Berlin. In Zeiten von Donald Trump muss die deutsche Außenpolitik Brücken bauen – auch in Richtung Türkei. Ein Spagat für Merkels Regierung.

War da was? Selten gibt es in Deutschland so viele Unterstützungsappelle für die Türkei wie in diesen Tagen. Inmitten der Wirtschafts- und Finanzkrise am Bosporus gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Präsident Recep Tayyip Erdogan psychologische Rückendeckung: „Deutschland möchte jedenfalls eine wirtschaftlich prosperierende Türkei.“ SPD-Chefin Andrea Nahles brachte sogar Hilfen für Ankara ins Spiel.

Noch vor wenigen Wochen hatte es harsche Erdogan-Kritik aus allen politischen Lagern gehagelt. Zielscheibe war das neue Präsidialsystem, das dem Sultan von Ankara praktisch unbegrenzte Vollmachten verleiht. Die Opposition kann Erdogan nach Belieben schikanieren, die Presse an die Kandare nehmen.

Was ist auf einmal los mit der deutschen Türkei-Politik? Warum dieser Zickzackkurs? Die neue Freundlichkeit Richtung Ankara hat zunächst einmal wirtschaftliche Gründe. Ein Kollaps der Türkei würde auch etliche heimische Unternehmen treffen. Die deutsche Industrie ist wie kaum eine andere international verflochten. Zum Zweiten wird in Zeiten von US-Präsident Donald Trump klar, dass eine Dampfhammer-Politik international nur Scherbenhaufen hinterlässt. Die narzisstischen Ego-Schübe des Haudrauf-Mannes aus Washington sorgen für Verwirrung und Irritationen. Sie zerstören Vertrauen und unterhöhlen das Gefühl von Verlässlichkeit – der emotionale Kitt von Bündnissen.

Die deutsche Politik muss Brücken bauen

In einem derartigen Klima des Misstrauens, des Chaos und teilweise der Anarchie tut die deutsche Außenpolitik gut daran, den Scheuklappen-Blick abzulegen. Sie muss sich öffnen, Brücken bauen, weitere Netzwerke knüpfen. Ostasiatische Demokratien wie Japan oder Südkorea, aber auch Länder wie Kanada oder ein wirtschaftlich noch weitgehend unerschlossener Raum wie Lateinamerika gewinnen einen neuen Stellenwert.

Das heißt nicht, dass Menschenrechtsfragen unter den Teppich gekehrt werden sollen. Erdogan befindet sich innen- und außenpolitisch auf einem zweifelhaften Kurs. Er geht mit brachialer Härte gegen die Kurden im eigenen Land und in Syrien vor. Der Nato-Partner kuschelt ungeniert mit Russland. All dies muss bei den Beziehungen zur Türkei mitbedacht werden. Aber es ist eine Frage des Fingerspitzengefühls, wie und auf welcher Bühne das thematisiert wird. Man kann Erdogan in Deutschland mit schrillem Ton zur Ordnung rufen. Dies wird billigen Applaus bei der eigenen Klientel bringen, in der Sache aber nichts ändern.

Schulterschluss und diskreter Mut zum Dissens sind gefordert

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). © dpa | Lisa Ducret

Klüger scheint der Ansatz von Kanzlerin Merkel zu sein. Ihre Solidaritätsbekundung für die krisengebeutelte Türkei wirkte in Ankara wie Balsam. Es ist ein Versuch der Annäherung. Erdogan befindet sich in einer Zwangslage, wo er an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen muss: gegen den Verlust von Vertrauen in die eigene Wirtschaft, gegen die Kurden und gegen Trump. Vor diesem Hintergrund ist der türkische Staatschef besonders empfänglich für politische Zuwendung.

Trotzdem sollte Merkel auch gegenüber einem Autokraten wie Erdogan Klartext reden und Meinungsverschiedenheiten zur Sprache bringen. Die öffentliche Tribüne wäre hierfür aber kontraproduktiv. Besser eignet sich der Austausch hinter den Kulissen. Schulterschluss und diskreter Mut zum Dissens: Darin besteht die Kunst des Türkei-Spagats. Der Testfall ist schon bald. Am 21. September besucht der türkische Finanzminister Berat Albayrak seinen deutschen Amtskollegen Olaf Scholz. Am 28. und 29. September kommt Erdogan. Es ist die Chance für einen deutsch-türkischen Neustart.