzte müssen informieren dürfen

Aber Abtreibung lässt sich nicht verhindern, wenn Ärzte und Frauen verfolgt, diffamiert oder gar bestraft werden. Müssen Adressen von Arztpraxen wie in alten Zeiten geheim weitergegeben werden und Frauen weit reisen, verstärkt das nur die Notlage der Frauen.

Wenn Abtreibungen gesetzlich geregelt sind – das sind sie mit dem Paragrafen 218 – dann müssen Ärzte auch darüber informieren dürfen. Das heißt nicht, dass sie im marktwirtschaftlichen Sinn um Patientinnen buhlen. Zudem müssen Frauen recherchieren können, was medizinisch auf sie zukommt – auch über das Internet.

Das Werbeverbot in der jetzigen Form aber kommt einem Informationsverbot nah. Das ist besonders schlimm, weil Frauen, die sich nicht in der Lage sehen ein Kind auszutragen, mit ihrer Entscheidung meist allein sind – sonst wären sie ja nicht in der Notlage.

Auf der Suche nach Information landen sie schnell in düsteren Chatrooms, die von der Digitalmaschinerie der „Lebensschützer“ infiltriert sind. Das bringt sie – zumindest gefühlt – wieder in die Ecke von Scham, Schuld und Pfusch alter Zeiten. Wer hätte gedacht, dass wir solche Debatten noch führen müssen!