Berlin. Dass die Koalition Beschlüsse auf den Weg bringt, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie ist angesichts der AfD zum Erfolg verdammt.

Die Uhr ging auf Mitternacht zu, da stellten sich die Fraktionschefs Alexander Dobrindt (CSU), Volker Kauder (CDU) und Andrea Nahles (SPD) vor den Zaun des Kanzleramtes und verkündeten die Einigung auf das Rentenpaket. Dobrindt verstieg sich dabei zu der Äußerung, die Koalition fühle sich wieder wie auf der Zugspitze.

Auf Deutschlands höchsten Gipfel hatte der CSU-Strippenzieher, der Ambitionen auf den Parteivorsitz hegt, Kauder und Nahles im Mai eingeladen. Union und SPD versprachen sich vor gigantischer Kulisse in Dobrindts Wahlkreis ein tolles Teambuilding für Deutschland. Danach waren es Dobrindt („Anti-Abschiebe-Industrie“) und die CSU, die mit gigantischem Getöse im Streit um Zurückweisungen an den Grenzen die Koalition vom Gipfel schnurstracks an den Abgrund führten.

Keine Gipfelkunst, sondern Selbstverständlichkeit

Dass CDU, CSU und SPD sich jetzt am Riemen reißen und Beschlüsse zu Mütterrenten, Weiterbildung, Arbeitslosengeld, Saisonarbeit und Mieten auf den Weg bringen, ist keine Gipfelkunst, sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit. Wer ein halbes Jahr für die Regierungsbildung braucht und sich wochenlang einen bizarren Streit um die Flüchtlingspolitik leistet, soll in die Hände spucken und dafür sorgen, dass der Aufschwung auch bei jenen ankommt, die jeden Euro umdrehen müssen.

Die Kanzlerin hat einen Herbst der Entscheidungen angekündigt, im Wochentakt soll der Koalitionsvertrag abgearbeitet werden. Zu befürchten ist, dass spätestens nach der Bayern-Wahl Mitte Oktober die Fliehkräfte in der Koalition wieder zunehmen. Dass die CSU nach einem Verlust der absoluten Mehrheit kühlen Kopf bewahrt, darf bezweifelt werden.

Finanzminister Scholz macht es sich zu einfach

Bei der SPD laufen sie schon jetzt mit einem P wie Panik auf der Stirn durch die Gegend. Die Partei kommt nicht aus dem 17-Prozent-Keller. Grüne und AfD fischen erfolgreich im Revier der Genossen. Bald will die AfD ein eigenes, „nationalsoziales“ Rentenkonzept vorlegen.

So erklärt sich auch, warum im Finanzministerium plötzlich nicht mehr der knauserige eiserne Olaf, sondern der rote Scholz in Spendierhosen grüßt. Mit seinem Vorstoß, das Rentenniveau nicht wie jetzt vereinbart bis 2025, sondern bis 2040 abzusichern, ist es dem Vizekanzler immerhin gelungen, die SPD (und sich selbst als Kanzlerkandidat) ins Gespräch zu bringen. Man darf dem Hamburger Ex-Bürgermeister abkaufen, dass ihn ernsthaft die Sorge umtreibt, dass etwas im Land ins Rutschen gerät. Die Bürger erwarteten von der Politik nicht nur warme Worte, sondern „harte Euros“. Wohl wahr. Nur, Scholz macht es sich zu einfach.

Mehr Reibung zwischen den Volksparteien ist gut

Wer in Europa als beinharter deutscher Finanzminister auftritt, muss zu Hause den Mumm haben, zu sagen, wie er seine Rentenversprechen bezahlen will. Der vage Hinweis, das werde sich mit einem stetig wachsenden Bundeshaushalt und mehr Beschäftigung älterer Arbeitnehmer quasi von selbst finanzieren, ist zu wenig. Von einem Scholz erwartet man mehr. Aber vielleicht kommt das ja noch. Auf jeden Fall ist es gut, dass es mehr Reibung zwischen den Volksparteien gibt. Union und SPD haben in Umfragen zusammen keine Mehrheit, die AfD ist in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits zweitstärkste Kraft.

Eine bittere Erkenntnis dieser Tage ist, dass der Tod eines 35-Jährigen, in Chemnitz mutmaßlich von zwei Flüchtlingen erstochen, das Auftrumpfen der Rechten und das Versagen der Polizei viele Bürger mehr umtreiben dürfte als ein noch so schönes Rentenpaket. Die große Koalition darf sich keine Schwächen mehr erlauben. Sie ist zum Erfolg verdammt, sonst fegt es sie hinweg.