Köln/Berlin. In einer Kölner Wohnung findet die Polizei verdächtige Substanzen. Die Bundesanwaltschaft schließt einen Terror-Hintergrund nicht aus.

Die Polizisten trugen Masken, Schutzwesten und schwere Bewaffnung, als sie in die Wohnung des jungen Mannes einrückten. In den Zimmern des Wohnblocks im Kölner Stadtteil Chorweiler entdeckten die Beamten Substanzen, die nun im Labor des Robert-Koch-Instituts liegen.

Ein erster Verdacht: Der festgenommene 29 Jahre alte Tatverdächtige habe mit Chemikalien und toxischen Stoffen experimentiert, um Rizin herzustellen. Es gibt laut Fachwebseiten im Internet wenige Substanzen, die eine vergleichbar giftige Wirkung haben können. Wenige Milligramm könnten einen Menschen töten.

Und: Nach Informationen unserer Redaktion sind an einem Gegenstand tatsächlich Spuren von Rizin gefunden worden, außerdem Bauteile zum Herstellen einer Sprengvorrichtung. Der Verdächtige wurde inzwischen über Sankt Augustin nach Karlsruhe ausgeflogen. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof Haftbefehl gegen den 29-Jährigen erlassen.

Schon vor mehr als 15 Jahren hat die Terrororganisation Al-Kaida in „Handbüchern“ und in Internetforen Anhänger dazu aufgerufen, das gefährliche Rizin zu produzieren – und damit Attentate zu verüben. Auch der 29 Jahre alte Mann, ein Tunesier, der nach Information dieser Redaktion seit 2016 in Deutschland ist, steht unter Terrorverdacht.

Der Beschuldigte hatte 1000 Samen im Internet bestellt

Verfassungsschützer hatten den Tatverdächtigen im Blick. Von einem ausländischen Geheimdienst bekam die deutsche Sicherheitsbehörde laut Medienberichten zuvor einen Hinweis: Der junge Mann bestellte bei einem Online-Versandhaus rund 1000 Samen einer Pflanze, aus denen sich Rizin gewinnen lässt.

Laut Staatsanwaltschaft haben die Ermittler dann eigene Erkenntnisse gesammelt, die einen terroristischen Hintergrund nicht ausschließen. „Spiegel Online“ berichtet, dass Profile des Mannes in sozialen Netzwerken Rückschlüsse zumindest auf eine ideologische Nähe zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zulassen.

Erst seit kurzer Zeit verfolgen auch Ermittler der Polizei den Mann. Als dieser sich auch eine Chemikalie kaufte, die zur Gewinnung des Giftstoffes aus den Pflanzen notwendig gewesen wäre, entschied sich die Polizei laut Medienberichten zum Zugriff.

Einen vergleichbaren Fall hatte es 2017 in Schwerin gegeben. Damals warnte ein Auslandsgeheimdienst vor einem jungen Syrer, der sich Chemikalien und Werkzeuge zum Bombenbau im Internet bestellt hatte. Die deutschen Verfassungsschützer observierten den Mann, werteten die Internetdaten aus. Dann griffen sie zu.

Auch „IS“ arbeitet offenbar an Chemiewaffen

Nur: Wie leicht ist es, aus einer toxischen Mischung in seinem Wohnzimmer eine Biowaffe zu bauen? Mehrfach hatte es in der Vergangenheit Festnahmen und Verdachtsfälle etwa in Großbritannien gegeben, in denen Islamisten an der Herstellung von Rizin gearbeitet haben sollen. Die Anweisungen von Terrorgruppen wie Al-Kaida seien jedoch oftmals fehlerhaft oder untauglich, schreibt der US-Terrorexperte Gregory Koblentz in einem Buch aus dem Jahr 2009.

Auch ein ranghoher Ermittler aus Nordrhein-Westfalen berichtet dieser Redaktion, dass die mutmaßlich geplante Herstellung von Rizin durch den Tatverdächtigen in Köln klar die Handschrift von Al-Kaida trage. Die Terrorgruppe habe auch schon mit dem noch gefährlicheren Botulinum hantiert.

In Laboren der Organisation im Jemen haben Sicherheitsbehörden 2011 Stoffe und Werkzeuge zur Produktion solcher Stoffe entdeckt. Auch die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ hat laut Experten vom Combating Terrorism Center in den USA in der Zeit der Besetzung der irakischen Metropole Mossul an chemischen und biologischen Waffen gearbeitet. Nach der Niederschlagung des IS im Irak konnten diese Labore demnach jedoch nicht neu etabliert werden.

Die Frau ist wieder frei und nicht beschuldigt

Wie weit war der junge Mann aus Tunesien, der gemeinsam mit einer deutschen Konvertitin und vier Kindern in Köln lebt, mit seinen Plänen? Und welche Pläne hatte er überhaupt? Das ist unklar. Ein Ermittler verweist im Gespräch mit dieser Redaktion darauf, dass zur Herstellung derart toxischer Stoffe womöglich eine Gruppe mit Experten-Wissen eingebunden sein könnte.

Bisher ist der Mann der einzige Beschuldigte. Die ebenfalls festgenommene Frau des Beschuldigten wurde bereits Dienstagnacht wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen sie wird nicht ermittelt.