Jerusalem. Merkel mahnt, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Sie ruft zum Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit auf.

Eine israelische Studentin fragt Angela Merkel, wie man junge Deutsche für ihr Land begeistern könne. „Nichts ist besser als Austausch“, antwortet die Kanzlerin. Man müsse bei jeder Gelegenheit ins Gespräch kommen und dies nutzen.

Merkel trägt einen Talar der Universität Haifa über ihrem fuchsiafarbenen Blazer. Gerade wurde der deutschen Regierungschefin die Ehrendoktorwürde der Hochschule verliehen. Im Springer-Auditorium des Israel-Museums diskutiert sie mit Studierenden über Umweltschutz, Frauenrechte und Integration.

Nichts ist besser als Austausch – das wäre auch ein guter Titel für die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, die am Mittwoch und Donnerstag in Jerusalem stattfanden. Seit zehn Jahren treffen sich die Minister beider Länder am israelischen Regierungssitz oder in der deutschen Hauptstadt. Bei der siebten Auflage der Gespräche am Donnerstag betonten die Regierungschefs die Verbundenheit beider Länder, brachten neue Projekte auf den Weg. Doch die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten ließen sich nicht verbergen.

Reise hat nie zur Debatte gestanden

Vor eineinhalb Jahren hatte Merkel die Regierungskonsultationen sogar abgesagt, weil die Israelis den Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump genutzt hatten, um den Siedlungsbau voranzutreiben. Nun, so berichtete die „Jerusalem Post“ am Mittwoch, drohte schon wieder eine Absage, weil die Israelis das Beduinendorf Khan al-Ahmar, keine 20 Kilometer von Jerusalem entfernt, abreißen und dort womöglich eine Siedlung erweitern wollen.

Wenn dies vor der Reise passiere, würden die Konsultationen ausfallen, so der Bericht. „Das ist absolut falsch“, sagte Merkel im Israel-Museum, „wir haben in der Regierung nie darüber gesprochen. Das ist eine israelische Entscheidung.“ Man könne unterschiedlicher Meinung sein, was die Siedlungspolitik angehe, „aber die Reise hat nie zur Debatte gestanden“. Die Lage in den Beziehungen ist aber zurzeit eben so, dass man sich offenbar auch in Israel einen derartigen Eklat vorstellen kann.

Israel Vorbild für Deutschland

Merkel und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hatten sich sicher einen anderen Auftakt der Konsultationen gewünscht. Schließlich sind beide Länder 53 Jahre nach der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen enge Partner – etwa in Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft. Handel, Dienstleistungen und Forschungsprojekte summieren sich auf ein Volumen von etwa zehn Milliarden US-Dollar. Zwischen dem traditionellen Industriestandort Deutschland und der Start-up-Nation Israel ergeben sich immer neue Kooperationsfelder.

Bei den Regierungskonsultationen stand der Austausch auf den Gebieten Forschung und Entwicklung, Wissenschaft und Technologie im Vordergrund. Zum zweiten Mal seit Beginn des Formats wurde die Bundesregierung von einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation begleitet, darunter dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom und dem SAP-Vorstandssprecher.

Enge politische Partner: Benjamin Netanyahu und Angela Merkel.
Enge politische Partner: Benjamin Netanyahu und Angela Merkel. © REUTERS | POOL

Im Foyer des Israel-Museums, vor Jahrtausende alten Exponaten, trafen Merkel und Netanjahu weitere Firmenchefs, die ihnen ihre Hightech-Erfindungen präsentierten. „Deutschland ist eine der großen Volkswirtschaften der Welt“, sagte Premier Netanjahu, „während Israel eines der innovativsten Länder ist. Zusammen können wir noch besser werden.“ Die Regierungen wollen sich dabei unter anderem auf die Wassertechnologie, digitales Gesundheitswesen und Automobiltechnik konzentrieren.

Bei vielen Zukunftstechnologien ist das kleine Israel Vorbild für das große Deutschland. In Jerusalem beschlossen die Regierungen auch die Schaffung eines deutsch-israelischen Jugendwerks, die Verstetigung gemeinsamer Entwicklungsprojekte in Afrika und eine Vertiefung bei der Cyber-Abwehr.

„Wir müssen das iranische Monster aushungern“

Begonnen hatten die Konsultationen allerdings mit einem Blick zurück. Am Donnerstagmorgen besuchte die Bundeskanzlerin mit zehn Ministern die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Merkel erinnerte in ihrem Gästebucheintrag an die Pogromnacht am 9. November vor 80 Jahren. Aus dem Holocaust erwachse „die immerwährende Verantwortung Deutschlands, an dieses Verbrechen zu erinnern und Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewalt entgegenzutreten“.

Die Kanzlerin betonte mehrmals, dass die Bundesregierung nun in Felix Klein einen Antisemitismusbeauftragten habe, der auch an den Gesprächen in Jerusalem teilnahm. Israels Präsident Reuven Rivlin warnte bei einem Mittagessen für die Delegation vor der neuen Rechten in Europa, die angeblich Juden hasst, aber Israel liebt: „Wir dürfen überhaupt keine Form von Antisemitismus oder Rassismus tolerieren.“

Außerdem wandte sich Rivlin gegen die Iran-Politik der EU. Deutschland und andere Mitgliedsländer versuchten die US-Sanktionen zu umgehen, um das Atomabkommen mit dem Mullahstaat am Leben zu halten. „Wir müssen das iranische Monster aushungern, nicht füttern“, kritisierte der israelische Staatschef.

Ein Ziel, unterschiedliche Wege

Deutschlands Iran-Politik bereitet den Israelis ebenso viele Kopfschmerzen wie den Deutschen Israels Siedlungspolitik. Merkel stellte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz deshalb klar: „Wir sind ganz fest mit Israel einer Meinung, dass alles getan werden muss, um den Iran an einer nuklearen Bewaffnung zu hindern.“ Differenzen gebe es lediglich bei der Frage, wie das am besten erreicht werden könne.

Merkel verlangte auch, dass sich syrische Truppen von der israelischen Grenze im Norden entfernten, dazu habe sie auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin gesprochen. „Wir sehen, unter welchem Druck und welcher Bedrohung Sie hier leben“, sagte Merkel.

Die Bedrohungslage verschärft sich gerade wieder. Während der Regierungskonsultationen gab Israels Militär bekannt, die Truppen um den Gazastreifen aufzustocken und das Luftabwehrsystem Iron Dome zu stationieren, um sich auf eine weitere Eskalation der Proteste und Raketenbeschüsse vorzubereiten. Netanjahu machte für die Lage im Küstenstreifen den im Westjordanland regierenden Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verantwortlich.

Angesprochen auf das kürzlich verabschiedete und hoch umstrittene israelische Nationalstaatsgesetz mahnte die Kanzlerin: „Minderheiten haben auch Rechte.“ Ein weiterer Kommentar, der die unterschiedlichen Auffassungen sichtbar machte. Dass man Meinungsverschiedenheiten habe, sei ja „nicht neu“, war sich die Kanzlerin mit dem israelischen Premier einig. Aber das sei kein Grund, die Zusammenarbeit nicht zu vertiefen. Nichts ist besser als Austausch, gerade bei Differenzen.