Washington. Verschwörungstheoretiker in den USA haben eine geheimnisvolle Heimstatt gefunden. Eng wird es aber für einen Kopf der Fake-News-Szene.

Seit Amtsantritt von Donald Trump, der an manchen Tagen so oft lügt und schwindelt, wie andere Menschen atmen, sind Verschwörungstheoretiker in Amerika im Aufwind. Auf diversen Internet-Plattformen schießen konspirative Erzählungen ins Kraut, die bereitwillige Abnehmer finden. Zwei gegenläufige Phänomene schreiben gerade besonders dicke Schlagzeilen: „QAnon“ – und Alex Jones.

Mit der „QAnon“-Bewegung haben die Anhänger krudester Thesen, wie etwa der, dass Trumps Vorgänger Barack Obama und die Demokratin Hillary Clinton Kindersex-Ringe leiten, eine neue Heimstatt gefunden.

Unter US-Präsident Donald Trump scheinen Verschwörungstheorien gesellschaftsfähig zu werden.
Unter US-Präsident Donald Trump scheinen Verschwörungstheorien gesellschaftsfähig zu werden. © dpa | Matt Rourke

Hinter der auf mehrere zehntausend Sympathisanten geschätzten Gruppe, die zuletzt bei Trumps Wahlkampf-Veranstaltungen mit T-Shirts auffiel, auf denen groß der Buchstabe „Q“ prangt, soll seit Herbst vergangenen Jahres ein anonymer Mitarbeiter der Regierung mit Zugang zu höchsten Geheimnissen stecken.

Verschwörungstheorien um einen „deep state“

Der Anonymus hat bisher über 1800 Nachrichten auf dubiosen Web-Plattformen wie „4chan“ und „8chan“ platziert, die alle um ein Thema kreisen: Der „deep state“, ein seit Jahrzehnten herbei spintisiertes Bündnis finsterer Technokraten in Regierung, Ämtern, Parteien, Wirtschaft, Medien und Militär, versucht Amerika zu unterjochen. Aber Trump, als Kämpfer für Freiheit und Vaterland stilisiert, wird die Bösewichte neutralisieren. „Potus (Kurzform für „President of the United States“) ist unser Retter“, heißt in einem klassischen Beitrag. „Betet. Operationen sind im Gange. Wir sind im Krieg.“

Experten warnen davor, die „Q“-Story als folgenlosen Unsinn abzutun.
Experten warnen davor, die „Q“-Story als folgenlosen Unsinn abzutun. © REUTERS | Leah Millis

„Q“ bedient sich dabei pseudo-wissenschaftlicher Versatzstücke, die oft wie schlecht gemachte Kopien aus den Illuminaten, Dan-Brown-Büchern oder den Krankenakten von Menschen mit Wahnvorstellungen wirken. Allerdings finden sie via Internet rasend Verbreitung und Anhänger.

„Wohin einer von uns geht, gehen wir alle“, lautet der informelle Schlachtruf der Gruppe, die sich geistig von „Brotkrumen“ ernährt, die „Q“ ihnen jeden Tag digital hinwirft. End-Botschaft: Nach dem „Erwachen“ kommt ein „Sturm“ und spült alle Feinde Trumps hinfort.

Der Glaube an bizarre Thesen wird gesellschaftsfähig

Was sich wie ein extremes Rand-Thema der Wohlstandsgesellschaft anhört, kriecht langsam aber stetig in den Mainstream. Seit wenigen Tagen berichten viele Zeitungen und TV-Sender in den USA über „QAnon“ – und räumen ein, dass die ganze Chose nicht wirklich zu fassen ist. Weil: „echt zu crazy“.

Beispiel: Für die „Q“-Jünger ist der Sonder-Ermittler Robert Mueller in der Russland-Affäre kein Trump-Jäger. Im Gegenteil. Der frühere FBI-Chef ermittele in Wahrheit gegen Obama, Clinton und den Milliardär George Soros. Alle drei wollten Amerika mittels eines Staatsstreichs in ihre Gewalt bringen.

Das ist US-Sonderermittler Robert Mueller

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    Experten warnen davor, die „Q“-Story als folgenlosen Unsinn abzutun. Mit Trump an der Spitze der Falschinformationskrieger werde der Glaube an noch so bizarre Thesen gesellschaftsfähig. Und gefährlich.

    Verschwörungstheoretiker fordert FBI-Akten

    Erst vor wenigen Wochen hatte eine bewaffneter Q-Anhänger mit einem gepanzerten Kleinlaster am Hoover-Staudamm in Nevada für Angst und Schrecken gesorgt. Er forderte die Veröffentlichung eines (natürlich nicht existenten) Untersuchungsberichts des FBI, der Obama und Clinton als Kindersex-Händler mutet.

    Der Fall erinnert an „Pizzagate“. Ende 2016 war der 28-jährige Edgar Welch aus North Carolina in die Hauptstadt Washington gereist, um Selbstjustiz zu üben. Der Verschwörungstheoretiker Mike Cernovich hatte zuvor verbreitet, dass die Trump-Rivalin Hillary Clinton im Keller eines beliebten Pizza-Restaurants an der Connecticut Avenue einen Pädophilenring betreibe. Welch stürmte das Lokal mit einem Gewehr, schoss um sich, verletzte aber zum Glück niemanden. Er wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.

    Alex Jones hetzt gegen Demokraten, Homosexuelle, Muslime

    Alex Jones betreibt die Internetseite „Infowars.com“.
    Alex Jones betreibt die Internetseite „Infowars.com“. © REUTERS | Lucas Jackson

    Eine ähnliches Schicksal wünschen Zigtausende Amerikaner auch Alex Jones. Der heiser-kehlig keifende Betreiber der Fake-News-Plattform „Infowars“, den Trump persönlich mehrfach lobte („Dein Ruf ist fantastisch“), hat aus Hass und Hetze gegen Demokraten, Homosexuelle, Muslime und alles, was irgendwie links wirkt, ein Millionengeschäft gemacht.

    Unterm der Schirm der in der US-Verfassung gesondert geschützten Meinungsfreiheit hat der bullige Demagoge unter anderem die Behauptung aufgestellt, die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington seien ein „inside job“ der US-Geheimdienste gewesen seien. Konkret: Die Türme des World Trade Center seien von der Bush-Regierung gesprengt worden.

    Facebook, Apple, YouTube und Spotify kappen Alex Jones’ Kanäle

    Medien-Kritiker sehen in Leuten wie Jones, der mit rechtsradikaler Schlagseite Weltuntergangsstimmung verbreitet, einen Hauptgrund für das vergiftete gesellschaftliche Klima in den USA. Millionen bewegen sich unter seiner Anleitung mit eigenen Fakten und Wahrheiten in Paralleluniversen.

    Seit wenigen Tagen bekommt Jones’ Imperium, das in einer unscheinbaren Industrie-Halle in Houston/Texas residiert, Risse. Große Internet-Dienstleister wie Facebook, Apple, YouTube und Spotify haben die vielfältigen Übertragungskanäle im Netz gekappt und bestehende Sendungen (Podcast) in den digitalen Mülleimer geworfen. Stellvertretend für viele erklärte der Mega-Konzern Apple: „Apple duldet keine Hassrede.“ Facebook wirft Jones eine „entmenschlichende Sprache“ vor, wenn er „Muslime und Einwanderer“ beschreibt.

    Auf Twitter kann Jones weiter Verschwörungstheorien verbreiten

    Auslöser für die von Jones als „historische Zensur“ gebrandmarkte Aktion war dies: Der Lügenbaron hatte sich zum Wortführer der Spekulation gemacht, dass auch das Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown vor sechs Jahren mit 26 Toten, darunter 20 Schulanfänger, ein Akt dubioser Schauspieler des amerikanischen Staates gewesen sei – ein „hoax“. Adam Lanza, der ebenso kaltblütige wie schwer gestörte Todesschütze, der Kinder, Lehrer, seine eigene Mutter und dann sich selbst umbrachte, sei nur Staffage gewesen.

    Die Eltern des damals erschossenen Noah Pozner mochten sich diese Geschichtsklitterung nicht mehr antun. Weil sie von Jones persönlich angegriffen wurden, spürten Hetzer im Netz die Familie auf und bedrohten sie. Die Pozners zogen seither sieben Mal um, immer auf der Flucht vor Leuten, die Jones’ Tiraden auf „Infowars“ für bare Münze nahmen. Wegen Verleumdung haben sie den Radio- und Fernsehmoderator nun verklagt und fordern Millionensummen als Entschädigung.

    Jones schwänzte den Prozessauftakt und ließ über seine Anwälte erklären, dass man das Recht auf freie Meinungsäußerung niemals antasten dürfe. Facebook, Apple & Co. sehen das anders und haben ihm den Stecker gezogen. Nur auf Twitter ist noch kein Verbot ergangen. Das hat Alex Jones mit einem anderen Verschwörungstheoretiker gemein, der dort täglich mehrmals über 50 Millionen Menschen antextet: Donald Trump.