Hamburg. Angela Merkel verabschiedet sich nach insgesamt 18 Jahren von der Spitze der CDU. Sie hinterlässt eine von Grund auf veränderte Partei.
Der traditionelle Rundgang durch die Parteitagshalle, wieder einmal. Routine für Parteivorsitzende, ein Bild, ein kurzes Statement – Angela Merkel hat diesen Termin unzählige Male absolviert. Doch zu Beginn der CDU-Parteitags in Hamburg wohnte der Gewohnheit ein Abschied inne.
Es war Merkels letzte Hallenbegehung. An diesen Freitag wird sie nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren – am Abend wird sie die ehemalige Parteivorsitzende sein. Nach 18 Jahren macht Merkel den Weg frei für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
Was ihr durch den Kopf geht? „Ich bin dankbar“, sagt sie schlicht. Und fügt an: Sie sei, „wie alle anderen auch, natürlich gespannt. Das ist Demokratie pur, wenn Auswahl besteht“.
Dankbarkeit und Neugierde also bleiben, wenn man nach 18 Jahren den Weg freimacht für drei ehrgeizige Nachfolgekandidaten. Das sind die wichtigsten Infos zum CDU-Parteitag.
Gesellschaftsbild der CDU hat Merkel modernisiert
An diesen Freitag endet in Hamburg, was in Essen im April 2000 begann: Die Karriere der ostdeutschen Physikerin an der Spitze der Partei. Mit überwältigender Mehrheit wurde sie damals zur Vorsitzenden gewählt, die erste Frau an der Spitze der Konservativen.
Den Vierteljahrhundert-Vorsitz ihres Vorgängers Helmut Kohl hat die 64-Jährige nicht erreicht – aber diesen Ehrgeiz hatte sie auch nicht. Mit Merkel an der Spitze stellte die CDU viermal die Kanzlerin.
Merkel hat der CDU vieles zugemutet: Atomausstieg, Aussetzung der Wehrpflicht, die Ehe für alle, die Öffnung in die Mitte der Gesellschaft. Manch Konservativem in der CDU war vieles davon ein Gräuel. Auch das Gesellschaftsbild der CDU hat Merkel auf breiter Front gegen massiven Widerstand modernisiert, etwa hinsichtlich der Rolle von Frauen. Doch nichts hat die Partei so umgetrieben wie die Flüchtlingspolitik aus dem Jahr 2015.
Eiserner Machtwille und ebensolches Regiment
Die Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge nicht zu schließen, führte zu viel Anerkennung in anderen Lagern. Doch auch zu Ablehnung im eigenen. „Ob jemand aus Karlsruhe oder aus Kabul kommt, ist egal. Hauptsache, unser gesellschaftliches Wertesystem wird akzeptiert“, fasste es ein Mitstreiter Merkels einmal zusammen.
Diese Sichtweise, ihr „Wir schaffen das“, hat viele CDU-Mitglieder und Wähler überfordert. Das Erstarken der AfD war die Folge.
Merkel wird in der Partei geschätzt: für ihren trockenen Humor, die unprätentiöse Art, klare Ansagen. Ihre fehlende rhetorische Stärke, ihre einsamen Entscheidungen, das Nichtzuhören, wenn es um andere Sichtweisen geht – das werfen ihr Kritiker vor.
Letztlich warfen vor allem Männer der ersten Frau an der Spitze der CDU ihren eisernen Machtwillen und ein ebensolches Regiment vor. Die Fähigkeit zur Empathie sei Merkel gegeben – aber eher im persönlichen Rahmen, so formuliert es einer, der sie schon lange kennt.
Pegida und AfD-Anhänger schrien Merkel an
Der Abschied von der Parteispitze, den sie im Sommer reiflich überlegt und kaum jemandem mitgeteilt hatte, fällt ihr nicht leicht. Die Entscheidung kam nicht über Nacht, ihr waren kräftezehrende Monate vorausgegangen.
Rückblick: Der Wahlkampf, der sich plötzlich ausschließlich um die Flüchtlingspolitik dreht. Die Auftritte, bei denen Merkel gar nicht mehr zu Wort kommt, weil Pegida und AfD-Anhänger sie niederschreien, hinterlassen bei ihr Spuren. Sie wird immer wieder darauf zurückkommen.
„Wenn man nicht mehr die Möglichkeit bekommt, sich zu äußern, Argumente auszutauschen, dann ist die Demokratie in Gefahr.“ Es folgt ein schlechtes Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl, die Pressekonferenz am Tag danach, bei der ihr der Satz rausrutscht: „Ich kann nicht sehen, was wir hätten anders machen sollen.“ Bis heute fühlt sie sich deswegen missverstanden, der Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Nur neun Stimmen mehr bei Kanzlerwahl
Die Jamaika-Verhandlungen, die freudvoll auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft begannen und im Novemberregen 2017 vor der Baden-Württembergischen Landesvertretung mit dem Rückzug von FDP-Chef Christian Lindner bitter endeten: Sie führen Merkel die Grenzen ihrer Macht vor Augen.
Das sind die CDU-Vorsitzenden seit 1946
Es folgten Audienzen bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dann eine mühsame, sich hinziehende Regierungsbildung mit der SPD. Bei der Wahl zur Kanzlerin sind es nur neun Stimmen mehr, die ihre Macht sichern.
Doch dann kommt es zur eigentlichen Zäsur in diesem Jahr: Den erbitterten Streit mit der CSU, allen voran Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer, um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze. Die persönlichen Angriffe der CSU-Granden perlten an ihr nicht spurlos ab.
Streit um Verfassungsschutzpräsident um Maaßen
Schon über das Verhalten von FDP-Chef Lindner, ein Duzfreund von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, hatte sie im November 2017 gemutmaßt: „Die wollen mich fertigmachen.“ Die Fraktionsgemeinschaft mit der CSU steht auf dem Spiel. Merkel ist klar, dass es um ihre Person geht. Sie soll endlich eingestehen, 2015 einen Fehler begangen zu haben. Ihre liberale Flüchtlingspolitik widerrufen. Merkel bleibt inhaltlich unbeirrt, persönlich ist sie schwer getroffen.
Eine weitere Niederlage gibt es in der Fraktion. Merkels Vertrauter Volker Kauder wird nicht wiedergewählt, ein nahezu Unbekannter drängt ihn aus dem Amt. Merkel spricht von einer „Niederlage“. Es folgt der Streit mit SPD und CSU um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, für den sich Merkel öffentlich entschuldigt.
Wunsch nach konservativem Kurs eint CDU
Wer sie in dieser Zeit in kleinem Kreis erlebt, der erlebt eine Politikerin, die mit sich im Reinen ist – eine gewisse Bitterkeit gleichwohl nicht verstecken kann, wahrscheinlich sogar nicht verstecken will. Dennoch: Seit sie vor rund sechs Wochen erklärt hat, entgegen jahrelanger Überzeugungen doch CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft zu trennen, wirkt sie bei vielen Auftritten fast wie befreit.
Im Bundestag hält die Kanzlerin Reden in einer Deutlichkeit, die sich viele ihrer Kritiker gewünscht haben. Gegenüber schwierigen internationalen Gesprächspartnern wie dem Russen Wladimir Putin scheinen ihre kritischen Worte noch deutlicher als früher. Das „Forbes“-Magazin wählte sie gerade erst erneut zur mächtigsten Frau der Welt, lobt sie für ihren Umgang mit US-Präsident Donald Trump.
Die Partei wird sich verändern, egal wer von den drei Kandidaten Vorsitzender wird. Merkel weiß das. Die Zeiten sind andere, der Wunsch nach einem konservativen Kurs eint die meisten in der Partei. Doch unter Annegret Kramp-Karrenbauer, die Merkel duzt, könnte sie zumindest sicher sein, dass ihr Erbe in ähnlichem Stil verwaltet würde. Dem Kandidaten Friedrich Merz, dem sie einst den Fraktionsvorsitz entriss, unterstellt Merkel vor allem ein Engagement für sich selbst. Sie weiß, dass man über Eitelkeiten stolpern kann. Das wiederum ist ihr nie passiert.
Darauf ist sie stolz. Egal, welcher der Anwärter ihr nachfolgt.