Ankara. Syrienkrieg, Flüchtlinge, Wirtschaftsbeziehungen: Der Türkei-Besuch von Außenminister Maas zeigt, wie sehr sich beide Länder brauchen.

Syrien, immer wieder Syrien. Egal, wo Heiko Maas an diesem Mittwoch in Ankara auftaucht: Es geht um den bevorstehenden Militäreinsatz der syrischen Regierungstruppen gegen die letzte Rebellen-Hochburg in der Provinz Idlib. „Die Türkei spielt eine wichtige Rolle, um dort eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden“, erklärt der Außenminister.

Erdogan trifft sich an diesem Freitag mit Kremlchef Wladimir Putin und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani zu einem Gipfel in Teheran. Die drei Länder haben den sogenannten Astana-Prozess angestoßen, der sich mit der Zukunft Syriens befasst.

Russland und der Iran sind zwar Bündnispartner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Aber im Auswärtigen Amt hofft man, dass Erdogan Putin von einem rabiaten Eingreifen in Idlib abhalten kann. Auf diese Weise soll ein riesiger Ansturm an Flüchtlingen verhindert werden. Russland habe schließlich ein Interesse daran, dass die Türkei im Astana-Format bei der Stange bleibe, weil er sich als großer weltpolitischer Akteur inszenieren wolle, so das Kalkül.

Die Türkei startet eine große Charme-Offensive

Präsident  Tayyip Erdogan.
Präsident Tayyip Erdogan. © REUTERS | Umit Bektas

Maas stattet der politischen Führung in der Türkei einen zweitägigen Antrittsbesuch ab. Am Abend trifft er seinen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu und Parlamentspräsident Binali Yildirim in Ankara. Auch Erdogan lässt zu einem knapp einstündigen Gespräch in den Präsidentenpalast bitten. Es ist der Auftakt einer intensiven Pendel-Diplomatie, die die Türken als große Charme-Offensive sehen.

Am 21. September schaut der türkische Finanzminister Berat Albayrak bei seinem deutschen Gegenpart Olaf Scholz in Berlin vorbei. Eine Woche später kommt Erdogan. Geplant ist dabei auch ein gemeinsamer Auftritt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Unter Beratern Erdogans zirkuliert zudem die Idee, den Präsidenten in einer Halle in Düsseldorf oder Oberhausen reden zu lassen – möglicherweise gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel.

Präsident Erdogan ist plötzlich ungewohnt zahm

All dies deutet auf einen Klimawechsel in den deutsch-türkischen Beziehungen hin. Erdogan, der Meister des Verbal-Knüppels, gibt sich plötzlich samtpfötig. Die Wunschliste der Türken ist lang. Erdogan liegt vor allem eine Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen am Herzen. Die Erweiterung der Zollunion mit der EU auf die Bereiche Landwirtschaft und Dienstleistungen steht dabei ganz oben.

Die Türkei braucht die EU: Fast 50 Prozent aller Exporte des Landes gehen in die Gemeinschaft. Der wichtigste Abnehmer ist Deutschland. Vor allem an Investitionen aus Deutschland sind die Türken interessiert.

Der Grund für Erdogans neue Sanftheit liegt auf der Hand. Der Verfall der türkischen Lira wurde durch den Streit mit US-Präsident Donald Trump verschärft. Der verhängte Sanktionen, weil Ankara einem amerikanischen Pastor wegen Terrorverdachts den Prozess macht.

Außenminister Maas erwidert die Geste der Annäherung

Erdogan hat wohl erkannt, dass er nicht an zu vielen Fronten gleichzeitig kämpfen kann. Deshalb geht der Präsident nun auf Tuchfühlung – auch mit Europa. Eine Geste der Annäherung, die Maas erwidert. „Es ist für Deutschland von strategischem Interesse, dass wir unsere Beziehungen zur Türkei kons­truktiv gestalten“, sagt er. Die Türkei sei „mehr als ein großer Nachbar“.

Die Bundesregierung weiß vor allem den Flüchtlings-Deal zwischen der EU und der Türkei zu schätzen. Ankara hat 3,5 Millionen Migranten aufgenommen und dafür nach eigenen Angaben mehr als 30 Milliarden Dollar bezahlt. Kanzlerin Merkel sieht das Abkommen dennoch als Blaupause für Vereinbarungen mit anderen Ländern.

Trotz dieser Übereinstimmungen stehen einige heikle Themen zwischen Ankara und Berlin. „Es ist kein Geheimnis, dass die Entwicklung der Türkei, insbesondere die Menschenrechtslage, uns Sorgen bereitet und unsere Beziehungen überschattet“, räumt Maas ein. Er will sich in der Türkei auch für die sieben dort aus politischen Gründen inhaftierten Deutschen einsetzen.

Cem Özdemir fordert mehr Einsatz für die „deutschen Geiseln“

Der Türkei-Experte der Grünen im Bundestag, Cem Özdemir, fordert bei diesem Thema mehr Engagement. „Außenminister Maas und die Bundesregierung müssen sich neben den sieben deutschen Geiseln in der Türkei auch für andere politische Gefangene einsetzen, deren einziges Verbrechen es ist, ihren Job als Journalisten oder Oppositionelle zu machen oder sich als kritische Bürger zu Wort zu melden“, so Özdemir gegenüber unserer Redaktion.

Bei der Frage, ob die Türkei mit der Freilassung von inhaftierten Deutschen ein Zeichen des guten Willens setzen wolle, gibt sich Ankara bedeckt. Aber Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar verkündete der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), dass der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel freikomme.