Mexiko-Stadt. Venezuelas Regierung gibt ihrem Volk eine neue Währung. Benzin soll erstmals mehr kosten als Wasser. Viele Menschen müssen hungern.

Der bürgerliche Westen von Caracas erwachte am Sonntag in einigen Teilen wie eine ausgestorbene Stadt. Die Währungsreform, die von Linkspräsident Nicolás Maduro angekündigt wurde, hat die Händler so verunsichert, dass viele lieber gar nicht aufmachen, bis klar ist, welche Auswirkungen der Schritt hat.

Auf einem Plakat vor einem Obst-und-Gemüse-Geschäft im Stadtteil Chacao wies der Eigentümer darauf hin, dass das Geschäft gleich eine ganze Woche geschlossen bleibe: „Wir stellen unser System um. Wir öffnen wieder am 28. August.“

Das neue Geld orientiert sich an der Kryptowährung Petro

Am Montag sollten dem „Bolívar fuerte“, dem „starken Bolívar“, offiziell fünf Nullen genommen werden. Die Währung heißt ab sofort „Bolívar soberano“, souveräner Bolívar. Als ließe sich damit die Hyperinflation einfach abschaffen. Das neue Geld soll an die Kryptowährung Petro gebunden werden, deren realer Gegenwert die venezolanischen Bodenschätze sind.

Ein Mann schaut sich in Caracas die neuen Scheine des Bolivar Soberano an.
Ein Mann schaut sich in Caracas die neuen Scheine des Bolivar Soberano an. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS

Auch Josefa Hernández, eine 83 Jahre alte Händlerin für Unterwäsche, macht erst einmal ihr Geschäft nicht auf, das sie seit 40 Jahren auf dem Markt von Quinta Crespo in Caracas führt: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen“, sagt sie. Also bleibe das Geschäft lieber erst einmal geschlossen. „Niemand weiß, ob uns die Währungsreform hilft oder schadet.“

Viele Großhändler haben erst mal ihre Lieferungen eingestellt. Auch die elektronischen Finanztransaktionen konnten am Montag nicht abgewickelt werden. Und Bargeld ist ohnehin Mangelware. Da nutzt auch die Erhöhung des Mindestlohns nur wenig, die Präsident Maduro als begleitende Maßnahme verkündet hat. Der Lohn wurde um das 34-Fache auf 180 Millionen Bolívares erhöht, was aber gerade einmal 30 Dollar entspricht.

Maduro ist sich sicher: „Dieser Plan wird funktionieren“

Der Präsident ist dennoch zuversichtlich, dass das sogenannte „Programm zur wirtschaftlichen Erholung“ sein Land aus der Krise führt. „Dieser Plan wird funktionieren“, sagte Maduro im venezolanischen Fernsehen.

Das südamerikanische Land steckt in einer historischen Wirtschaftskrise, die kaum Vergleichbares kennt. Der Internationale Währungsfonds geht von einer Inflation von einer Million Prozent bis Ende des Jahres aus. Auf dem Schwarzmarkt kostet der Dollar etwa 3,5 Millionen Bolívar.

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro mit einer der neuen Banknoten.
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro mit einer der neuen Banknoten. © REUTERS | HANDOUT

Die Konsequenzen sind bizarr. Wer Dollars hat und auf dem Schwarzmarkt tauschen kann, lebt wie ein König. Wer wie die Mehrheit der Venezolaner auf den staatlichen Mindestlohn angewiesen ist, der hungert. Denn auch zu essen gibt es kaum etwas. Venezuela produziert nur wenig, und Geld für Importe ist längst nicht mehr da. Laut der jährlichen Erhebung der drei wichtigsten venezolanischen Universitäten zu den Lebensbedingungen (Encovi) haben vergangenes Jahr 64 Prozent der Bevölkerung bis zu elf Kilo Gewicht verloren.

Venezuela verfügt über die größten Ölreserven der Welt

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des neuen Wirtschaftsplans ist neben Erhöhung des Mindestlohns und Streichung von fünf Nullen die langsame Verteuerung des Benzins. Nirgends auf der Welt ist Sprit so billig wie in Venezuela. Als Produzent von Öl verschenkt das Land aus historischen Gründen faktisch sein Benzin. Damit ist es nun vorbei.

Von diesem Montag an wollte die sozialistische Regierung die Treibstoffpreise langsam auf internationales Niveau anheben. „Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren diese Missbildung beenden, die über lange Zeit gewachsen ist“, betonte Maduro. Registrierte Regierungsanhänger, Sozialhilfeempfänger und der öffentliche Nahverkehr sollen aber weiterhin durch direkte Subventionen unterstützt werden.

Venezuela verfügt zwar über die größten nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Doch das Land muss derzeit dennoch Benzin teuer auf dem Weltmarkt mit Devisen einkaufen, weil es selbst kein Öl fördern kann. Die Fördermenge ist zuletzt auf rund 1,36 Millionen Fass pro Tag gesunken, den niedrigsten Stand seit mehr als 50 Jahren.

Venezuela kann seinen Reichtum kaum abschöpfen

Die staatliche Erdölfirma PDVSA hat ihre Infrastruktur seit Jahrzehnten nur unzureichend modernisiert.
Die staatliche Erdölfirma PDVSA hat ihre Infrastruktur seit Jahrzehnten nur unzureichend modernisiert. © REUTERS | MARCO BELLO

Weil die staatliche Erdölfirma PDVSA seit Jahrzehnten nicht mehr in moderne Fördertechnik, Instandhaltung ihrer Anlagen und Ausbildung von Personal investiert, kann das Land seinen Reichtum kaum abschöpfen.

Ökonomen sind skeptisch, ob der Wirtschaftsplan die erhofften Früchte trägt: Es müssten die strukturellen Probleme wie die Modernisierung des Ölsektors und die gleichzeitige Verringerung der Abhängigkeit von der Ölförderung gelöst werden, indem die brachliegende Produktion in Industrie und Landwirtschaft wiederbelebt wird.

Möglicherweise helfe aber auch nur noch eine „Dollarisierung“ der Wirtschaft. Den US-Dollar als Landeswährung haben bereits Panama, Ecuador und El Salvador in der Region. Aber dies geht aus ideologischen Gründen kaum. Denn für Venezuelas linksnationalistische Regierung sind die USA der „Hort alles Bösen“.