Monessen. Donald Trump war zum Wahlkampf 2016 nach Monessen gekommen und hatte viel versprochen. Doch was ist von den Versprechen geblieben?

„Ob ich wütend bin?“, fragt Lou Mavrakis rhetorisch, „Leute, ich bin so was von stinksauer.“ Dann schiebt er den Besucher aus Washington an diesem ungewohnt schwülen Novembertag ganz nah an das dreckige Schaufenster eines leer stehenden, von innen verfaulenden Ladenlokals an der fast menschenleeren Donner Avenue von Monessen und sagt: „Hier sieht es aus wie in Beirut.“ Der 81-Jährige, ein eingefleischter Demokrat, war bis vor Kurzem Bürgermeister der 45 Autominuten südlich von Pittsburgh gelegenen Kleinstadt im Bundesstaat Pennsylvania.

Mit einem Geniestreich gelang es dem Sohn griechischer Einwanderer von der Insel Chios im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf, die einst stolze Arbeiterstadt am Ufer des Monongahela Rivers auf die Weltkarte zu bringen. Aus der Not heraus hatte er Donald Trump eingeladen, der am Dienstag bei den Halbzeitwahlen (Midterms) im Kongress sein Zwischenzeugnis ausgestellt bekommt. Der kam tatsächlich, redete, machte viele Versprechungen und Mut.

Lou Mavrakis (81), Ex-Bürgermeister der gebeutelten Stahlstadt Monessen in Pennsylvania. Sein Tenor: „Trump hat sein Wort gebrochen.“
Lou Mavrakis (81), Ex-Bürgermeister der gebeutelten Stahlstadt Monessen in Pennsylvania. Sein Tenor: „Trump hat sein Wort gebrochen.“ © Hautkapp | Hautkapp

28 Monate später zieht der pensionierte Stahlarbeiter-Gewerkschafter eine magere Bilanz: „Ich lass mich nicht mehr von Politikern verarschen, die in unsere Stadt kommen, den Mond versprechen und uns dann nur den nackten Hintern zeigen.“

Von 20.000 Arbeitsplätzen im Stahl ist kaum etwas übrig

Rückblick: Eine bessere Kulisse als die zusammengepressten Plastikflaschen, Suppen- und Cola-Dosen hinter Donald Trump hätte man nicht erfinden können. Hier, in der stickigen Werkshalle von Alumisource in Monessen, schickte sich der heutige Präsident der Vereinigten Staaten am 28. Juni 2016 an, den Beweis dafür anzutreten, dass man Träume recyceln und in die Wirklichkeit überführen kann. Vor 200 Arbeitern wetterte Trump damals erstmals ausgiebig gegen die Verrohungen der Globalisierung und versprach, amerikanischer Stahl werde „wieder das Rückgrat unseres Landes“.

Das ist US-Wählern bei den Midterms wichtig

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    In Monessen klangen die Worte des New Yorker Geschäftsmannes besonders intensiv nach. Einst arbeiteten dort 20.000 Menschen im Stahl. Die oberschenkeldicken Seile der Golden Gate Bridge in San Francisco wurden hier gefertigt. In der Wirtschaftswunderzeit nach dem Zweiten Weltkrieg steckten in jedem Chrysler-Pkw stählerne Teile aus Monessen. Längst vergilbte Geschichte. Der letzte Stahl wurde hier 1986 gegossen. Die Arcelor-Mittal-Kokerei ist neben dem Alurecycling-Unternehmen, das Trump beehrte, mit 180 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber.

    Von 23.000 Einwohnern sind gerade mal noch 7300 übrig. Wer jung ist, flieht. Finanziell steht Monessen seit Jahren mit mindestens einem Bein im Ruin. Über 350 Privathäuser sind abrissreif. 30 einst stattliche Gebäude entlang der schäbigen Donner Avenue sind baufällig, mit Holzlatten verrammelt und dürfen aus Sicherheitsgründen oder wegen des Taubenkots nicht betreten werden.

    Bürgermeister Mavrakis machte den „Rost-Gürtel“ bekannt

    Das war die widrige Ausgangssituation, aus der heraus es Lou Mavrakis gelang, die sterbende Stadt, von der es im sogenannten „Rost-Gürtel“ Amerikas Dutzende gibt, so bekannt zu machen, dass er bis heute auf über 70 Interviews mit Journalisten aus aller Welt verweisen kann.

    Als Bürgermeister schrieb der sehnige, kleine Mann mit den hellwachen, dunklen Augen vor zwei Jahren mehrfach Präsident Barack Obama an. Er bat ihn, sich die prototypische Misere in Monessen anzusehen und Ideen mitzunehmen, wie man „einer kleinen Stadt wieder auf die Beine helfen kann, die mitgeholfen hat, Amerika zu bauen“. Keine Reaktion. Trotz zweimaligem Nachsetzen. Obwohl Monessen und das umliegende Westmoreland County demokratisches Stammland waren.

    Nach dem dritten Brief verlor der immer noch über mediterranes Temperament verfügende Mavrakis die Geduld. „Es ist offensichtlich, dass die Demokratische Partei, inklusive Ihnen und Hillary Clinton, sich nicht für unsere verheerenden Probleme interessiert“, ätzte der Lokalpolitiker. Und versuchte es am anderen Ende des politischen Spektrums. „Ich hätte nicht gedacht, dass Trump tatsächlich auftauchen würde“, sagt Mavrakis bei einem Pfirsich-Tee im rustikalen Stammlokal Pasta Shoppe, „aber er tat es.“

    Die Schlagzeilen vom damaligen Kandidaten Trump, der sich nach Monessen begab, um exemplarisch Linderung für Hunderttausende in der darbenden Stahlindustrie zu annoncieren, liefen zwei anderen örtlichen Großereignissen schnell den Rang ab: Ende der 1980er-Jahre wurde in dem stillgelegten Stahlwerk der Hollywood-Streifen „Robocop“ gedreht. Und Frances McDormand, die in diesem Jahr den Oscar für ihre Rolle in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ bekam, ist hier zur Schule gegangen.

    Getan hat sich seit dem Besuch Donald Trumps nichts

    Allein, getan hat sich in Monessen, wie Mavrakis bei einem Rundgang erzählt, seit Trumps Duftmarke so gut wie nichts. „Dabei wäre es so einfach. Gebt mir zehn Millionen Dollar. Und ich schaffe hier in der Innenstadt echten Wandel“, sagt der mehrfache Großvater. Lou, wie ihn die Leute auf der Straße rufen, verpasste Ende vergangenen Jahres die Wiederwahl als Bürgermeister. Die Wahlbeteiligung lag bei desaströsen 19 Prozent. Ein jüngerer Demokrat, den er für eine „Pfeife“ hält, gewann.

    Seither agiert der Rentner trotz Bypässen, Rücken- und Schulteroperation als Chef einer Entwicklungsgesellschaft, die „Downtown“ revitalisieren will. Daran, dass die Stahlindustrie zurückkommt, „habe ich sowieso nie geglaubt“. Ebenso wenig, dass „Strafzölle auf Stahl aus dem Ausland dauerhaft etwas bewegen“.

    Mavrakis, der als Vertreter der Stahlarbeitergewerkschaft das Metier im ganzen Land kennt, denkt mit 81 anders. Monessen blutet wie Hunderte andere US-Kleinstädte steuerlich aus, weil angestammte Arbeitsplätze wegfallen, und gerät strukturell immer mehr ins Hintertreffen. Es fehlt selbst das Geld, um die unansehnlichen Häuserzeilen abzureißen. Oder, wo noch sinnvoll, zu sanieren.

    „Es ist keine Raketenwissenschaft, um zu erkennen, was hier schiefläuft“

    „Ohne einladende Gebäude kein Einzelhandel. Ohne Einzelhandel keine Kunden und Menschen, die hier wohnen wollen. Ohne Kunden keine Steuereinnahmen und Arbeitsplätze“, doziert Mavrakis, „es ist keine Raketenwissenschaft, um zu erkennen, was hier schiefläuft.“

    Dass Präsident Trump es bisher nicht fertiggebracht hat, trotz republikanischer Mehrheiten im Kongress, ein Schnellprogramm aufzulegen, das Städten wie Monessen Starthilfe gibt, „verzeih ich ihm nicht“. Fünfmal jeweils zehn Millionen Dollar an Problemstädte auszuloben und nach einer Schonfrist zu sehen, welche Modelle wirken und vorbildhaft sein könnten, das sei doch angesichts der Milliardensummen, die fürs Militär ausgegeben wurden, „nicht mal Trinkgeld“.

    Auch mit den eigenen Leuten im Bundesstaat, etwa Gouverneur Tom Wolf, und zuständigen demokratischen Senatoren geht der Lokalpatriot hart ins Gericht. „Entweder sie schwätzen oder sie drücken sich. Ich habe das echt satt.“

    Lou Mavrakis glaubt, dass Obamas Vizepräsident, Joe Biden, trotz seines hohen Alters die besten Chancen hätte, um Donald Trump 2020 zu schlagen. Dass der Mann, von dem er sich persönlich hintergangen fühlt, in zwei Jahren erneut ins Weiße Haus einziehen könnte, sei jedoch auch nicht unwahrscheinlich. „Meine Demokraten müssten nur wieder den Fehler von Hillary Clinton machen: Nicht nach Monessen kommen. Und Wählerstimmen für selbstverständlich halten.“