Berlin. Krankenkassen streiten mit Kliniken um Fehler in Abrechnungen. Sozialgerichte erreicht eine Klagewelle. Schuld ist ein neues Gesetz.

Die deutschen Sozialgerichte werden derzeit von einer unerwarteten Klagewelle überrollt. Laut einer Umfrage des Deutschen Richterbunds bei den Justizministerien der Länder haben allein im November rund 60.000 Klagen die Sozialgerichte erreicht.

Sie stammen fast alle von gesetzlichen , die sich mit Krankenhäusern um Abrechnungen streiten. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2017 gingen bei den Sozialgerichten rund 343.000 Klagen ein.

Weil jede Klage in der Regel mehrere Fälle zusammenfasse, sei insgesamt „von Fallzahlen im sechsstelligen Bereich“ auszugehen, sagte der Bundesgeschäftsführer des Richterbunds, Sven Rebehn, unserer Redaktion. „Die Sozialgerichte werden kaum in der Lage sein, die riesigen Verfahrenszahlen mit dem bestehenden Personal in absehbarer Zeit zu bewältigen.“

Komplizierte Verfahren für die Gerichte

Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Klinken seien für Sozialgerichte stets aufwendig, so Rebehn. Sie seien juristisch kompliziert. Oft müssten medizinische Gutachten erstellt werden.

Auslöser für die Klagewelle ist ein Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das vor drei Wochen vom Bundestag beschlossen wurde. Es verkürzt den Zeitraum, innerhalb dessen sich Krankenkassen wegen fehlerhafter Rechnungen Geld von Krankenhäusern zurückholen können. Diese Frist läuft Ende des Jahres ab.

Bei den umstrittenen Rechnungen geht es um Zuschläge, die Krankenhäuser bekommen, wenn sie Schlaganfall-Patienten sehr schnell versorgen. Die Patienten müssen dafür binnen 30 Minuten in eine Spezialklinik verlegt worden sein. Allerdings hatte das Bundessozialgericht kürzlich in einem Urteil neu definiert, wie die 30 Minuten berechnet werden.

Krankenkassen fordern Zuschläge zurück

Diese Entscheidung nahmen viele Krankenkassen zum Anlass, gegen die aus heutiger Sicht überhöhten Abrechnungen der Kliniken zu klagen. Sie fordern die gezahlten Zuschläge zurück. Weil viele auf Schlaganfälle spezialisierte Krankenhäuser das Geld fest eingeplant haben, geraten sie nun in finanzielle Schwierigkeiten.

Im Bundesgesundheitsministerium wird die Zahl der bei den Sozialgerichten eingegangenen Klagen bestätigt. Insgesamt gehe es dabei um rund 275.000 Fälle mit einem strittigen Betrag von etwa 655.000 Euro, hieß es am Donnerstag. Minister Spahn hofft nun, den allermeisten Klagen der Kassen noch die rechtliche Grundlage entziehen zu können.

Spahn hofft auf Rücknahme der Klagen

Dafür sollen die Rechnungen der Krankenhäuser rückwirkend für korrekt erklärt werden. Die gesetzliche Grundlage dafür gibt es bereits – sie ist in genau dem Gesetz enthalten, das nun die Klagewelle ausgelöst hat.

Am nächsten Mittwoch wollen Spahns Beamte das Problem mit den Chefs der Krankenkassenverbände klären. Das Ziel: Rücknahme der meisten Klagen.