Brüssel. Der Abstieg der Volksparteien hat schon vor Jahrzehnten begonnen. Nun hat er dramatische Ausmaße. Das ist die Lage in anderen Ländern.

Die Krise der Volksparteien ist kein allein deutsches Phänomen, im Gegenteil: In vielen Staaten Europas schwächeln die einst starken Parteien von Mitte-Links und Mitte-Rechts schon länger – in einigen Ländern erleben sie einen regelrechten Niedergang, zum Teil ist das Parteiensystem stark zersplittert und vom Aufstieg populistischer Kräfte erschüttert.

Deutschland erfahre in seiner Parteienlandschaft „mit etwas Verspätung“ die Entwicklung anderer EU-Staaten und könne sich dem auch gar nicht entziehen, sagt der Politikforscher Werner Weidenfeld.

Die Krise der Sozialdemokraten ist mit schweren Abstürzen, zuletzt etwa in Frankreich oder den Niederlanden, zwar stärker im öffentlichen Bewusstsein. Aber: „Im europäischen Maßstab ist der Wählerverlust beider Volksparteien annähernd gleich groß“, analysiert der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel.

Bei den westeuropäischen Mitte-rechts-Kräften sei der Wählerverlust früher eingetreten und kontinuierlich verlaufen: Hätten sie Ende der 60er-Jahre noch 47 Prozent der Wähler gewinnen können, liege das Durchschnittsniveau jetzt unter 30 Prozent. Die Mitte-links-Parteien seien seit Anfang der 70er-Jahre von etwa 37 Prozent der Stimmen auf um die 20 Prozent gesunken, hier habe der „dramatische Abstieg“ Ende der 90er-Jahre begonnen.

Krise der Volksparteien in Europa

Italien: Jüngstes Beispiel für die dramatischen Kräfteverschiebungen sind die Parlamentswahlen in Italien im März: Jahrzehntelang haben in Rom Christdemokraten, Kommunisten und Sozialdemokraten regiert, auch wenn im Parlament meist weit mehr Parteien vertreten waren.

Dann taumelten die Kommunisten in die Sinnkrise, während Christdemokraten und Sozialisten im Strudel von Korruptionsskandalen untergingen. Zwar gelang zwischenzeitlich Parteiallianzen von Mitte-Rechts und Mitte-Links ein Aufstieg, doch immer mehr Wähler wenden sich populistischen Kräften zu: Bei der Parlamentswahl wurde die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung mit 32 Prozent der Stimmen stärkste Kraft, sie regiert jetzt mit den Rechtspopulisten der Lega – die kam auf 17 Prozent, nur etwas weniger als die bislang regierenden Sozialdemokraten.

Frankreich: Nachdem bei unseren Nachbarn im Westen die zuletzt regierenden Sozialisten unter ihrem glücklosen Präsidenten François Hollande die Gunst der Wähler verloren hatten, rutschte das Land in den Krisenmodus – davon konnten die Konservativen wegen eigener Schwächen aber nicht profitieren.

Stattdessen wuchsen die Zweifel am traditionellen Parteiensystem, das vom Wechsel zwischen Sozialisten und Gaullisten geprägt war. In diese Lücke stieß Emmanuel Macron mit seiner Bewegung La Republique En Marche, die aus dem Stand heraus mit 28 Prozent stärkste Kraft wurde. Die Sozialisten, bis dahin größte Fraktion im Parlament, wurden mit nur sieben Prozent regelrecht pulverisiert, die Konservativen kamen auf gerade noch 16 Prozent – dicht gefolgt vom rechtspopulistischen Front National.

Niederlande: Massiv waren auch die Umbrüche in den Niederlanden. Die Sozialdemokraten stürzten bei den Wahlen voriges Jahr von 19 auf knapp 6 Prozent ab, die Quittung für die Beteiligung an einer großen Koalition. Die konservativ-liberale Volkspartei landete mit Verlusten noch bei 21 Prozent, blieb aber an der Regierung. Die rechtspopulistische Partei PVV von Geert Wilders wurde zweitstärkste Kraft mit 13 Prozent.

Griechenland: Doch können auch radikale Kräfte am linken Rand den Status der Volksparteien schwächen, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Die dort regierende linkspopulistische Syriza beendete eine jahrzehntelange Zwei-Parteien-Dominanz von Konservativen und Sozialisten, die das Land an den Abgrund geführt hatte.

Europa: Für die Europawahlen im Mai 2019 droht den großen europäischen Parteienfamilien von Christdemokraten und Sozialdemokraten ein weiterer Abstieg: Neuere Umfragen vom Mai legen nahe, dass die Sozialdemokraten auf ein historisches Tief stürzen könnten und auch die christdemokratische EVP deutlich Federn lassen müsste. Die beiden Großen hätten zusammen demnach, so die Demoskopen, erstmals nicht die Mehrheit im EU-Parlament.