Barcelona. Ein Jahr nach dem Terror in Barcelona und Cambrils überschattet der Streit um Kataloniens Unabhängigkeit die Erinnerung an die Opfer.

Es ist heiß in Barcelona, typisch August. Einheimische und Touristen flanieren auf dem Boulevard La Rambla, sitzen in Cafés, plaudern bei Wermut und Cava, bummeln an Schaufenstern vorbei. So wie vor einem Jahr, als sich von einer Sekunde auf die andere alles änderte.

Am 17. August 2017 um 17 Uhr rast ein weißer Lieferwagen von der Plaza Catalunya aus in den Fußgängerbereich, reißt über eine Strecke von rund 600 Metern Menschen mit sich und hinterlässt eine Spur des Todes. Leblose Körper bedecken den Asphalt, einige der Opfer sind sofort tot, Dutzende liegen verletzt am Boden.

Der Terror hat Katalonien erreicht. Beim Anschlag des „Islamischen Staates“ (IS) und einer wenige Stunden später vereitelten Attacke im Küstenort Cambrils kamen insgesamt 16 Menschen ums Leben. Auch eine Deutsche war unter den Opfern.

Kurz nach Barcelona der Anschlag in Cambrils

Die Polizeipräsenz in Barcelona ist heute größer denn je. Polizisten mit Langwaffen patrouillieren. Stahl-Poller, Blumenkübel und Betonklötze versperren die Zufahrt in die breite Fußgängerzone, die in der Mitte der Rambla-Allee verläuft, wo 14 Menschen überrollt wurden und starben. Der Terrorist, der 22-jährige Marokkaner Younes Abouyaaqoub, erstach auf seiner Flucht einen weiteren Mann und entkam zunächst, wurde später gestellt und von einem Polizisten getötet.

Ein Jahr nach dem Lastwagenanschlag: Verstärkte Polizei-Präsenz auf der Promenade im Zentrum von Barcelona.
Ein Jahr nach dem Lastwagenanschlag: Verstärkte Polizei-Präsenz auf der Promenade im Zentrum von Barcelona. © action press | Dyd Fotografos

Nur wenige Stunden nach dem Attentat in Barcelona folgte der zweite Schlag – Ferienort Cambrils. Fünf Terroristen überrollten mit ihrem Pkw mehrere Passanten. Eines der Opfer starb. Kurze Zeit später konnte die Polizei das Terrorkommando stoppen. Alle fünf Terroristen wurden erschossen.

Attentäter wollten wohl Eiffelturm und Sagrada Familia angreifen

Die Attentäter, durchweg marok­kanischer Abstammung, hatten eigentlich noch größere Terrorpläne, wie die Ermittlungen ergaben: Sie wollten mit rollenden Bomben gleichzeitig in Paris und in Barcelona zuschlagen. Ziel waren offenbar die berühmtesten Wahrzeichen dieser Städte: der Eiffelturm in Paris und die Gaudí-Basilika Sagrada Família in Barcelona. Beide Monumente sollten mit Autobomben angegriffen werden.

Nur die Explosion der Bombenwerkstatt, die sich am Tag vor der mörderischen Fahrt durch Barcelona ereignete, verhinderte die Ausführung dieser Attentate. Mehr als 100 Gasflaschen, die mit Sprengstoff gefüllt werden sollten, wurden in den Trümmern gefunden. Bei der Explosion im Ort Alcanar, 200 Kilometer von Barcelona entfernt, starben zwei weitere Terroristen.

Anführer der Terroristen war der Polizei bekannt

Einer dieser beiden Toten war der Anführer der Terrorgruppe: Der 44 Jahre alte Imam Abdelbaki Es Satty amtierte jahrelang als Prediger der Moschee im katalanischen Bergdorf Ripoll, das im Hinterland Barcelonas liegt. Dort hatte er zwölf junge Männer, die meisten um die 20, mit Hassreden zum Terror aufgehetzt. Acht von ihnen sind tot, vier weitere warten im Gefängnis auf ihren Prozess.

Es Satty war ein alter Bekannter der Polizei. Er saß wegen Drogengeschäften im Gefängnis, galt auch als Polizeispitzel. Warum er trotzdem seine Terrorpläne vorantreiben konnte, ist bis heute unklar. Genauso, warum ein Hinweis des US-Geheimdienstes, der drei Monate vor dem Terror vor Anschlägen in Barcelona warnte, folgenlos blieb.

Barcelona trauert nach dem Anschlag

Ein Täter war am Donnerstag mit einem Lastwagen in die Flaniermeile Las Ramblas gefahren. Bis jetzt fahndet die Polizei nach dem Haupttäter, der möglicherweise noch immer auf freiem Fuß ist. Die Stadt trauert.
Ein Täter war am Donnerstag mit einem Lastwagen in die Flaniermeile Las Ramblas gefahren. Bis jetzt fahndet die Polizei nach dem Haupttäter, der möglicherweise noch immer auf freiem Fuß ist. Die Stadt trauert. © dpa | Manu Fernandez
Bei dem Anschlag starben mehr als ein Dutzend Menschen, außerdem gab es viele Verletzte. Am Samstag lagen noch mehr als 50 Terroropfer verletzt im Krankenhaus, wie die katalanischen Notfalldienste mitteilten.
Bei dem Anschlag starben mehr als ein Dutzend Menschen, außerdem gab es viele Verletzte. Am Samstag lagen noch mehr als 50 Terroropfer verletzt im Krankenhaus, wie die katalanischen Notfalldienste mitteilten. © REUTERS | ALBERT GEA
In der Basilika Sagrada Familia in Barcelona wurde am Wochenende mit einer Trauerfeier der Terroropfer gedacht.
In der Basilika Sagrada Familia in Barcelona wurde am Wochenende mit einer Trauerfeier der Terroropfer gedacht. © REUTERS | SUSANA VERA
Auch das spanische Königspaar Felipe VI. (mitte, li.) und Letizia (mitte, re.) sowie Barcelonas Bürgermeister Ada Colau legten auf der Flaniermeile Kerzen nieder. Der Monarch sagte: „Wir haben keine Angst und werden niemals Angst haben.“
Auch das spanische Königspaar Felipe VI. (mitte, li.) und Letizia (mitte, re.) sowie Barcelonas Bürgermeister Ada Colau legten auf der Flaniermeile Kerzen nieder. Der Monarch sagte: „Wir haben keine Angst und werden niemals Angst haben.“ © dpa | Emilio Morenatti
Die Menschen sind fassungslos: Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Angriffe in Spanien für sich. Mehrere Glaubenskämpfer hätten sie ausgeführt und „Kreuzfahrer“ ins Visier genommen, teilte der IS im Internet mit.
Die Menschen sind fassungslos: Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Angriffe in Spanien für sich. Mehrere Glaubenskämpfer hätten sie ausgeführt und „Kreuzfahrer“ ins Visier genommen, teilte der IS im Internet mit. © REUTERS | STRINGER
„Es waren Tage von Tränen und Menschlichkeit“, sagte Weihbischof Sebastià Taltavull. Das Volk habe keine Angst.
„Es waren Tage von Tränen und Menschlichkeit“, sagte Weihbischof Sebastià Taltavull. Das Volk habe keine Angst. © REUTERS | ALBERT GEA
Die Menschen teilen ihre Gefühle auf Plakaten: „Liebes Barcelona, liebe Welt, man muss immer mit Liebe weitergehen.“
Die Menschen teilen ihre Gefühle auf Plakaten: „Liebes Barcelona, liebe Welt, man muss immer mit Liebe weitergehen.“ © dpa | Matthias Oesterle
Vielerorts zeigen die Menschen in Schweigeminuten ihre Solidarität mit den Opfern von Barcelona. So auch hier beim Fußballspiel Schalke 04 gegen RB Leipzig in Gelsenkirchen.
Vielerorts zeigen die Menschen in Schweigeminuten ihre Solidarität mit den Opfern von Barcelona. So auch hier beim Fußballspiel Schalke 04 gegen RB Leipzig in Gelsenkirchen. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
Wenige Stunden nach dem Anschlag in Barcelona starb eine Frau in der südlich gelegenen Küstenstadt Cambrils, wo offenkundig ein weiterer Anschlag vereitelt wurde. Sie wurde von Verdächtigen auf der Flucht überfahren. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Attacken in Barcelona und Cambrils von einem Netzwerk aus rund einem Dutzend Verdächtigen verübt wurden.
Wenige Stunden nach dem Anschlag in Barcelona starb eine Frau in der südlich gelegenen Küstenstadt Cambrils, wo offenkundig ein weiterer Anschlag vereitelt wurde. Sie wurde von Verdächtigen auf der Flucht überfahren. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Attacken in Barcelona und Cambrils von einem Netzwerk aus rund einem Dutzend Verdächtigen verübt wurden. © dpa | Matthias Oesterle
Rund 200 Muslime marschierten unter dem Motto „Wir sind Muslime, keine Terroristen“ über die Ramblas.
Rund 200 Muslime marschierten unter dem Motto „Wir sind Muslime, keine Terroristen“ über die Ramblas. © dpa | Santi Palacios
Am Ende bleibt die quälende Frage: „Wie konnte das passieren?“ Drei Tage nach der Terrorattacke von Barcelona sucht die katalanische Polizei noch immer nach Antworten. .
Am Ende bleibt die quälende Frage: „Wie konnte das passieren?“ Drei Tage nach der Terrorattacke von Barcelona sucht die katalanische Polizei noch immer nach Antworten. . © REUTERS | SUSANA VERA
1/11

Hakte die Zusammenarbeit zwischen Madrid und Katalonien?

Manches spricht dafür, dass es bei der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Sicherheitsbehörden und Kataloniens autonomer Regionalpolizei hakte. In Katalonien regierte damals Separatistenchef Carles Puigdemont. Dieser befand sich mit seinen Unabhängigkeitsplänen auf Konfrontationskurs zum spanischen Staat. Die Spannungen trübten möglicherweise auch die Anti-Terror-Kooperation.

Und nicht nur das: Auch das Ge­denken an die Opfer der Terrorserie in Barcelona und Cambrils wird von Ka­taloniens Unabhängigkeitskrise überschattet. Mehrere Organisationen der katalanischen Separatistenbewegung haben angekündigt, dass sie nicht am ­offiziellen Gedenkakt an diesem Frei­tagvormittag in Barcelona teilnehmen werden. Stattdessen wollen sie am Nachmittag vor jenem Gefängnis vor den Toren der Stadt demonstrieren, in dem einige Separatistenpolitiker in U-Haft sitzen.

König Felipes Besuch in Barcelona stört Separatisten

Vor allem die Anwesenheit von König Felipe, der als Spaniens Staatschef an der Feierstunde teilnimmt, ist vielen Separatisten ein Dorn im Auge. Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra, ein Vertrauter des ins Ausland geflüchteten Puigdemont, ließ wenig Zweifel daran, dass er auf Felipes Kommen keinen Wert legt. „Felipe ist nicht der König der Katalanen“, sagt Torra, der weiterhin an einer „unabhängigen katalanischen Republik“ arbeitet. So wie Torra denkt aber nur etwa die Hälfte der Katalanen, die in ein prospanisches und ein separatistisches Lager gespalten sind.

Für König Felipe könnte der Besuch in Barcelona schwierig werden. Bürgermeisterin Ada Colau bat zwar darum, den Terror-Gedenkakt nicht zu politisieren. „Es gibt viele andere Tage, um über die Monarchie und die Republik zu reden“, meint sie. Ob ihr Appell hilft, ist nicht ausgemacht. Denn auch Spaniens neuer, sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez kommt. Und Torra rang sich ebenfalls zur Teilnahme durch.

Ab Herbst Prozess gegen katalanische Separatisten

Dabei hatte sich nach dem Amtsantritt des neuen spanischen Ministerpräsidenten im Juni die Lage zwischen den katalanischen Separatisten und der Zentralregierung in Madrid zunächst entspannt. Sanchez hatte sich mit Torra in Madrid getroffen. Beide Seiten vereinbarten weitere Gespräche.

Doch im Herbst beginnt in Madrid der Prozess gegen führende katalanische Separatisten. Sie sind wegen Rebellion angeklagt, und ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 30 Jahren. Es droht ein heißer Herbst. Torra und sein politischer Mentor Puigdemont haben angekündigt, dass sie ihren Kampf um die Unabhängigkeit nicht aufgeben werden. Schon am 11. September, wenn die Katalanen mit der „Diada“ ihren Nationalfeiertag feiern, werden viele Tausend Separatisten in Barcelona demonstrieren, dass weiter mit ihnen zu rechnen ist. (mit dpa)