Berlin. Die Bundesregierung will ein neues Zuwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Was sich damit ändern soll – und was Kritiker bemängeln.

Seit Jahren machen deutsche Firmen Druck. Jetzt will die Bundesregierung ihre lange, aber bisher ergebnislose Debatte in ein neues Gesetz gießen. Es ist das erste Einwanderungsgesetz für die Bundesrepublik. Die Ministerien für Arbeit, Wirtschaft und Inneres haben sich auf einen Entwurf geeinigt.

Hürden für Ausländer, die nicht aus Europa kommen, sollen gesenkt werden. Auch Flüchtlingen will die Regierung bessere Chancen geben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Gerade für „Engpassberufe“ sollen Schranken abgebaut werden. Am 19. Dezember will die große Koalition über den Gesetzentwurf entscheiden. Wir erklären die wichtigsten Punkte – und die Kritik.

Wie groß ist der Fachkräftemangel in Deutschland?

Vor allem Süd- und Ostdeutschland sind vom Fachkräftemangel betroffen. Der neue Gesetzesentwurf widmet sich verstärkt den Bereichen Pflege, Gesundheit, Informationstechnik sowie Berufen, die sich aus den sogenannten MINT-Fächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ergeben. Allein in der Pflege fehlen derzeit rund 25.000 Fachkräfte.

In Deutschland fällt es Unternehmen laut einer Studie der ManpowerGroup zufolge überdurchschnittlich schwer, Fachkräfte zu finden. Über die Hälfte der Arbeitgeber gab an, nicht das geeignete Personal finden zu können. Vor allem mittelqualifizierte Arbeitnehmer, also solche mit Ausbildung, aber ohne Universitätsabschluss, seien laut der Studie zunehmend gefragt. Das trifft auf Handwerker, Fahrer und Maschinenführer zu.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks bezifferte jüngst die Zahl fehlender Fachkräfte im Handwerk auf 250.000 Arbeitnehmer. Die Entwicklung wird sich in Zukunft verschärfen, da aufgrund des demografischen Wandels und der damit einhergehenden alternden Gesellschaft viele Berufsplätze in Zukunft nicht mehr besetzt werden können. Laut Studien im Auftrag der Wirtschaft werden in zwölf Jahren rund fünf Millionen Fachkräfte fehlen. Bei Mittelständlern bleibt schon jetzt jede dritte Stelle unbesetzt.

Was will die Regierung jetzt ändern?

Bisher können studierte Ausländer aus Nicht-EU-Staaten ohne ein konkretes Jobangebot zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Das soll jetzt auch für Nicht-Akademiker mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gelten: vor allem Handwerker und Krankenpfleger.

Sechs Monate dürfen die Ausländer eine Anstellung in Deutschland suchen. Sozialleistungen bekommen sie in dieser Zeit nicht. Sie können bis zu zehn Stunden pro Woche bezahlt Probe arbeiten. Wer unter 25 Jahren ist, darf auch zur Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz für sechs oder neun Monate kommen.

Voraussetzungen sind immer gute Deutschkenntnisse. Auch ihren Lebensunterhalt müssen die Jobsuchenden aus dem Ausland in den Monaten in Deutschland ohne Geld vom Staat sichern. Wenn ein Arbeitsvertrag unterschrieben ist, sollen Akademiker und Fachkräfte in allen Berufen, zu denen die erworbene Qualifikation befähigt, in Deutschland arbeiten können. Die Beschränkung auf Berufe, in denen die Bundesagentur für Arbeit Engpässe festgestellt hat, fällt weg.

Das sind derzeit 61 Berufe und Untergruppen, 14 mehr als Ende 2017. Auch auf die Prüfung, ob nicht ein einheimischer Jobbewerber Vorrang hätte, wird verzichtet. Es soll aber möglich sein, diese Prüfung zum Schutz einheimischer Arbeitnehmer wieder einzuführen.

Wie sollen Flüchtlinge bei der Arbeitssuche gefördert werden?

Die Ministerien erkennen den Wert der bereits in Deutschland lebenden Flüchtlinge. Oftmals fehlen ihnen jedoch anerkannte Berufsausbildungen. Wer als Geflüchteter schon eine Ausbildung in seiner Heimat absolviert hat, aber noch Erfahrung im Job für die Anerkennung in Deutschland sammeln muss, soll das berufsbegleitend machen dürfen.

Ist ein „Spurwechsel“ vom Asylsystem möglich?

Ja. Allerdings heißt er im Gesetzesentwurf nicht mehr „Spurwechsel“, sondern „Beschäftigungsduldung“ – und ist mit einer ganzen Reihe an Einschränkungen versehen: Wer über gute Deutschkenntnisse verfügt, und seit eineinhalb Jahren mindestens 35 Wochenstunden beschäftigt ist und entsprechend Sozialversicherungsabgaben gezahlt hat, wird für weitere zwei Jahre geduldet. Eine Art „Aufenthalt auf Probe“ beginnt.

Außerdem müssen die Geflüchteten, die vom „Spurwechsel“ Gebrauch machen, schon seit mindestens zwölf Monaten geduldet sein und dürfen nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein. Diesen Zeitraum hält sich die Bundesregierung offen, um sicherzustellen, dass die Ausländerbehörden innerhalb dieser zwölf Monate abschieben können, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.

Diese Regelung war in den Verhandlungen in der GroKo umstritten. Die Union beharrte auf restriktiven Bedingungen für eine verlängerte Duldung von Ausländern, die eigentlich abgeschoben werden sollen.

Welche Kritik gibt es an dem Gesetz?

Kritiker bemängeln die hohe Bürokratie. Die schon jetzt komplizierten und langwierigen Voraussetzungen für ein Arbeitsvisum für Deutschland werden weiter aufgeblasen. Der Gesetzentwurf wirkt zudem nicht aus einem Guss – da die Ministerien jeweils auch unterschiedliche Positionen vertreten, wie strikt Deutschland bei der Einwanderung sein soll.

Zudem ist selbst der Bundesregierung unklar, wie viele neue Fachkräfte mit dem neuen Gesetz nach Deutschland geholt werden können. Nach fünf Jahren will der Bund die Maßnahmen auswerten. Die Kommunen kritisieren das neue Gesetz.

„Die mit dem Einwanderungsgesetz verknüpften Erwartungen sind illusorisch“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. Für den Fachkräftemangel in Deutschland werde es „nicht viel mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Landsberg will verstärkt das Potenzial auf dem deutschen und dem EU-Arbeitsmarkt nutzen. „Die Lösung für das Fachkräfteproblem kann nur innerhalb Deutschlands und der EU gefunden werden. Dazu brauchen wir allerdings kein Einwanderungsgesetz.“

Potenzial sieht Landsberg in der Gruppe der „gut integrierten, arbeitenden Flüchtlinge, die trotz Ausbildungs- oder Arbeitsverträgen nicht sicher sein können, wie lange sie bleiben dürfen“. Landsberg wirbt dafür, ab einem Stichtag ein „dauerhaftes Niederlassungsrecht“ für Geflüchtete einzuführen. (mit dpa/rtr)