Berlin. Die Verluste der Hessen-CDU machen ein Umdenken in der Partei notwendig. Rücktrittsforderungen an die Kanzlerin bleiben erstmal aus.

Im Adenauerhaus, der Berliner CDU-Zentrale, ist es um Punkt 18 Uhr sehr still, als die CDU-Anhänger den Absturz ihrer Partei auch in Hessen verkraften müssen. Die 4,38 Millionen hessischen Wähler haben am Sonntag nicht nur die Zukunft von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier in der Hand gehabt, sondern es ging auch um den weiteren Weg von CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel.

Nach den ersten Hochrechnungen sah es so aus, als könnte Bouffier trotz herber Verluste seiner CDU im Amt bleiben. Die Partei ist in Hessen also mit einem blauem Auge davongekommen. Kann Bouffier die Staatskanzlei in Wiesbaden tatsächlich retten, würde er Merkel zumindest kurzfristig wohl etwas Luft verschaffen. Die parteiinterne Kritik an der Kanzlerin und der Ruf nach Erneuerung dürfte sich aber dennoch so schnell nicht verflüchtigen.

Bouffier, der auch CDU-Vize ist, schob die Verantwortung für die fehlenden Stimmen nach Berlin, sprach von einem nötigen „Weckruf“ für die große Koalition und auch die CDU-Chefin – sah aber von direkten Schuldzuweisungen an die Adresse Merkels ab. Der CDU-Führung ist klar, dass sich in Berlin etwas ändern muss. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, als mögliche Nachfolgerin Merkels gehandelt, sagte, sie gehe davon aus, dass Merkel beim CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg erneut als Parteichefin kandidiert.

CDU fordert neue Arbeitsweise der großen Koalition

„Die Bundesvorsitzende hat ganz klar erklärt, dass sie auf dem Parteitag noch mal antreten wird. Und ich habe bis zur Stunde keine anderen Signale“, so Kramp-Karrenbauer. Merkel und die Parteispitze würden angesichts der enttäuschenden Umfragen im Bund „in Loyalität zu diesem Land und in Loyalität zu dieser Partei“ gemeinsam darüber entscheiden, wie das Signal aus Hessen umzusetzen sei, schiebt AKK noch hinterher. Sie forderte als Konsequenz eine „neue Arbeitskultur“ der großen Koalition. „Die Koalition sollte sich auf drei große Projekte für die nächsten Monate einigen.“

Ministerpräsident Volker Bouffier ließ sich trotz großer Verluste für seine CDU feiern.
Ministerpräsident Volker Bouffier ließ sich trotz großer Verluste für seine CDU feiern. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, ein Vertreter des Mitte-Kurses der CDU, lenkte den Blick auf die Sacharbeit. Die Koalition müsse sich „endlich darauf konzentrieren, vernünftig zu regieren“ und dem Partner auch mal Erfolge zu gönnen. Gefühlt gebe es seit einem Jahr Stillstand auf Bundesebene. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU) wollte von Spekulationen über einen Rückzug Merkels nichts wissen.

Der Vorsitzende der merkelkritischen Werte-Union, Alexander Mitsch, führte die Verluste in Hessen dagegen auf die „inkonsequente Merkelsche Asylpolitik“ zurück. Die Folge könne nur lauten: „Politikwende mit neuer Parteispitze“, sagte er dieser Redaktion. Der Bundesparteitag werde diese Weichen stellen, gab sich Mitsch zuversichtlich. Bislang haben drei eher unbekanntere CDU-Politiker erklärt, gegen Merkel kandidieren zu wollen.

Merkel gestand Schwäche der GroKo ein

Was für die CDU-Chefin genau folgt, werden die nächsten Tage zeigen. Dass die 64-jährige Regierungschefin eine politische Überlebenskünstlerin ist, hat sie in 13 Jahren Kanzlerschaft und 18 Jahren an der Spitze der CDU immer wieder bewiesen. Sie ging, nachdem sie wie so oft zuvor lange stillgehalten hatte, kurz vor der Hessenwahl in die Offensive, tourte durch diverse CDU-Landesverbände. Dort rechnete sie dann mit der CSU und parteiinternen konservativen Kritikern ab.

Danach warb sie im hessischen Wahlkampf um Stimmen. Allerdings mit der merkwürdig anmutenden Taktik, man solle CDU-Ministerpräsident Bouffier keinen Denkzettel für Fehler verpassen, den die große Koalition in Berlin verursacht habe. Zu kämpfen und gleichzeitig die eigene Schwäche einzugestehen, war auf jeden Fall ein Risiko. Wer also käme als Nachfolger infrage?

Bouffier: Haben schmerzliche Verluste erlitten

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