Pflanzen lassen sich mit einem neuen Verfahren genetisch verändern. Laut EuGH gilt das Verfahren eindeutig als genetische Manipulation.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) blockiert in einem Grundsatzurteil den Weg für den breiten Einsatz eines umstrittenen Gentechnikverfahrens. Mit der sogenannten Mutagenese-Technologie manipulierte Pflanzensorten gelten rechtlich als gentechnisch verändert, wie der Luxemburger EuGH am Mittwoch mitteilte.

In der Folge müssten die auf diesem Wege bearbeiteten Pflanzen auch als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO) gekennzeichnet werden. Die EU macht in dem Bereich strenge Auflagen. Konkret dreht sich der Fall um die sogenannte Genscheren- oder Mutagenese-Technologie, mit der das Erbgut von Pflanzen schneller und gezielter verändert werden kann als bisher. Geklagt hatte ein französischer Bauernverband.

• Was genau wurde am EuGH verhandelt?

Ein französisches Gericht wollte vom EuGH wissen, wie es die europäischen Regeln zur Gentechnik auf bestimmte neue Verfahren anwenden soll. Hintergrund war ein Fall in Frankreich, der sich um Pflanzen dreht. Der EuGH sollte klären, was rein rechtlich gesehen „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVOs) sind und was nicht. Außerdem ging es um die Frage, für welche GVOs rechtliche Ausnahmen gelten. GVOs unterliegen strengen Vorgaben.

• Welche sind das?

GVOs werden vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft. Lebensmittel, die unter die GVO-Verordnung fallen, müssen im Handel für die Verbraucher gekennzeichnet sein. In Deutschland kann man solche Lebensmittel aber nicht kaufen, sie werden vom Handel nicht angeboten.

• Warum finden Gentechnik-Kritiker das EuGH-Urteil so brisant?

Einige Verbraucherschützer und Gentechnik-Kritiker fürchteten im Vorfeld, dass die strengen Gentechnik-Regularien ausgehebelt werden. Sollten für bestimmte Eingriffe ins Erbgut von Pflanzen künftig die GVO-Regeln nicht mehr gelten, könnten gewisse gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Sicherheitsprüfung und ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen. Die Entscheidung des EuGH ist für die Mitgliedstaaten bindend.

• Um welche Gentechnik-Verfahren geht es?

Bei Verfahren, bei denen artfremde DNAin das Erbgut von Pflanzen oder anderen Organismen eingefügt wird, ist die Situation eindeutig, wie Ralf Wilhelm sagt. Er ist Sicherheitsexperte für biotechnologische Verfahren bei Pflanzen am Julius-Kühn-Institut, einem Bundesinstitut. Sie fallen unter die GVO-Regeln. Umstritten ist, inwieweit das auch für Produkte der sogenannten gezielten Mutagenese gilt.

• Was bedeutet das EuGH-Urteil für den Verbraucher?

Es gibt in Supermärkten keine GVO-Lebensmittel zu kaufen, weil diese laut Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels die überwiegende Mehrheit der Verbraucher ablehnt. Es gibt in Deutschland auch keine GVO-Pflanzen auf den Feldern. Das Urteil beugt nun auch dem Szenario vor, dass Lebensmittel von Pflanzen, die mit gezielter Mutagenese erzeugt wurden, ohne explizite Kennzeichnung im Supermarkt auftauchen.

• Was passiert bei der gezielten Mutagenese?

Dabei wird beispielsweise mit der Genschere Crispr die DNA gezielt an einer vorherbestimmbaren Stelle geschnitten. Die Zelle repariert daraufhin den DNA-Strang selbst. Dabei kann sich die DNA-Sequenz etwas ändern. Gene können so gezielt verändert oder auch ausgeschaltet werden. Mit dieser Technik können mit vergleichsweise geringem Aufwand beispielsweise Getreidesorten widerstandsfähiger gemacht oder die Zusammensetzung von Nahrungs-und Futterpflanzen optimiert werden.

• Steht dazu schon etwas im EU-Recht?

Nicht direkt. Organismen, die mit älteren Mutagenese-Methoden erzeugt wurden, sind unter gewissen Voraussetzungen von den GVO-Regeln ausgenommen. Dazu gehört, Pflanzen zu bestrahlen oder mit Chemikalien zu behandeln. Dadurch ändert sich das Erbgut an vielen zufälligen Stellen. Pflanzen, die dadurch gewünschte Eigenschaften bekommen, werden dann kultiviert. Ob diese Ausnahme prinzipiell auch Verfahren der gezielten Mutagenese einschließt, war Gegenstand des EuGH-Verfahrens.

• Was sagen Gentechnik-Kritiker?

Das Münchner Institut Testbiotech ist der Meinung, dass mit den neuen Methoden veränderte Pflanzen nicht Gewächsen gleichzusetzen sind, die aus herkömmlicher Züchtung stammen. Deshalb könne man schlicht nicht ausschließen, ob diese veränderten Pflanzen gefährlich seien. Solche Pflanzen sollten demnach unter GVO-Regeln fallen. Eine Sicherheitsprüfung sei unbedingt erforderlich.

• Und die Bundesregierung?

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD festgeschrieben, dass sie im Anschluss an das Urteil „auf europäischer oder gegebenenfalls nationaler Ebene Regelungen vornehmen“ werden, „die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten“. Sollten Anwendungen der Crispr-Methode künftig in der EU nicht mehr als Gentechnik gelten, könnte die Kennzeichnung im europäischen Binnenmarkt schwierig werden. Während das Agrarministerium eher die Chancen der neuen Methoden in den Vordergrund rückt, betont man im Umweltministerium stärker den Verbraucherschutz und mögliche Risiken.

• Welche Risiken können Gentechnik-Pflanzen bergen?

Es gibt Befürchtungen, das gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt gelangen und nicht mehr zurückzuholen sind. Dort könnten einige von ihnen einen Vorteil gegenüber anderen Pflanzen haben und sie verdrängen. Einige Gentechnik-Kritiker führen auch an, dass gentechnisch veränderte Pflanzen ihre Erbanlagen mit unabsehbaren Folgen auf andere Gewächse übertragen könnten.

• Welche Bedeutung hat das Urteil für Industrie und Landwirtschaft?

Nun gelten für Pflanzen, die mit gezielter Mutagenese erzeugt wurden, die GVO-Regeln. Der Deutsche Bauernverband fürchtet, dass wichtige Züchtungsoptionen fehlen. Präsident Joachim Rukwied sagte vor dem Urteil: „Wir brauchen Pflanzen, die gegen Krankheiten und Hitzestress resistent sind.“ Ricardo Gent, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, fürchtet, dass der Forschungsstandort Deutschland im Vergleich zu den USA oder China stark zurückgeworfen werden könnte. Gerade kleine und mittlere Unternehmen hätten dann kaum noch eine Chance, weil die Verfahren zu teuer würden.

• Wurden schon Nutzpflanzen mit gezielter Mutagenese erzeugt?

Wilhelm vom Julius-Kühn-Institut sind keine bekannt, die schon auf dem Markt sind, auch nicht in anderen Ländern. Es gebe aber erste Feldversuche in Amerika. Weit gediehen sei beispielsweise eine Sojabohne mit verändertem Ölsäuregehalt, oder auch ein Mais mit veränderter Stärkezusammensetzung. Gent von der Industrievereinigung verweist auf eine Kartoffel in den USA, deren Lagerfähigkeit mit gezielter Mutagenese verbessert wurde.

• Hat das EuGH-Urteil auch Auswirkungen auf Nutztiere?

Im Prinzip schon. Schließlich ist im EU-Recht von Organismen im Allgemeinen die Rede. Dazu gehören auch Tiere. Laut Christoph Then von Testbiotech könne auch das Erbgut von Tieren mit der sogenannten gezielten Mutagenese verändert werden. So gebe es Schweine mit mehr Muskeln oder Rinder ohne Hörner. Auf dem Markt seien diese aber noch nicht. (dpa)