La Malbaie. Der G7-Gipfel in Kanada wird vor allem von Differenzen dominiert. Der Grundkonsens zwischen den großen Industrienationen ist Geschichte

Große Aufregung am Sonnabendmorgen beim G7-Gipfel im kanadischen La Malbaie: Vermisst wurde ein amerikanischer Präsident. Die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Italien, Frankreich, Kanada, Japan und Großbritannien saßen beisammen, um auf Einladung des kanadischen Premierministers Justin Trudeau beim Frühstück über die Gleichstellung und die Rechte von Frauen zu beraten.

Die Kanadier hatten diesem Thema breiten Raum eingeräumt, es ist ihnen wichtig. Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, war zu dem Frühstück geladen. Der Platz an ihrer Seite aber blieb zunächst leer. Donald Trump tauchte einfach nicht auf.

Während hinter den Kulissen seit Freitagmorgen quasi ohne Unterbrechung hitzig über das Abschlussdokument verhandelt wurde, fragten sich die anderen Gipfelteilnehmer, ob der US-Präsident noch früher abgereist war, als bereits angekündigt. Dass ihn das Thema Frauenrechte irgendwie tangiert, glaubte hier sowieso niemand. Trump tauchte dann doch noch auf, deutlich verspätet und mit finsterer Miene.

Bislang gab es bei Gipfeln immer eine gemeinsame Erklärung

Nach Auskunft von erfahrenen Verhandlern waren die Gespräche in der kanadischen Provinz Quebec die schwierigsten seit vielen Jahren. Daran schuld seien die Amerikaner, die – auf Anweisung ihrer neuen Regierung – selbst die einfachsten gemeinsamen Übereinkünfte, wie etwa ein Bekenntnis zu internationalen Organisationen, nicht mehr mittragen wollen.

Eine verfahrene Situation: Bislang gab es bei den Gipfeln immer eine gemeinsame Erklärung. Doch diesmal waren die eckigen Klammern, die ungelösten Formulierungen, bis zuletzt strittig. Merkel sagte kurz vor Ende der Beratungen, es werde nach menschlichem Ermessen eine gemeinsame Erklärung geben. In dieser werde beim Thema Handel darauf hingewiesen, dass die G7 „gemeinsam gegen Protektionismus vorgehen“ und darauf hinarbeiten wollen, „Zölle zu reduzieren“. Es seien „gemeinsam geteilte Überzeugungen, die Tücke liegt aber im Detail“, betonte die Kanzlerin.

Der Konflikt mit den USA über Strafzölle werde ungeachtet der Einigung auf einen gemeinsamen Text weitergehen. Bei den Dokumenten zum Schutz der Meere und dem Schutz des Klimas gab es jeweils eine Einigung zwischen sechs der G7-Staaten. Die USA blieben hierbei außen vor. Sie schreckten vor konkreten Festlegungen zurück.

Merkel nahm Trump mehrfach zur Seite

Die schlechte Stimmung war schon beim sogenannten Familienfoto am Freitagnachmittag zu spüren. Die zwei Frauen, Englands Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sowie die sieben Männer – EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker gehören auch zum Kreis – standen aufgereiht wie an einer Perlenschnur vor atemberaubender Naturkulisse. Doch die Staats- und Regierungschefs wirkten betreten, schenkten den Fotografen nur ein kurzes Lächeln. Eine vertraute Stimmung wollte zwischen Trump, Trudeau, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Japans Premier Shinzo Abe nicht aufkommen.

Angela Merkel am Freitag im Gespräch mit Donald Trump.
Angela Merkel am Freitag im Gespräch mit Donald Trump. © dpa | Michael Kappeler

Merkel nahm Trump mehrfach zur Seite. Sprechen, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Schon 2017 auf Sizilien verdarb der neu gewählte US-Präsident die Stimmung. Aber damals konnten die Europäer wenigstens noch ein Bekenntnis gegen den Protektionismus in das Abschlussdokument verhandeln. Trump unterschrieb am Ende.

Diesmal gab es angesichts des Handelsstreits und des Zwists über das von Amerika aufgekündigte Iran-Abkommen keine deutlichen Übereinkünfte, daran änderte auch das gemeinsame Abendessen im „Black Bear Chalet“, einer Lodge mitten im Wald, nichts. Bei Entenbrust, kanadischem Hummer und Rinderfilet mit Pilzen, Dinkelfrikassee und Rentierflechte plauderte man nett, der Konflikt aber blieb. Dabei bemühten sich die Europäer redlich um eine Lösung der verfahrenen Situation: Merkel schlug vor, den Amerikanern einen Lösungsmechanismus für Handelskonflikte anzubieten. Kernelement soll dabei eine gemeinsame Analyse sein, ob die Annahme stimmt, dass etwa Stahl- aber auch Autoimporte aus der EU die Sicherheit der USA bedrohen.

Trump: „Wir sind das Sparschwein, das jeder plündert“

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bot an, nach Washington zu reisen, um eine gemeinsame Analyse vorzubereiten und den Handelsstreit friedlich zu lösen. Trump hörte sich alles an, nickte oft, um dann doch den Rest des Gipfels zu brüskieren. Er reiste vorzeitig ab.

Ein Presse-Statement gab er allerdings noch: Die USA seien seit Jahrzehnten benachteiligt worden und würden das nicht mehr hinnehmen. „Wir sind das Sparschwein, das jeder plündert“, gab er seinen Partnern mit auf den Weg. Er warnte davor, auf die Strafzölle der USA mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren.

In derselben Erklärung bezeichnete er den Gipfel gleichwohl als großen Erfolg. Auf einer Skala von eins bis zehn würde er die Beziehung zu „Angela und Emmanuel und Justin“ mit einer Zehn bewerten, sagte Trump: „Wir haben eine großartige Beziehung.“

Die Europäer wollen ihre Positionen nicht verraten

Was sind die Lehren aus diesem Gipfel? Die Europäer hatten eine klare Linie: lieber nicht nachgeben, deutlich machen, was Europa wichtig ist. „Einfach Meinungsverschiedenheiten zuzukleistern ist auch nicht gut“, betonte Merkel.

An Kanadas Premier jedenfalls lag es nicht. Der Gastgeber, an den Füßen Elch-Socken tragend, gab alles. Er überreichte Trump sogar ein altes, gerahmtes Foto, auf dem ein Hotel in Kanada zu sehen ist, das einst Trumps Großvater gehörte. Es sei ein „großartiger Moment“ gewesen, als das Bild überreicht wurde, schrieb Trumps Sprecherin Sarah Sanders. Immerhin.