Berlin. Wohnen ist zur sozialen Frage unserer Zeit geworden. Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Regierung muss endlich liefern.

Wenn Politiker von einem „Prozess“ sprechen, schwingt die Bitte mit, nicht zu viel, vor allem nichts sofort zu erwarten. Weil: Was als abgemacht gilt, ist noch lange nicht beschlossen. Was in Kraft getreten ist, muss erst von der Verwaltung in die Praxis umgesetzt werden. Was umgesetzt ist, wirkt oft erst mit Verzögerung. Die Zeit ist auch der kritische Faktor beim Wohngipfel, der am Freitag ansteht und über den es hinterher heißen könnte, er sei wie das „Hornberger Schießen“ ausgegangen: viel Tamtam, aber wenig Konkretes.

Dieser Gipfel kommt zu spät. Niemand anderem kann man das anlasten als der großen Koalition, denn sie regiert seit 2013. So lange hält auch die Wohnungsnot an. Und: Die Situation war absehbar.

Richtig ist aber auch: Wenn die Regierung zuletzt beispielsweise mit Milliarden für den sozialen Wohnungsbau die richtigen Schlüsse gezogen hat, dann kann die „Wohnraumoffensive“ trotzdem noch nicht spürbar sein. Sie braucht Zeit. Man wird das selbst gesteckte Ziel – das ist mit 1,5 Millionen neuen Wohnungen erfreulich konkret und kein Wischiwaschi – erst 2021 erreichen. Zur nächsten Bundestagswahl.

Politik hätte sich das Elend ausrechnen können

Den Gipfel veranstaltet Innenminister Horst Seehofer mit Blick auf die bayerische Landtagswahl. Es ist sein Land, es geht um den Erfolg der CSU, die er anführt, nicht zuletzt sind die Baupreise und Mieten im Freistaat exorbitant hoch. Wenn Politiker über den Wohnungsbau in Ballungsräumen klagen, denken sie an Bayern, speziell an den Großraum München, dann an Stuttgart, Frankfurt, Berlin, Hamburg, mehr oder weniger in der Reihenfolge.

Die Probleme haben sich aus vielen Gründen verschärft: Mehr Spekulation, Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau, auch des Staates als Investor. Nicht zuletzt: Realitätsblindheit. Denn bei einer Nettozuwanderung von jährlich einer halben Million Menschen konnte man sich ausrechnen, dass die Nachfrage das Angebot übersteigen und die Preise bald anziehen würden.

Wohngipfel muss echte Ergebnisse bringen

Bau ist ein weites Feld. Wohin man schaut: Zielkonflikte. Wer mehr Bauland ausweist, forciert den Flächenverbrauch. Wer für den Klimaschutz die energetischen Vorgaben strenger fasst, erhöht die Baukosten. Zu viel staatliches Engagement erstickt private Initiative. Wer zu viel Geld in den Markt pumpt, ihn überhitzt, bekommt nicht mehr Wohnungen, aber höhere Preise. Die Steuerung ist entscheidend.

In der Politik geht es um die Feinsteuerung von Erwartungen. Wenn alle, die in der Branche Rang und Namen, vor allem aber Interessen haben, zur Kanzlerin kommen, wenn die drei Koalitionsparteien Bauen zur Chefsache erklären und Wohnen als die soziale Frage unserer Zeit ausmachen – dann, ja dann muss der Gipfel mehr sein als eine Selbstvergewisserung der Koalition. Es reicht nicht, sich dafür feiern zu lassen, dass man das Wohnkindergeld eingeführt und den sozialen Wohnungsbau wieder entdeckt hat.

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    Regierung kommt wieder in der Realität an

    Nach innen muss dieser Gipfel eine Art Beschleuniger sein, um zügig umzusetzen, was man sich sonst noch in der Baupolitik vorgenommen hat, zum Beispiel einen anspruchsvollen Mietenspiegel. Nach außen, gegenüber den Wählern, müssen Merkel und Seehofer Vorschläge präsentieren, die aufhorchen lassen, mehr Bauland etwa oder einen vorübergehenden Mietenstopp.

    Die Menschen sind dankbar für jede konkrete Maßnahme. Und für einen Themenwechsel. Nachdem die politische Klasse wochenlang keine anderen Fragen diskutiert hat als die korrekte Definition von „Hetzjagden“, spricht sie mit den Bau- und Mietpreisen etwas an, das jeden betrifft, Vermieter und Mieter, Bauherren wie Bauarbeiter. Willkommen in der Realität.