Ingolstadt. In Manching steht eines der bayerischen Ankerzentren. Ab 1. August soll es Asylverfahren im Schnellverfahren geben. Ein Ortsbesuch.

Innerhalb weniger Minuten wird eine Reihe von Bauzäunen aufgestellt. Sie soll die wartende Menschenmenge in zwei Gruppen teilen. In eine Besuchergruppe, die heute ausnahmsweise auf dem Gelände sein darf. Und in eine Asylbewerbergruppe, die auf dem Gelände, nicht aber in diesem Land bleiben soll.

Es dauert ein paar Minuten bis jeder auf der Seite ist, die die Regierung von Oberbayern für richtig hält. Inmitten dieser ganzen Leute steht vollkommen unbeirrt Daniel Waidelich - Seitenscheitel, dunkelblauer Anzug, gestreifte Krawatte. Er ist Sachgebietsleiter der Regierung von Oberbayern und für Manching zuständig. „Hier sehen Sie nun Gebäude Nummer 60“, sagte er den Gästen.

Zum 1. August nimmt hier das neu gegründete Landesamt für Asyl und Rückführungen seine Arbeit auf. Ebenfalls zum 1. August starten die sieben sogenannten Ankerzentren in Bayern. Hier in Manching, einer Marktgemeinde südöstlich von Ingolstadt, steht eines davon.

Sicherheitspersonal wurde aufgestockt

Vor zwei Jahren wurde die Asylunterkunft auf dem Areal der ehemaligen Max-Immelmann-Kaserne eröffnet. Draußen fährt ein Mannschaftswagen der Polizei langsam die Straße auf und ab. Hinter Gitterzaun mit Stacheldrahtreihen patrouillieren alle fünfzig Meter zwei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes. Szenen wie vor einigen Monaten in einer Unterkunft im baden-württembergischen Ellwangen gilt es durch dieses Sicherheitsaufgebot zu vermeiden.

Ein Togoer sollte für seine Abschiebung von der Polizei abgeholt werden – die stand dort heftigen Protesten gegenüber. Die Beamten sahen sich gezwungen, den Mann wieder freizulassen. Zwei Tage später rückte die Polizei mit einer Hundertschaft an, um den abgelehnten Asylbewerber abzuholen. Soweit wolle man es hier nicht kommen lassen, meint die Regierung von Oberbayern. In Manching wurde das Sicherheitspersonal gerade erst aufgestockt.

Die Zentren sind Kernstück von Seehofers „Masterplan“

Rund 1100 Menschen leben hier zwischen Sozialdienst, Kantine, Schule, Sozialamt, Zentraler Ausländerbehörde, Asylbehörde und der Antragsstelle des Verwaltungsgerichts. Alle Stationen, die der Staat benötigt, um Asylbewerber auszuweisen, liegen innerhalb des Kasernengeländes. Das ist das Prinzip dieser Unterkunft. Durch schnelle Verfahren sollen Asylbewerber direkt „rückgeführt“ werden. Die durchschnittliche Verweildauer soll viereinhalb Monate nicht überschreiten. Soweit die Theorie.

Damit soll ein klares Signal an alle potenziellen Asylbewerber gesendet werden: „Der Weg nach Deutschland lohnt gar nicht erst“, sagt Waidelich. Diese in sich geschlossenen Zentren mit Asyl-Schnellverfahren sind das Kernstück des „Masterplans für Migration“ von Innenminister Horst Seehofer (CSU). Aus den bisherigen Transit- werden also Ankerzentren. Anker soll ein Akronym für Ankunft, Entscheidung, Rückführung sein.

Seit 320 Tagen im Transitzentrum

Jude Uwudia, dessen Vorname wie in dem gleichnamigen Beatles-Song „Hey Jude“ ausgesprochen wird, ist seit 320 Tagen im Transitzentrum – knapp dreimal so lange wie die geplante Aufenthaltsdauer vorsieht. Der 28-jährige Nigerianer trägt einen grau-blauen Strickpullover, Jeans und Sneakers: „Ich bin einfach müde. Davon, nicht zu wissen, was passieren wird und von der Langeweile.“ Jude wohnt in Block 30. Er teilt sich mit sechs Männern einen Schlafraum, 70 Frauen, Männer und Kinder teilen sich ein Bad und eine Toilette. Er habe Angst vor den Wachmännern, die nicht sprechen, sondern brüllen und die Tür aufstoßen, ohne zu klopfen. Beinahe jede Nacht werden die Asylsuchenden aus dem Schlaf gerissen, wenn Polizisten und Wachmänner in den frühen Morgenstunden in die Schlafräume eindringen, um abgelehnte Asylbewerber für ihre Abschiebung abzuholen. Man wolle die Zeitspanne bis zum Abflug eben möglichst klein halten, deshalb die nächtlichen Aktionen, so die Erklärung der Regierung.

Jude Uwudia teilt sich mit sechs Männern einen Schlafraum.
Jude Uwudia teilt sich mit sechs Männern einen Schlafraum. © Astrid Schmidhuber

Für die rund 400 Kinder in der Unterkunft gibt es ein Spielzimmer, knapp 20 Quadratmeter groß. Brettspiele liegen ordentlich drapiert am Tisch, der bunte Spielteppich ist blitzblank gesaugt. In der Kantine riecht es nach Essigessenz, der Speiseplan der Woche hängt an der Wand. „Asylbewerber mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit“, wie es im Amtsdeutsch heißt, sind hier untergebracht. 1000 Abschiebungen haben nach Angaben der Regierung von Oberbayern seit 2015 aus dem Lager stattgefunden, 2500 Personen sind „freiwillig“ ausgereist. Das heißt, sie haben Programme angenommen, die die Reintegration in ihren Herkunftsländern erleichtern sollen. Andere Programme sollen durch einen Reisekostenzuschuss von 200 Euro Anreiz für eine freiwillige Ausreise geben. Rund 5000 Asylsuchende haben seit der Eröffnung des Transitzentrums hier gelebt, etwa 100 haben einen positiven Asylbescheid bekommen. Waren es anfangs vor allem Flüchtlinge aus Westbalkan-Staaten, die nach Ingolstadt gekommen sind, kommen seit April 2016 hauptsächlich Ukrainer, seit vergangenem Sommer Afghanen und Nigerianer. Ihre Asylanträge haben nur geringe Chancen.

100 Flüchtlinge bekamen positiven Asylbescheid

Die ehemalige Kaserne ist das zentrale Gelände des Transitzentrums Manching. Blasse, gelbe Farbe blättert von den flachen Gebäuden, über dem Eingang steht „Flugabwehrraketengruppe 23“. Im Juni 2015 ging die 50-jährige Bundeswehrgeschichte hier zu Ende. Auf dem Gelände waren über die Jahre unterschiedliche Verbände der Luftwaffe untergebracht, unter anderem wurde das Flugabwehrsystem „Patriot“ betreut. Neben der Kaserne gehören Außenstellen an der Manchinger Straße, der Marie-Curie-Straße und der Neuburger Straße zum Lager. An den vier Standorten stehen insgesamt 2080 Betten zur Verfügung – mehr als in den meisten bayerischen Dörfern.

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    Wenig Einfluss von außen

    In einer Pressemitteilung der Regierung von Oberbayern heißt es, man wolle mit der dezentralen Unterbringung „einen Raum schaffen, in dem die Asylbewerber möglichst Ruhe vor äußeren Einflüssen finden“. Einfluss von außen gibt es hier tatsächlich kaum: Die Asylsuchenden dürfen keinen Besuch empfangen, auf das Gelände kommt nur, wer eine ausdrückliche Genehmigung dafür hat. Verwandte müssen einen Antrag stellen, ehe sie das Gelände betreten dürfen. Ehrenamtliche kommen zwar nach vorheriger Anmeldung durch die Caritas rein, dürfen jedoch die Zimmer der Asylsuchenden nicht betreten. Anwälten ist der Zutritt zum Transitzentrum untersagt, denn auch sie gelten als privater Besuch.

    Am Tag des öffentlichen Rundgangs protestiert das Bündnis ‚Lagerfreies Bayern‘ vor dem Gelände. „Integrieren statt internieren“, steht in Versalien auf einem Transparent. Vom Ingolstädter Stadtzentrum sind es rund zehn Kilometer bis zur Unterkunft. Westlich der Unterkunft liegt ein Gewerbegebiet, im Osten die A9 in Richtung München und Berlin. Drumherum: Militärkanal, Lailachsee, Zauner Weiher. Trostlose Peripherie. Er scheue sich, das Leben im Lager mit dem im Gefängnis zu vergleichen, schließlich könne er jederzeit ein- und ausgehen, sagt Jude. „Gefangene sind wir trotzdem.“ Durch die ständige Überwachung fühle er sich wie ein Schwerverbrecher. Waidlich hingegen betont immer wieder, die Einrichtung sei „ja schließlich kein Gefängnis“. Auch die Bezeichnung „Lager“ finde er unangebracht.

    Vor der Küste Libyens in ein Schlauchboot

    Außerhalb der Transitzentren bekommen alleinstehende Asylbewerber regulär 354 Euro Bargeld. Drinnen gibt es, während das Asylverfahren läuft, vom Sozialamt rund 135 Euro im Monat, dazu Hygieneartikel und Bekleidungsgutscheine. Für Asylsuchende, die das schulpflichtige Alter überschritten haben, werden keine Deutschkurse angeboten. Das würde dem ‚Transit‘ widersprechen. Integration nur für die, die Asyl bekommen – so der Leitsatz der bayerischen Regierung.

    Am 2. Februar 2015 sei er an der Küste Libyens in ein Schlauchboot gestiegen, berichtet Jude. Vier Tage und vier Nächte sei er mit 200 weiteren Flüchtenden auf dem Mittelmeer gewesen, ehe sie vor Lampedusa von Seenotrettern entdeckt worden seien. „Mit Gottes Gnade haben wir alle überlebt“, sagt Jude und fügt hinzu, dass er gläubiger Christ sei. Seine damalige Freundin sei der Zwangsprostitution entflohen. Nachdem Zuhälter sie verfolgt und getötet hätten, sei auch Jude gejagt worden: „Auf der Suche nach mir haben sie die schwangere Frau meines Onkels erschossen.“ Jude hätte das Land verlassen müssen. Über den Landweg habe er sich nach Libyen durchgeschlagen, von dort aus sei er nach Europa geflohen. Nach mehreren Monaten in italienischen Flüchtlingslagern sei er vergangenen Juli nach Bayern gekommen. So erzählt er seine Geschichte.

    „Wer hier wohnt, wird entweder depressiv oder aggressiv“, sagt Jude. Noch schlimmer als die Isolation ist für ihn aber die Angst, nach Nigeria zurück zu müssen. „Hier habe ich keine Papiere, keine Chance auf Arbeit, aber ich muss nicht um mein Leben fürchten.“ Er wischt sich Schweiß von der Stirn und lauscht den Geräuschen, die von der Autobahn kommen. Dann verschwindet er hinter dem Zaun.