Berlin. Der Schulterschluss mit rechten Gruppen und radikale Aussagen machen die AfD angreifbar. Sollte der Verfassungsschutz sie beobachten?

Die Rolle der AfD bei den Protesten in Chemnitz bestätigt all jene, die eine Radikalisierung beklagen und nach dem Verfassungsschutz rufen. Was fehlt, um die Partei zu „beobachten“? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Was heißt „beobachten“?

Der Verfassungsschutz versteht sich als Frühwarnsystem. Er soll extremistische Bestrebungen aufspüren. Verbindungen und Funktionäre der AfD sind auf dem Radarschirm, in Niedersachsen und Bremen die Jugendorganisation, in Bayern einzelne Politiker. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) befürwortet eine Beobachtung von Teilen der AfD. Ihr Programm sei zwar nicht verfassungsfeindlich, Äußerungen von einigen Mitgliedern aber durchaus.

Im Falle des Berliner Verbandes wurden in der Vergangenheit öffentlich immer wieder Verbindungen von Anhängern der Partei-Jugendorganisation „Junge Alternative“ zur „Identitären Bewegung“ thematisiert. „Beobachten“ ist für Verfassungsschützer nicht irgendein Begriff. Wird eine Partei zum Beobachtungsobjekt, darf der Nachrichtendienst sie observieren, die Kommunikation abhören, verdeckte Informanten anwerben.

Warum gibt es jetzt die Debatte?

Demonstranten der Jungen Alternative.
Demonstranten der Jungen Alternative. © dpa | Sebastian Kahnert

Anhänger von AfD, Pegida und der „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ sind gemeinsam auf die Straße gegangen. Auch zur identitären Bewegung und zu „Reichsbürgern“ gibt es Drähte. Der Schulterschluss der Rechten – für Geisel eine „Zäsur“ - könnte zu einer neuen Lageeinschätzung führen. „Diese Partei entwickelt sich in Richtung Rechtsextremismus“, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). „Der Konflikt um die Migrationsfrage soll auf den Straßen ausgetragen werden“, analysiert Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) – für ihn eine „neue Qualität“. Schärfer geht Unionsfraktionschef Volker Kauder mit den Rechtspopulisten ins Gericht. Für ihn ist die AfD eine Partei, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet wird“.

Weiß die AfD, dass sie sich in einer Gefahrenzone bewegt?

Die AfD weiß, dass sie mit dem Feuer spielt. Auf radikale Aussagen folgen oft Relativierungen. Nach seiner umstrittenen Rede zu Holocaust und „Erinnerungskultur“ folgte ein Parteiausschlussverfahren gegen den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke. Der AfD-Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, Andrè Poggenburg, erklärte nachträglich zur „Satire“, dass er Türken als „Kameltreiber“ bezeichnet hatte.

Ins Bild passt das Verhalten der AfD-Fraktion im Hochtaunuskreis. Erst postete sie auf Facebook, „bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken“ – danach wurde der Eintrag gelöscht. Nachdem der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier via Twitter dazu aufgerufen hatte, gegen die „todbringende Messermigration“ vorzugehen, stellte er alsbald klar, dass damit Notwehr gemeint war und nicht etwa Selbstjustiz.

Nahles für AfD-Überwachung durch den Verfassungsschutz

weitere Videos

    Sind Einzelmeinungen schon Parteilinie?

    Bei jeder grenzwertigen Äußerung geht es letztlich darum, ob sie eine Einzelmeinung darstellt oder Parteilinie ist. Sollte sich das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz entscheiden, die AfD förmlich zu beobachten, muss die Behörde in letzter Konsequenz vor Gericht beweisen, dass die AfD die freiheitlich-demokratische Ordnung gefährdet; dass es ausreichende Anhaltspunkte für ein rechtsextremistisches Bestreben oder gar für eine Einflussnahme oder Steuerung durch Rechtsextremisten gibt.

    Das fällt schwer, gerade weil sich die AfD häufig von einzelnen Meinungen distanziert, womöglich eine Masche. Denn: Ausschlussverfahren wie gegen Höcke werden regelmäßig von den zuständigen Gremien am Ende abgeschmettert.

    Welche Rolle spielt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen?

    Maaßen ist skeptisch. Weder will er der Konkurrenzschutz der etablierten Parteien sein noch die AfD entlasten. Ebenso wenig will er ihr eine Märtyrerrolle zugestehen. Er und sein Amt sind unabhängig. Im Wissen darum haben Union und SPD im Koalitionsvertrag nichts zur Beobachtung der AfD aufgeschrieben.

    Wie geht es jetzt weiter?

    Die Mehrheit der Bürger und alle anderen Parteien fordern, die AfD zu beobachten. Maaßen ist angeschlagen. Ihm wird Nähe zur AfD unterstellt, weil er 2016 zweimal mit der damaligen Vorsitzenden Frauke Petry Gespräche geführt hat. Wenn die AfD beobachtet wird, dann nicht im Alleingang, sondern von von allen Verfassungsschützern im Bund und in den Landern. Die nächste Amtsleitertagung steht Ende September in Köln an.

    Vorher würde sich Maaßen mit seinem Dienstherren rückkoppeln. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagt, die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei „als Ganzes“ lägen derzeit nicht vor. Derzeit, wohlgemerkt. Am Ende ist es Seehofer, der auch darüber befindet, ob Maaßen Teil der Lösung oder des Problems ist.