Berlin. Immer wieder kommt es in der katholischen Kirche zu Missbrauch. Der Missbrauchsbeauftragte wirft ihr unzureichende Aufarbeitung vor.

Seit Jahren läuft die Aufdeckung der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche. Und noch immer kommen regelmäßig neue, erschütternde Fälle ans Licht – wie jetzt in Pennsylvania, wo der Generalstaatsanwalt mehr als 300 Priester beschuldigt, ihre Opfer vergewaltigt, gequält und gedemütigt zu haben. In Deutschland will die katholische Kirche Ende September über den Stand der Aufarbeitung der hiesigen Missbrauchsfälle berichten. Experten beklagen jedoch, dass Täterschutz immer noch vor Opferschutz gehe.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, wirft der katholischen Kirche vor, Missbrauchsfälle nicht ausreichend aufzuklären: Für die große Aufarbeitungsstudie der Deutschen Bischofskonferenz hätten leider nicht alle Bistümer ihre Archive geöffnet, sagte Rörig dieser Redaktion. „Aufarbeitung wird wohl noch zu oft als Gefahr für die eigene Institution gesehen.“ Diese Haltung mache deutlich, wie sehr Institutionen- und Täterschutz noch immer vor Opferschutz stehen. Der Regierungsbeauftragte mahnte: „Es darf nicht mehr nur um den Schutz und das Ansehen der Kirche gehen.“

Reihe von kirchlichen Institutionen präsentieren sich plakativ mit Schutzkonzepten

Missbrauchsbeauftragter Johannes-Wilhelm Rörig sieht in der Kirche nicht nur Einzelfälle, sondern strukturelle Probleme.
Missbrauchsbeauftragter Johannes-Wilhelm Rörig sieht in der Kirche nicht nur Einzelfälle, sondern strukturelle Probleme. © dpa | Sebastian Gollnow

Sein Appell: Beim kirchlichen Missbrauch gehe es nicht nur um Einzelfälle oder Einzeltäter – „es sind immer auch strukturelle Probleme, die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ermöglichen.“ Diesen Strukturproblemen müsse sich die katholische Kirche stellen. Die jüngsten Berichte über Fälle in Pennsylvania seien „ein weiteres grausiges Beispiel“ dafür, mit welcher Ohnmacht Kinder der immensen sexuellen Gewalt katholischer Ordensträger ausgesetzt waren, so Rörig. Es sei daher wichtig, dass in jedem Bistum und in jedem Orden aufgearbeitet werde – „auch proaktiv und nicht erst, wenn Betroffene sich zu Wort melden“.

Ähnlich sehen es auch die Experten der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs: „Es reicht nicht, immer nur das zuzugeben und aufzuarbeiten, das von Betroffenen aufgedeckt wurde“, sagte Kommissionsmitglied Heiner Keupp dieser Redaktion. „Zugegeben wird, was nicht mehr vertuscht werden kann.“ Es gebe eine Reihe von kirchlichen Institutionen, die sich jetzt mit Schutzkonzepten plakativ präsentierten, aber nicht dazu bereit seien, die Verbrechen in der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. „Wenn Betroffene sich an die verantwortlichen Kirchen gewandt haben, erlebten sie oft massive Abwehr, Schweigen, bürokratische Kälte“, so Keupp.

Bischofskonferenz zieht Bilanz der Aufarbeitung

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz, wollen am 25. September die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojekts „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ im Rahmen der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda vorstellen. Es soll eine Art Bilanz der Aufarbeitung sein: Anfang 2010 hatte der Jesuitenpater und damalige Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, in einem Brief Fälle sexuellen Missbrauchs an seiner Schule öffentlich gemacht. Er löste damit die bundesweite Debatte über Missbrauch in der katholischen Kirche aus.

Die aktuelle Untersuchung wurde 2014 gestartet – sie ist der zweite Anlauf für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Der erste Anlauf war gescheitert: Im Sommer 2011 hatte zunächst der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer den Auftrag übernommen, geriet dann aber mit den Auftraggebern in Streit über die Frage, wie mit den Ergebnissen umgegangen werden solle. Pfeiffer warf der Kirche schließlich Zensur vor, die ihrerseits sprach von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis.