Berlin. CDU-Mann Thomas de Maizière schickte die Ex-Verfassungsschützerin Eva Maria H. offenbar in den Untersuchungs-Ausschuss zu Fall Amri.

Sie fühlen sich getäuscht und hintergangen, in die Irre geführt und belogen: Im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Aufklärung des Behördenhandelns im Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz werfen die Abgeordneten der Opposition der Bundesregierung schon seit Wochen vor, ihre Arbeit zu behindern. Zögerliche Aktenzulieferungen, missverständliche oder falsche Antworten auf parlamentarische Anfragen, Interventionen bei Zeugenbefragungen wegen einer angeblich notwendigen Geheimhaltung: Die Liste der Beschwerden ist lang.

Nun gerät in der Diskussion über die Behinderung der Aufklärung ein Politiker in den Fokus, der zuletzt kaum noch mit dem Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri in Verbindung gebracht wurde: der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Denn der CDU-Politiker, der seinen Posten bei der Neuauflage der großen Koalition an den derzeitigen Amtsinhaber Horst Seehofer (CSU) abtreten musste, war maßgeblich an einer Personalentscheidung beteiligt, die bei den Mitgliedern des Ausschusses seit Woche für Empörung sorgt.

Die Abgeordneten reagierten empört

Es geht um die Oberregierungsrätin Eva Maria H. Das Innenministerium entsandte die Beamtin als „Beauftragte“ in den Ausschuss. Dort wacht sie darüber, dass bei Zeugenbefragungen keine geheimen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. „Halt“, oder „Darüber darf der Zeuge nur im nicht-öffentlichen Teil sprechen“. Derlei Interventionen waren von Eva Maria H. oft zu hören – zum Missfallen der Abgeordneten, die die Aufklärung auch unter den Augen der Öffentlichkeit vorantreiben wollen.

Das Innenministerium hatte bis vor Kurzem den Eindruck erweckt, H. sei unbefangen und neutral. Mit dem Fall Amri sei die „Beauftragte“ „erstmals nach dem Anschlag“ befasst gewesen. Das teilte das Innenministerium dem Büro des Untersuchungsausschusses noch im April dieses Jahres mit. Die Botschaft des Ministeriums: Als Zeugin kommt H. nicht in Betracht, ein Interessenkonflikt ist ausgeschlossen.

Der Fall Anis Amri -- Chronik eines Terroranschlags

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    Vor knapp zwei Wochen berichtete die Zeitung „Die Welt“ jedoch Erstaunliches: Vor ihrem Wechsel ins Innenministerium hatte H. im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gearbeitet. Im Untersuchungsausschuss intervenierte sie also bei Zeugen, die vormals ihre Kollegen waren. Mehr noch: In einem Schreiben vom 1. Oktober gestand das Innenministerium, dass H. als Referentin und Referatsleiterin in der Islamismus-Abteilung des BfV bis August 2016 – also bis vier Monate vor dem Anschlag – sogar für damalige Kontaktpersonen von Amri zuständig war.

    Auch Unions-Abgeordnete sprechen von „schwerem Fehler“

    Beides dürfte im Ausschuss noch häufiger Thema werden. Denn Amri hatte sogar mehrfach in ihren Wohnungen übernachtet. Anders als im April teilte das Ministerium in dem Schreiben vom 1. Oktober denn auch mit, dass „ggf. auch Frau Dr. Eva Maria H. als Zeugin in Betracht“ käme.

    Die Abgeordneten reagierten empört. Als „Beauftragte“ des Ministeriums habe H. umfassende Akteneinsicht nehmen können, sie habe an nicht-öffentlichen Sitzungen teilgenommen und könne ihre Aussagen bei einer Vernehmung daher mit bereits erfolgten Vernehmungen und ihrem Aktenwissen abgleichen. Als Zeugin sei sie daher nicht mehr viel wert. Selbst die Unions-Abgeordneten, deren Parteien den amtierenden Innenminister und seinen Vorgänger stellten, bezeichneten die Entsendung von H. als „groben Fehler“. Das Grundvertrauen sei „zerstört“, die Stimmung „mies“.

    Die Verantwortung für die Entsendung von H. übernahm zunächst ein Abteilungsleiter. Von einer Beteiligung des damaligen Ressortchefs de Maizière war keine Rede. Erst auf die Anfrage der Grünen teilte das Ministerium nun mit, dass die Entscheidung von „Herrn Minister a. D. Dr. Thomas de Maizière auf Vorschlag der zuständigen Fachabteilungen getroffen“ wurde. Die noch unveröffentlichte Schreiben liegt der „Berliner Morgenpost“ und dem RBB vor.

    Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic, übte angesichts dieser Neuigkeit scharfe Kritik an der Bundesregierung und an Ex-Minister de Maizière: „Schon unmittelbar nach dem Anschlag war es gerade der damalige Innenminister, der eine erstaunliche Energie darauf verwendete, die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Causa Anis Amri auszublenden“, sagte Mihalic unserer Redaktion. Nun stehe im Raum, dass „die Personalie Frau H. eine politische war, die man bewusst eingesetzt hat, um die Rolle des BfV rund um Anis Amri zu vernebeln“. Mihalic und die Grünen wollen de Maizière nun auch als Zeugen im Untersuchungsausschuss befragen.