Berlin. Viele Deutsche sind unzufrieden mit der großen Koalition und ihrem Spitzenpersonal. Dabei können wir uns ziemlich glücklich schätzen.

Wenn Historiker in ferner Zukunft einmal in den Datenclouds wühlen und die Dekade von 2009 bis 2019 aufrufen, werden sie denken, was müssen das für glückliche und zufriedene Menschen damals in Deutschland gewesen sein.

Während der Süden Europas noch immer unter den Folgen der Finanzkrise litt, erlebte die größte Volkswirtschaft zehn Jahre Aufschwung nonstop. Fast Vollbeschäftigung, ein solidarischer Sozialstaat, dazu ein gutes Gesundheitssystem. Im nächsten Jahr schüttet die große Koalition aus CDU, CSU und SPD ein Füllhorn weiterer sozialer Wohltaten über das Land aus. Viele Familien werden durch Kindergeld, bei Sozialbeiträgen und steuerlichen Maßnahmen um mehrere Hundert Euro bessergestellt.

Es wird genörgelt, was das Zeug hält

Eigentlich müssten bei den Bundestagsabgeordneten in den Wahlkreisen von Flensburg bis Garmisch die Briefkästen mit Dankbriefen überquellen. Doch die schrillen Töne, die man zum Jahresausklang im Ohr hat, passen nicht wirklich zu den wirtschaftlichen Topdaten und Leistungen der Bundesregierung.

Im Bekanntenkreis, auf der Arbeit oder im Sportverein wird gern genörgelt, was das Zeug hält. Politiker? Abgehoben, unfähig, überbezahlt, ist da zu hören. Stopp. Ja, die Spitzenkräfte der schwarz-roten Koalition haben selbst dafür gesorgt, dass die GroKo bei den Bürgern ziemlich in Verruf geraten ist; allen voran Immer-noch-Innenminister Horst Seehofer mit seinen machttaktischen Spielchen rund um Geflüchtete und den geschassten Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen.

Kaum eine Hand regt sich

Ob Union und SPD ihren Ehevertrag bis 2021 überhaupt erfüllen, wird sich nach dem CDU-Parteitag in gut zwei Wochen zeigen, wo über die Nachfolge von Angela Merkel und den Kurs der Union entschieden wird. Am Dienstag zum Auftakt der Haushaltswoche konnten einen Zweifel beschleichen, ob die GroKo sich zusammenrauft.

Nach der zwölfminütigen Rede des SPD-Finanzministers Olaf Scholz, der die sechste schwarze Null in Serie und einen Rekordhaushalt für 2019 verkündete, regte sich in den Reihen von CDU und CSU so gut wie keine Hand. Auch die meisten Sozialdemokraten hingen schlaff in ihren Stühlen.

Deutschland steht bärenstark da

Dabei ist diese Regierung viel besser als ihr Ruf. Scholz hat zwar tief in die Trickkiste beziehungsweise in milliardenschwere Rücklagen für Asyl- und Klimakosten gegriffen, um einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung präsentieren zu können.

Aber Deutschland steht in Europa dennoch bärenstark da. Die Staatsverschuldung ist gesunken, Wettbewerber wie die USA, Italien, Frankreich oder Großbritannien können davon nur träumen. In der Flüchtlingsrücklage schlummern noch mehr als 20 Milliarden Euro. Für Scholz ist das eine schöne Kriegskasse für wirtschaftlich schlechtere Zeiten. Und die werden kommen.

Die Bürger dürften sich bald umgucken

„Die fetten Jahre sind vorbei“, so hieß ein erfolgreicher Kinofilm. Die Deutschen sollten sich bewusst machen, dass sie seit einem Jahrzehnt ökonomisch in Europa auf einer Insel der Glückseligen leben. Der FDP-Politiker Otto Fricke beschrieb das im Bundestag so: „Wer glaubt, sich auf einem Rosenbett ausruhen zu können, der vergisst, das darunter Dornen liegen.“

Als die Konjunktur nach dem Lehman-Crash vor zehn Jahren abstürzte, lief Scholz als Arbeitsminister zur Hochform auf. Mit Kurzarbeitergeld wurden viele Facharbeiterjobs gerettet. Vielleicht schweißt eine neue Krise die Koalition wieder enger zusammen. Die Bürger jedenfalls dürften sich bald umgucken. Denn bei allen Versäumnissen war die zu Ende gehende Merkel-Ära wirtschaftlich gesehen eine goldene.