Khan al-Ahmar. Israel will die Beduinensiedlung Khan al-Ahmar bei Jerusalem abreißen. Kritiker sehen das als schweren Schlag für den Friedensprozess.

Im Beduinendorf an der Schnellstraße zwischen Jerusalem und dem Toten Meer ist man vorbereitet. Dutzende Kisten mit Wasserflaschen stehen neben aufgestapelten Schaumstoffmatratzen, der Parkplatz vor dem Protestcamp ist von palästinensischen Flaggen umkränzt. Sogar einige Akazien hat man in den letzten Tagen in den Wüstenboden gepflanzt, um zu zeigen, dass in Khan al-Ahmar keiner ans Aufgeben denkt. „Wir werden niemals weichen“, steht auf einem Plakat.

Doch der Ansturm der solidarischen Massen lässt am Montagmorgen noch auf sich warten. Wann die israelischen Bulldozer anrollen werden, steht wohl noch nicht genau fest. Dass geräumt wird, scheint aber sicher. Denn Israels oberster Gerichtshof hat im August zum wiederholten Mal festgestellt, dass das Dorf illegal errichtet wurde.

Kanzlerin Merkel reist zu Regierungskonsultationen an

Die israelische Zivilverwaltung hatte den Bewohnern zuletzt eine Woche gegeben, um den Ort freiwillig zu verlassen. Die Frist ist am Montag abgelaufen. In dieser Woche aber rechnet kaum jemand mit dem Abriss. Auch weil Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett am Donnerstag zu Regierungskonsultationen in Jerusalem weilen.

Khan al-Ahmar, was auf Arabisch in etwa „rote Unterkunft“ bedeutet und auf die Färbung des Bodens verweist, hat viel Symbolkraft. Natürlich für die Bewohner, aber auch für mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, die in einer Erklärung zuletzt noch mal vor den „schweren Konsequenzen“ des Abrisses gewarnt und Israels Siedlungspolitik als illegal bezeichnet haben.

Khan al-Ahmar liegt zwischen den israelischen Siedlungen Kfar Adumim und Ma’ale Adumim in den C-Gebieten, dem Teil des Westjordanlands, der gemäß der Oslo-Abmachung beinahe komplett von Israel verwaltet wird. Eine Verbindung der Siedlungen in diesem Entwicklungsgebiet E1 östlich von Jerusalem würde die Kontinuität von palästinensischem Gebiet und damit die Zwei-Staaten-Lösung gefährden.

Menschen hausen in Hütten aus Wellblech und Sperrholzplatten

Nun ist es nicht so, dass Khan al-Ahmar einem schwer einzunehmenden Fort oder auch nur einem Dorf nach westlichen Standards gleichen würde. Es ist eine Siedlung auf einem Geröllhügel, rund 170 Beduinen und ihre 1000 Schafe. Die Menschen hausen in Hütten aus Wellblech, Sperrholzplatten und Europaletten. Überall liegt Müll herum, Kinder spielen barfuß im Dreck.

Am Montagmorgen sticht aus der Gruppe der Demonstranten ein Mann mit schwarzem Anzug und Schnurrbart hervor. Sabri Saidam ist Bildungsminister der Palästinensischen Autonomiebehörde und gekommen, um zu erklären, dass das Überleben der Schule von Khan al-Ahmar, deren Bau durch die EU finanziert wurde, „das Überleben Palästinas bedeutet“. Er setze auf die Unterstützung und Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft, um den Abriss zu verhindern.

Einige Ausländer haben sich in Khan al-Ahmar eingefunden. Darunter ist ein Stadtforscher aus Köln, der sich als Jens Jensen vorstellt und erklärt, er unterrichte an der palästinensischen Al-Quds-Universität. Er spricht von „Kriegsverbrechen“, „neoliberaler“ Landnahme und vergleicht Khan al-Ahmar mit dem Hambacher Forst, dessen Rodung deutsche Aktivisten verhindern wollen. In Palästina gehe der Prozess auch „Hand in Hand mit ethnischer Säuberung“.

Palästinenser bekommen kaum Baugenehmigungen

Tatsächlich weisen Kritiker der israelischen Regierung immer wieder darauf hin, dass Palästinenser in den C-Gebieten so gut wie keine Baugenehmigungen bekommen. Das gilt auch für die Bewohner von Khan al-Ahmar. Die Mitglieder des Dschahlin-Stammes wurden zudem Anfang der 1950er-Jahre aus der Negevwüste vertrieben und siedelten sich damals in dem Gebiet an, das von Jordanien kontrolliert wurde.

Der Lösungsvorschlag der israelischen Verwaltung ist für die meisten Bewohner ungenügend. Sie sollen eine Siedlung neben der Müllhalde des Städtchens Abu Dis bei Jerusalem bekommen, dort soll es auch Wasser und Strom geben. „Aber wo soll ich dann mit meinen Schafen hin“, ruft der 40-jährige Ahmed Abu Dahuq.

Angela Godfrey-Goldstein, eine israelische Friedensaktivistin, fürchtet, dass die Khan-al-Ahmar-Entscheidung zum Präzedenzfall werden könnte. Offizielle israelische Daten belegen, dass etwa 13.000 Gebäude in den C-Gebieten von Abrissverfügungen bedroht sind.

Die Bewohner befinden sich „zwischen Hammer und Amboss“

Rechtsanwalt Shlomo Lecker hat die Beduinen neun Jahre lang juristisch vertreten, bis er vor zwei Monaten auf Druck der Palästinensischen Autonomiebehörde aus dem Verfahren gedrängt wurde. Auch die Machthaber in Ramallah verfolgten zum Teil unlautere Absichten, sagt Lecker. „Die Bewohner befinden sich wirklich zwischen Hammer und Amboss“, so der Rechtsanwalt. „Die Israelis wollen sie aus diesem für sie strategisch wichtigen Gebiet verdrängen und verweigern ihnen ihre Grundrechte. Und die Autonomiebehörde nutzt sie aus für ihre politischen und finanziellen Interessen, ohne auf ihre Stimme zu hören.“