Wie sich Angela Merkel als Weiter-so-Kanzlerin inszeniert
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Von Miguel Sanches
Berlin. Merkel ist Merkel – nicht anregend, aber verlässlich. Die Deutschen schätzen das an ihr. Allerdings: Fällt sie allmählich aus der Zeit?
Sie will sich nicht neu erfinden, überraschen, glänzen, nicht mal variieren. Manche Sätze beginnt Angela Merkel gleich mit dem Hinweis „Ich habe das oft gesagt“. Im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft ist es unvermeidlich. Wer es gut mit ihr meint, wird ihr Mut zur Langeweile attestieren.
Eine Mutprobe sind Pressekonferenzen für Merkel schon lange nicht mehr. Sie hat die „sommerliche Begegnung“, wie sie es nennt, in gewohnter Manier erledigt. Die Kanzerin kann jede Frage zerlegen, schreddern, emotional entladen. Sie will reden, aber nichts über sich preisgeben.
Sie wird gefragt, ob auf US-Präsident Donald Trump Verlass sei, und erwidert, der gewohnte Ordnungsrahmen sei stark unter Druck geraten. Sie wird gefragt, ob die Lüge Teil der Politik werde, und referiert, die sozialen Netzwerke seien mehr als das physikalische Bindeglied zwischen Akteuren. Sie wird gefragt, ob der Asylstreit der CSU ein Putschversuch gewesen sei, und antwortet, der Umgang mit der Migration sei eine grundsätzliche Frage. Drei Beispiele, ein Gesamteindruck: Medialer Auftrieb und Erkenntnisgewinn stehen in keinem Verhältnis.
Sommer des Missvergnügens
Eine Botschaft war allerdings klar und kalkuliert: Die Schuldfrage der CSU im Streit über die Asylwende. Er war schroff im Ton, hat geschadet, Verdruss provoziert, Vertrauen gekostet. Und doch hat er sich für Merkel gelohnt, weil die CDU-Kanzlerin ihre Linie durchgesetzt hat – keine nationalen Alleingänge – und klar geworden ist, dass nur Minister sein kann, wer ihre Richtlinie akzeptiert. Das waren Passagen, bei denen Innenminister Seehofer die Ohren geklungen haben müssen.
Kein nordafrikanischer Staat hat sich bereit erklärt, Flüchtlinge für die EU aufzunehmen. Kein europäischer Nachbar hat zugesichert, an der deutsch-österreichischen Grenze abgewiesene Migranten aufzunehmen. Seehofer könnte Mitte August vor der gleichen Situation stehen, die Ende Juni fast zum Bruch der Koalition und zur Spaltung der Union geführt hätte.
Für ihn wird es ein Sommer des Missvergnügens, womöglich ein noch ärgerer Herbst, wenn im Oktober im Freistaat gewählt wird. Offenkundig hat Merkel für sich entschieden, dass das Schicksal der CSU sie nichts angeht und sie nicht gefordert ist, die AfD kleinzuhalten, die bei der jüngsten Umfrage im Freistaat bei zwölf Prozent lag und dort bald zweitstärkste Kraft werden könnte.
100 Tage GroKo – Die Bilanz der Minister
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Bei Franzosen macht sicht Ernüchterung breit
Wenn sie eines Tages nicht mehr Kanzlerin ist, wird man im Rückblick ihre Stärken noch deutlicher ermessen können, ihre Seriosität, Beharrlichkeit, Nervenstärke, Verantwortungsethik. Unter den Machtpolitikern ist sie die Feinmechanikerin, akkurat, sachlich, detailversessen, geduldig. Sie ist indes zunehmend von Hauruck-Politikern umgeben, Putin, Trump, Erdogan, Orbán, auf seine Art reiht sich da auch Emmanuel Macron ein, lauter Männer, die glauben, dass sie mit einer Rede, einem Tweet, kurzum: handstreichartig die Dinge ändern können. Merkel spielt Schach, Trump höchstens Mühle; im Zweifel wirft er das Brett um.
Die Deutschen schätzen ihre Kanzlerin. Aber sie ahnen, dass Merkel aus der Zeit gefallen sein könnte. Sie wollen keine radikal andere Politik, schon eher einen neuen Stil. Auf die Frage, wem sie am meisten vertrauen, schnitt der französische Präsident Macron in einer Umfrage unserer Zeitung besser als Merkel ab. Das kann nicht an den harten Fakten liegen, an vermeintlichen Erfolgen, tatsächlich macht sich bei den Franzosen längst Ernüchterung breit. Jedes Volk sehnt sich nach dem, was es gern hätte: die Franzosen nach guten Zahlen, die Deutschen nach einer Regierungschefin, die leidenschaftlich, begeisternd, mitreißend und keine Weiter-so-Kanzlerin ist. Merkel macht nicht mehr neugierig.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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