Berlin. Nach dem zweistelligen Absturz bei der Hessen-Wahl möchte die Partei von Andrea Nahles nur über inhaltliche Korrekturen diskutieren.

Gelöst, geradezu entspannt wirkt Andrea Nahles, als sie am Montagnachmittag vor die Kameras tritt. Die SPD-Chefin scherzt mit Generalsekretär Lars Klingbeil, lacht noch auf dem Weg ans Podium im Willy-Brandt-Haus. Sie hat Grund dazu. Nach den Treffen der Parteigremien ist zu diesem Zeitpunkt klar: Der große Personalumbau in der SPD-Spitze ist, trotz desaströsem Ergebnis bei der Hessen-Wahl, erst einmal abgesagt.

Dass Nahles diesen Tag als Parteichefin beenden würde, war keineswegs sicher gewesen. Zwar hatte sie schon früh klargestellt, dass sie keine Absichten hat, das Feld zu räumen: Wenige Minuten nachdem die Nachricht von Merkels Rückzug von der Parteispitze bekannt wurde, erklärte Nahles bei ihrem ersten Auftritt des Tages, bei der SPD seien „personelle Konsequenzen nicht in Rede“. Aber wer sie an diesem Morgen sah, konnte zumindest zweifeln, ob Nahles daran selbst so hundertprozentig glaubte.

Bis Anfang 2019 soll die Partei erkennbare Positionen finden

Der Blick starr geradeaus, die Hände still auf dem Podium. Wie versteinert hatte die Parteichefin dagestanden, während neben ihr der hessische SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel die für die Sozialdemokraten bittere Bilanz der Landtagswahl zog. Minus 10,9 Prozentpunkte, das schlechteste SPD-Ergebnis seit 1946, und dann musste die SPD auch noch zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen zusehen, wie die Grünen zweite werden.

SPD-Chefin Andrea Nahles.
SPD-Chefin Andrea Nahles. © dpa | Wolfgang Kumm

Eine „sehr offene Diskussion“ habe man in Vorstand und Präsidium wegen dieses Ergebnisses geführt, sagt Lars Klingbeil nach den Gremiensitzungen, „über den Zustand der Regierung und den Zustand der SPD“, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Dinge „grundlegend ändern“ müssten. Die SPD verordnet sich an diesem Montag also Erneuerung, wieder einmal. Nur soll es damit jetzt noch schneller gehen als ohnehin geplant.

Bis zur Jahresauftaktklausur Anfang 2019 soll die Partei erkennbare Positionen finden zu großen Zukunftsthemen: Der Sozialstaat nach Hartz IV, die Vereinbarkeit von Klimaschutz und Arbeitsplätzen oder Europa stehen unter anderem auf der Liste, die Nahles und Klingbeil am Montag als „Aufschlag zur Diskussion“ mit in die Gremien gebracht haben.

Richtungskampf in den Unionsparteien für Nahles nichts Neues

Auch in der Regierungsarbeit drückt die Partei jetzt aufs Tempo: Ein verbindlicher „Fahrplan“ soll her, der festlegt, welche Projekte der Koalition wann kommen sollen, bis zum Herbst 2019. Dann ist Halbzeit in der Legislaturperiode – und damit der Punkt gekommen, an dem die SPD ohnehin überprüfen wollte, ob sie in dieser Regierung bleiben kann. Es sei auch nicht auszuschließen, dass der nächste geplante Parteitag vorgezogen wird, erklärte Nahles. Ein echtes Ultimatum soll die Forderung nach dem Fahrplan dann allerdings doch nicht sein: Ihr fehle „absolut die Fantasie zu glauben, dass wir uns da nicht auf etwas einigen können“, sagte die SPD-Chefin. Deswegen gebe es auch keinen Grund, darüber nachzudenken, was denn passieren müsste, wenn man sich nicht einigt.

Es gehe darum, klarzumachen, wo die Prioritäten liegen, erklärte Nahles. Zu oft hätten in den vergangenen Monaten Randdebatten andere Themen verdrängt. Der Zustand der Regierung sei „nicht akzeptabel“, sagte auch Klingbeil. Der Koalitionspartner solle sich deshalb jetzt bitte zusammenreißen. Bis Ende des Jahres hat die Union Zeit, „um ihre inhaltlichen und personellen Konflikte“ zu klären, so die SPD-Ansage. Die Aussicht, dass der Kampf um Angela Merkels Nachfolge einen Richtungsstreit auslösen könnte, schrecke sie dabei nicht, sagte Nahles. Ein Richtungskampf in den Unionsparteien wäre schließlich nichts Neues. Neu sei nur, dass er nun mit „Name und Adresse“ ausgetragen werden könne.