London. Johnson legt einen Alternativplan zum Brexit-Kurs von Theresa May vor. Sein Konzept wird schon als „Brexit-Bombe für May“ bezeichnet.

Boris Johnson kann es nicht lassen. Zwei Tage vor Beginn des Parteitages der Konservativen hat der britische Ex-Außenminister wieder einmal eine Breitseite gegen die Regierung von Theresa May und ihren Brexit-Kurs gefeuert. In einem doppelseitigen Beitrag für die Zeitung „Daily Telegraph“ veröffentlichte der umstrittene Politiker „Meinen Plan für einen besseren Brexit“.

Das Timing könnte für Premierministerin May nicht ungelegener sein. Kurz vor Beginn des Jahrestreffens der Torys, auf dem sie ihren umstrittenen Chequers-Plan für den EU-Austritt verteidigen muss, legt Johnson eine Alternative vor, die besonders im rechten Flügel der Partei für Jubel sorgen wird.

Als „Brexit-Bombe für May“ wurde Johnsons Intervention bezeichnet. Es habe „ein kollektives Versagen der Regierung“ gegeben, schrieb er, und „einen Kollaps des Willens des britischen Establishments, das Referendums-Mandat zu erfüllen.“

Kernstück seines Plans ist ein Freihandelsabkommen

Johnson war im Juli von seinem Posten als Außenminister zurückgetreten, weil er den auf dem gleichnamigen Landsitz der Regierung vereinbarten Chequers-Plan nicht mittragen wollte. Der Plan sieht vor, dass Großbritannien, was Güter und Agrarprodukte betrifft, im Binnenmarkt verbleibt und weiterhin dem „gemeinsamen Regelwerk“ der EU folgt. Was Dienstleistungen anbelangt, will man ausscheren, eigene Regeln setzen und sich die Möglichkeit offenhalten, Freihandelsverträge mit Drittstaaten abzuschließen.

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    Der Chequers-Plan würde das Problem der Vermeidung einer harten Grenze zwischen Nordirland und Irland lösen. Aber er wird nicht nur von Brüsseler Seite abgelehnt, sondern auch von weiten Teilen der Konservativen Partei. Und zu deren Fürsprecher will Johnson sich jetzt aufschwingen.

    Der 54-jährige Blondschopf setzt Mays Vorschlägen seinen eigenen Sechs-Punkte-Plan entgegen, der mit „Werfe Chequers weg“ beginnt und mit „Starte weltweite Handelsverhandlungen im April“ endet. Er will die Konzession zur irischen Grenze, die im letzten Dezember vertraglich vereinbart wurde, einseitig zurücknehmen und einen neuen Austrittsvertrag verhandeln. Aber Kernstück seiner Ausführungen ist ein Freihandelsabkommen mit der EU, das Johnson „SuperKanada“ nennt und das er in der 21 Monate langen Übergangsperiode nach dem Austritt am 29. März nächsten Jahres verhandeln will.

    Johnsons angestrebtes Freihandelsabkommen orientiert sich an dem Ceta-Deal zwischen der EU und Kanada, der seit September vergangenen Jahres vorläufig in Kraft getreten ist. Johnson will „null Zölle“ und „null Quoten“ beim Waren- und Güterverkehr und hofft auf weitreichende Einigung im Dienstleistungssektor. Aber sein provokantester Vorschlag ist der zur irischen Grenze.

    Plan läuft auf sogenannte Singapur-Option hinaus

    Die EU hat stets darauf bestanden, dass, sollte keine anderweitige Einigung gefunden werden, Nordirland „regulatorisch auf Linie“ mit der EU bleibt, und zu diesem Zweck einen sogenannten „Backstop“, eine Notfalllösung vorgesehen, nach der eine harte Grenze nicht auf dem Boden der Insel, sondern in der Irischen See zwischen Nordirland und Großbritannien verlaufen muss. Eine Art Kanada-Deal würde diese Notfalllösung erzwingen, was der Grund ist, warum Theresa May nicht Kanada sondern Chequers vorschlägt. Johnsons Lösung: Er kündigt die von der britischen Regierung schon vereinbarte Nordirland-Lösung einseitig auf. Was er vergisst: Die EU wird das nicht hinnehmen wollen, und die irische Regierung würde ihr Veto einsetzen.

    Doch praktische Schwierigkeiten haben den Blondschopf noch selten abgehalten. Johnson verteidigt seinen „SuperKanada“-Plan als „eine Chance für Großbritannien, dynamischer und erfolgreicher zu werden“, was „genau das Potenzial darstellt, das die EU-Partner einschränken wollen“. Da hat er recht. Johnsons Plan läuft auf die sogenannte Singapur-Option hinaus: Ein Großbritannien, das kompromisslos auf den Freihandel setzt, sich klar vom europäischen Binnenmarkt abgrenzt und ihm mit niedrigen Steuern und minimalen Regularien Konkurrenz machen will. Diese Aussicht wird die Verhandlungspartner in Brüssel gewiss nicht erfreuen.

    Für den am Sonntag in Birmingham beginnenden Parteitag der Konservativen sind damit die Frontlinien vorgezeichnet. Kanada versus Chequers werden die Schlachtrufe lauten, und Premierministerin Theresa May hat dabei nicht die besten Karten. Einen Tag vor ihrer Grundsatzrede am nächsten Mittwoch wird Boris Johnson auf einer Randveranstaltung des Parteitages sprechen.

    Bei dem großen Zuspruch, den er bei der Parteibasis hat, dürfte sein Auftritt am Dienstag ein Event werden, der Mays Rede in den Schatten stellt. Besonders beim Fußvolk der Torys ist ihr Chequers-Plan höchst unbeliebt. Und auch im Kabinett zeigen sich weitere Risse. Der „Daily Telegraph“ meldete, dass mehr als die Hälfte ihrer Ministerkollegen einen Kanada-Deal anstreben wollen, sollte der Chequers-Plan von Brüssel oder im britischen Parlament abgelehnt werden. Theresa May wird in diesem Jahr in Birmingham den Auftritt ihres Lebens hinlegen müssen.