Berlin. Deutschland streitet, ob es einen Pflichtdienst für Jugendliche geben soll. Schon jetzt engagieren sich Zehntausende – ganz ohne Zwang.

Raus aus der Schule – rein ins richtige Leben: Für viele junge Deutsche ist der Schritt alles andere als leicht. Ausbildung? Studium? Auslandsjahr? Oder erstmal jobben? Die Politik diskutiert in diesen Tagen über die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahrs für Schulabgänger. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Rund 100.000 junge Leute leisten derzeit bereits Jahr für Jahr Freiwilligendienste. Und: Es gibt jetzt schon mehr Bewerbungen als freie Stellen. Wäre es nicht besser, den Freiwilligendienst zu stärken? Update vom 28. November 2019: Erneut bringt AKK ein Dienstjahr ins Gespräch.

Welche Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es?

Die traditionsreichste Form des freiwilligen Engagements ist das Freiwillige Soziale Jahr, kurz FSJ. Seinen Ursprung hat das Konzept in Aufrufen der Kirchen, sich ein Jahr lang freiwillig in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Seit 1964 regelt das Gesetz Rahmenbedingungen für die Dienste. 1993 kam das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) dazu, bei dem sich junge Leute für Natur- und Umweltschutz einsetzen können.

Die Einsätze, die meist zwölf Monate lang sind, aber auch kürzer oder länger sein können, sind nicht auf das Inland beschränkt: Viele Träger bieten auch im Ausland FSJ-Plätze an.

FSJ und FÖJ sind jungen Menschen vorbehalten: Bewerber müssen zwischen 16 und 27 Jahren alt sein. Doch auch wer sich später im Leben engagieren möchte, hat dazu die Möglichkeit: Der Bundesfreiwilligendienst (BFD) hat keine Altersbeschränkung. Diese Option wurde 2011 geschaffen, als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, um Zivildienstleistende zu ersetzen. Anders als beim FSJ können sogenannte „Bufdis“ ihren Dienst auch in Teilzeit absolvieren, wenn sie älter als 27 Jahre sind.

Wer sind die Freiwilligen?

Rund 100.000 Männer und Frauen leisten derzeit einen der Freiwilligendienste. Etwa 55.000 arbeiten im Rahmen der Jugenddienste. Der Trend geht aber nach Angaben des Familienministeriums seit Jahren nach oben. Die meisten Freiwilligen im Sozialen Jahr seien 18 Jahre alt, sagt Jaana Eichhorn vom Bundesarbeitskreis FSJ, einem Zusammenschluss der Trägerorganisationen. In den letzten Jahren sei zudem die Zahl der Minderjährigen gestiegen.

Auch im Bundesfreiwilligendienst sind die Unter-27-Jährigen in der Mehrheit – älter sind nur rund 30 Prozent der „Bufdis“. Rund zwölf Prozent sind sogar über 50 Jahre alt. Der Dienst ist bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt: 44 Prozent der Menschen im BFD sind Männer, 56 Prozent Frauen.

Der Dienst hat sich nach seiner Einführung 2011 schnell etabliert – schon 2012 gab es 34.345 Freiwillige, mittlerweile hat sich die Zahl auf rund 40.000 pro Jahr eingependelt. Zum Vergleich: Zivildienstleistende, deren Fehlen mit dem BFD ausgeglichen werden sollte, gab es im Juni 2011 noch 19.833. Statt der Einführung eines neuen Dienstes wünscht sich die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) deshalb mehr Plätze für Freiwillige.

Im Jahr 2017 habe nur gut ein Drittel der bundesweit 148.000 Bewerber eine Stelle im Freiwilligendienst erhalten. Vor allem Ältere, die sich auch länger als ein Jahr engagieren wollten, gingen häufig leer aus, so Schwesig. Auch das DRK berichtet von mehr Bewerbungen als Plätzen.

Welche Aufgaben erfüllen sie?

„Sozial“ bedeutet nicht, dass alle Freiwilligen mit Kindern oder Pflegebedürftigen arbeiten. Das Jahr kann auch in Sportvereinen, Kultureinrichtungen, in der Denkmalpflege oder im politischen Bereich geleistet werden. Viele entscheiden sich trotzdem für „klassische“ Einsatzgebiete: Arbeit mit Menschen mit Behinderung, in Kitas oder in der Pflege. Beim DRK war 2016 nach einer eigenen Auswertung ein Viertel der FSJler in einem Krankenhaus beschäftigt.

In jedem Fall müssen die Dienste „arbeitsmarktneutral“ sein. Die Anwesenheit der Freiwilligen darf also nicht dazu führen, dass jemand seinen Job verliert, weil die Aufgaben durch FSJ- oder BFDler geleistet werden. Das Bundesfamilienministerium hat 2015 gefragt, wie die Freiwilligen ihren Dienst wahrgenommen haben: 85 Prozent der Befragten gaben an, dass sie eher zufrieden oder sogar sehr zufrieden waren mit ihrer Tätigkeit. 88 Prozent sagten, sie würden anderen empfehlen, einen Dienst zu leisten.

Wäre eine Dienstpflicht möglich?

Nach der Aussetzung der Wehrpflicht sind die rechtlichen Hürden für eine Wiedereinführung eines verpflichtenden Dienstes hoch: Artikel 12 des Grundgesetzes legt fest, dass niemand zu einer Arbeit gezwungen werden darf, außer „im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“. „Herkömmlich“ wäre ein neu eingeführtes Pflichtjahr für Frauen und Männer aber nicht.

Zahlreiche Politiker und Experten zweifeln deswegen an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines verpflichtenden Dienstes. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte, es sei juristisch fraglich, ob dies mit dem Grundgesetz vereinbar und europarechtlich zulässig sei. Das müsse „sehr gründlich verfassungsrechtlich geprüft werden“. Eine Sprecherin des Familienministeriums sagte, es sei klar, „dass die rechtlichen Hürden für ein Pflichtjahr hoch wären.“

Wie sinnvoll wäre ein Dienstjahr?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Vor allem Unionspolitiker hatten Sympathie für die Idee eines Dienstjahrs ausgedrückt. Verbände dagegen sind skeptisch und sprechen sich eher für eine Stärkung der bestehenden Angebote aus. „Wir haben mit den Freiwilligendiensten zeigen können, dass dort, wo Menschen sich freiwillig einbringen, die Zufriedenheit bei allen Beteiligten ex­trem hoch ist“, sagt Jaana Eichhorn vom Bundesarbeitskreis FSJ dieser Redaktion, „bei den Freiwilligen selbst genauso wie bei den Einrichtungen.“ Es mache einen Unterschied, ob jemand sich freiwillig für einen Dienst entscheide oder gezwungen sei.

Sie plädiert deshalb dafür, die existierenden Dienste attraktiver zu machen, zum Beispiel mit besserer Bezahlung. Denn während Zivildienstleistende die gleichen Bezüge erhielten wie Wehrdienstleistende, bekommen Menschen in den freiwilligen Jugenddiensten und im BFD nur ein Taschengeld. „Unsere Freiwilligen können meist nicht von zu Hause ausziehen und sind auf ihre Eltern angewiesen“, sagt Eichhorn. Außerdem wünscht sie sich mehr gesellschaftliche Anerkennung, zum Beispiel in Form bevorzugter Studienzulassung.

Das Deutsche Rote Kreuz, nach eigenen Angaben der größte Träger von Freiwilligendiensten in Deutschland, begrüßt die Debatte um die Dienstpflicht, weil sie dazu beitragen könne, dass Engagement zu stärken. Doch auch das DRK will mehr Engagement aus der Politik für freiwillige Optionen. „Wir wünschen uns mehr Anerkennung sozialen Engagements“, sagt DRK-Sprecher Dieter Schütz, „denn wir werden in den nächsten Jahrzehnten zunehmend mehr Einsatz brauchen.“