Berlin. Zum 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts haben wir bei sieben Spitzenpolitikerinnen nachgefragt: Wählen Frauen anders?

Wer die Frauen nicht überzeugt, kann keine Wahlen gewinnen. Das weiß keiner besser als die CDU: Von 100 Deutschen, die bei der letzten Bundestagswahl die CDU gewählt haben, waren 57 Frauen. Auch bei den Grünen war der Stimmenanteil der Frauen deutlich höher als bei den Männern. Die SPD wurde von Frauen und Männern gleichermaßen gewählt. Die AfD dagegen profitierte deutlich stärker von männlichen Wählern, auch bei FDP und Linke machten mehr Männer als Frauen ihr Kreuz. Doch heißt das, dass Frauen grundsätzlich anders wählen als Männer?

100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts am 12. November 1918 wollten wir wissen, was jene Frauen dazu denken, die sich den ganzen Tag mit Politik befassen , mit vielen Bürgerinnen sprechen – aber auch selbst Wählerinnen sind.

Das Ergebnis: sieben Antworten, sieben Sichtweisen.

Katarina Barley (SPD), Justizministerin: Wählen Frauen anders? Das war eine Sorge der Männer, die Frauen lange Zeit verwehrten zu wählen. Sie würden emotionaler, weniger faktenbasiert und berechenbar wählen. Ich antworte mit einer Gegenfrage: Warum ist das wichtig?

Katharina Barley, SPD, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Katharina Barley, SPD, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. © imago/photothek | Michael Gottschalk/photothek.net

Was wichtig ist, ist, dass Frauen wählen, dass sie Politik machen, dass sie ihre Stimme laut hörbar erheben und ein für alle Mal klarmachen: Mein Geschlecht tut nichts zur Sache, meine Meinung schon! Dass Parteien wie die AfD eher weniger von Frauen gewählt werden, obwohl Frauen und Männer gleich häufig rechtspopulistisch eingestellt sind, stimmt mich dennoch zuversichtlich.

Franziska Giffey (SPD), Familienministerin:Mir ist wichtig, dass Frauen wählen gehen und dass mehr Frauen für politische Ämter kandidieren und gewählt werden. Dann bewegt sich nämlich auch mehr für Frauen. Derzeit sind Frauen in keinem Parlament in Deutschland gleichberechtigt vertreten. Im Bundestag ist der Frauenanteil nach der letzten Wahl um 6 Prozent auf 31 Prozent gesunken – das sind so wenige Frauen wie vor 20 Jahren.

Gleichberechtigung muss immer wieder neu erkämpft werden und ist noch längst nicht selbstverständlich. Heute geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Aufwertung der sozialen Berufe und um den Schutz vor Gewalt. Dafür müssen Frauen sich einmischen und bei Wahlen ihre Stimme abgeben.

Nicola Beer (FDP), Generalsekretärin: Meine Erfahrung ist: Frauen wägen die Argumente bei ihrer Wahlentscheidung ebenso klug und vernünftig wie Männer ab. Oder eben nicht. Unsere Demokratie wird von allen Bürgern und Bürgerinnen aus tiefer Überzeugung getragen. Deshalb bin ich stolz, dass wir jetzt schon seit 100 Jahren gleiches Wahlrecht für alle haben.

Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock.
Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. © dpa | Ralf Hirschberger

Annalena Baerbock, Parteichefin Bündnis 90/Die Grünen: Frauen wählen so, wie sie es für richtig halten. Viel interessanter als die Frage, wie Frauen wählen, ist aber doch, warum immer noch so wenige Frauen in den Parlamenten sind. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist nur jede dritte Abgeordnete im Bundestag weiblich. Das ist eine desaströse Bilanz. Daher ist eine Quote zentral.

Alice Weidel (AfD), Fraktionschefin: Frauen beobachten die politischen Prozesse sehr kritisch und wägen ihre Entscheidungen stark ab. Wichtiges Kriterium für die meisten westlichen Frauen ist die Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Die Politik muss darauf eine Antwort geben können und eine positive Vision zeichnen, um die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen zu fördern.

Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke: Ob Frauen anders wählen, ist eine müßige Frage. Entscheidend ist, dass sie die gleichen Rechte haben wie Männer und wie alle, die nicht in die zwei Geschlechterordnungen passen. Das Wahlrecht von Frauen ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Selbstverständlichkeit musste hart erkämpft werden. An dieser Tradition des selbstbewussten Erkämpfens gilt es auch heute anzuknüpfen, wenn wir weitere Selbstverständlichkeiten erkämpfen.

Linke-Chefin Katja Kipping.
Linke-Chefin Katja Kipping. © REUTERS | MICHELE TANTUSSI

Oder andersrum: Auch Männer haben ein Recht darauf, jede zweite Windel zu wechseln und jeden zweiten Elternabend wahrzunehmen. Im Gegenzug könnten wir Frauen sie dann bei den gut bezahlten, schweren, verantwortungsvollen Führungspositionen zur Hälfte entlasten.

Julia Klöckner (CDU), Landwirtschaftsministerin: Ob Frauen anders wählen als Männer? Das kann ich nicht beurteilen. Denn als Mann habe ich noch nicht gewählt. Ich kann lediglich beurteilen, was mir bei der Auswahl von Personen wichtig ist: Dass sie und ihre Aussagen, ihre Ziele, das Auftreten stimmig sind.

Kopf und Bauch spielen eine Rolle. Bei Männern sicher auch. Aber es kann durchaus sein, dass einige Männer weniger auf das vermittelnde Element, das einige Politikerinnen besitzen, Wert legen, sondern mehr auf absolute, markige Aussagen. Das sind aber Stereotype. Was ich aber schon glaube: Wenn immer mehr Frauen in Führungspositionen in der Politik sind, dass sich Männer nach Männern als Führungsperson sehnen, weil sie schlichtweg über Jahrzehnte ein anderes Bild gewohnt waren. Aber es ist eine Frage der Zeit.

Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. © dpa | Soeren Stache

100 Jahre Frauenwahlrecht sind Grund zum Feiern, aber auch immer wieder zum ungläubigen Kopfschütteln: Wirklich, erst seit 100 Jahren? Welche Ungleichheit und Ungerechtigkeit über Jahrhunderte herrschten und wie unklug es war, auf die Talente von Frauen in der Politik zu verzichten! Das, was Generationen vor uns für die Frauen erkämpft haben, sollten wir heute nicht leichtfertig aufgeben. Die Rolle der Frau ist ein Seismograf für die Entwicklung in einer Gesellschaft, für die Demokratiefestigkeit – und genau deshalb sollten wir auch verstärkt Wert auf die gleichwertige Rolle der Frauen unter den Migranten Wert legen.