Berlin. Spezialeinheiten nehmen in Berlin einen Islamisten fest. Sein Komplize kannte den Berlin-Attentäter Amri. Was ist das für ein Netzwerk?

Die Sorge der Ermittler war: Was, wenn der Sprengstoff noch in der Wohnung ist? Was, wenn der Tschetschene Magomed Ali C. die Ladung zündet? Höchste Alarmstufe um halb sieben Uhr am Mittwochmorgen, als die Spezialeinheit GSG9 die Wohnung von C. im Pölnitzweg im Berliner Stadtteil Buch stürmte. Der 31 Jahre alte russische Staatsbürger ist mindestens seit 2016 im Visier der Polizei, gilt als „Gefährder“.

Im Oktober 2016 soll er dort eine „erhebliche Menge“ des Sprengstoffs TATP (Triacetontriperoxid) gelagert haben. Dafür haben die Sicherheitsbehörden mittlerweile klare Hinweise. Den Ermittlern sei klar gewesen, dass Magomed Ali C. „ein ganz übler Typ“ sei, sagt ein Beamter. Und Magomed Ali C. war nicht allein. Er gierte mit einem französischen Komplizen. Dieser wiederum hatte Kontakt zum Attentäter am Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri.

Bei den Anschlagsplänen gehen die Ermittler bisher von einem Duo aus. Der 31-Jährige Tschetschene Magomed Ali C. soll 2016 mit dem Franzosen Clément B. einen schweren Sprengstoffanschlag vorbereitet haben, um eine möglichst große Anzahl an Menschen zu töten und zu verletzen. Das Ziel: ein Ort in Deutschland. Damals konnte offenbar eine Polizeimaßnahme die Pläne stoppen – ohne dass die Polizisten von dem Sprengstoff wussten.

Verbindung nach Frankreich

Um das zu verstehen, muss man zurückgehen zum 18. April 2017. Zur Enttarnung des Netzwerks der Islamisten war das ein entscheidender Tag. Eine Sondereinheit der französischen Polizei nimmt Clément B. und den weiteren Beschuldigten, den Franzosen Mahiedine Merabet, in ihrer gemeinsamen Wohnung in Marseille fest. Die Ermittler entdecken drei Kilo des explosiven TATP, eine Maschinenpistole und weitere Waffen.

B. und M. sollen einen Anschlag auf die damals kurz bevorstehende Präsidentschaftswahl geplant haben, sagen französische Behörden. Den Sprengstoff TATP hatten Clément B. und sein Komplize im Frühjahr 2017 in Frankreich gemeinsam hergestellt – es ist der gleiche explosive Stoff, den deutsche Ermittler später auch im Fall Magomed Ali C. festgestellt haben wollen.

Der Tschetschene und der Franzose trennten sich

Clément B. und Magomed Ali C. kannten sich gut, hatten laut Staatsanwaltschaft 2016 gemeinsam einen Anschlag geplant. Mitte 2015 war B. nach Deutschland gekommen. Der Tschetschene C. war als Asylsuchender nach Deutschland gekommen, der Antrag wurde durch das Bundesamt abgelehnt. C. erhielt aufgrund eines ärztlichen Attests offenbar eine Duldung, konnte nicht gleich abgeschoben werden.

Wie sich Clément B. und Magomed Ali C. kennengelernt haben, ist unklar. Sicher ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft: Die Anschlagspläne der beiden wurden 2016 aufgrund eines „präventiven Einsatzes“ am 26. Oktober 2016 der Berliner Polizei gegen C. gestört. Bekam der Tschetschene von der Observation etwas mit? Gab es den Tipp einer „Quelle“ an die Polizei? Besuchten Ermittler ihn an seiner Haustür, um Druck auf den „Gefährder“ auszuüben? Das ist unklar. Sicher ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft: B. und Ch. waren aufgeschreckt durch die Polizeimaßnahme, wussten nun, dass ihnen die Polizei auf der Spur war – und trennten sich.

Sie fürchteten laut Staatsanwaltschaft, dass die Beamten ihre Wohnung durchsuchen würden und den Sprengstoff finden könnten. B. reiste zurück nach Frankreich, der Tschetschene C. blieb in Berlin. Seitdem waren die Ermittler weiterhin an C. dran. Der 31-Jährige ist nach Information dieser Redaktion auch als „Gefährder“ beim Berliner Landeskriminalamt geführt. Das Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwalt schalteten sich in den Fall ein. C. gilt als sehr gefährlich. „Wir hatten ihn auf dem Schirm“, sagt ein Beamter. Clément B. verfolgte in Marseille von nun an seine Anschlagspläne in Frankreich.

Enges Dschihadisten-Netzwerk

Wie unsere Redaktion im März berichtete, soll B. auch Kontakt zum Berlin-Attentäter, Anis Amri, unterhalten haben. Als die Polizisten im Februar 2016 das Handy des späteren Berlin-Attentäters beschlagnahmten, war dort unter vielen Kontakten eine Nummer gespeichert: die von Clément B. Nur: B. war in dem Mobiltelefon nicht unter seinem richtigen Namen abgespeichert – sondern unter einem Pseudonym. Deshalb blieb den deutschen Ermittlern die Verbindung der beiden radikalen Islamisten zunächst verborgen. Bis die französische Polizei Clément B. im April 2017 in Marseille festnahm. Der junge Clement B. radikalisierte sich laut französischer Medienberichten zudem im Umfeld von Tschetschenen.

Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt, in dessen Zuständigkeitsbereich sich Anis Amri bis Anfang 2016 aufhielt, hatte durch die Überwachung von Amris Telekommunikation und einen V-Mann bereits Ende 2015 erfahren, dass Amri damit prahlte, über Kontaktpersonen in der französischen Islamisten-Szene problemlos an Schnellfeuerwehre gelangen zu können. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) fasste die Erkenntnisse im Januar 2016 in einem „Behördenzeugnis“ zusammen. Informationen über die Identität der französischen Islamisten und die Intensität der Beziehungen finden sich in den Unterlagen jedoch nicht. Die Spur zu Clement B. könnte nun Aufschluss darüber bringen.

Seit Monaten arbeiten nun Kriminalbeamte aus Deutschland, Frankreich und Belgien in einem gemeinsamen Ermittler-Team an dem Fall. Die Ermittlungen zeigen auch, wie eng Dschihadisten untereinander vernetzt sind. Der Franzose, der Tschetschene und der Tunesier Amri – alle drei verkehrten regelmäßig in der inzwischen geschlossenen Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit, die als Anlaufpunkt der islamistischen Szene galt. Gemeinsam mit anderen Islamisten aus Deutschland und dem Kaukasus.

Suche nach dem Sprengstoff

Wie eng die Bekanntschaft von Amri und B. tatsächlich waren, ist allerdings unklar. Offenbar war es den Kriminaltechnikern auch nicht mehr möglich, alle Anrufe auf Amris Handy zu rekonstruieren. Es bleibt bisher offen, ob und wie oft die beiden telefonierten oder sich trafen. Anhaltspunkte darauf, dass Amri auch in die Anschlagspläne des Tschetschenen und B. involviert war, gibt es bislang nicht. Auch nicht, dass B. und C. von den Anschlagsplänen Amris auf den Weihnachtsmarkt wussten.

Bei der Hausdurchsuchung von C. fanden die Ermittler keine Waffen oder Sprengstoff. Dabei wollten Polizei und Jusitz mit der Festnahme von C. vor allem klären, wo der Sprengstoff abgeblieben ist, den die beiden Islamisten in der Berliner Wohnung gelagert haben sollen. Doch der explosive Stoff ist bisher nicht wieder aufgetaucht.

Experten sagen aber auch, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass der Sprengstoff gar nicht mehr existiert. Da das explosive Material offensichtlich nicht unter Laborbedingungen hergestellt wurde, gilt das entstandene Gemisch als chemisch nicht besonders „stabil“. Man hoffe, dass das Gemisch nicht mehr im Umlauf sei, hieß es aus Sicherheitskreisen.