Belin/Wien. Sebastian Kurz wird von US-Diplomaten gelobt – und auch von Wladimir Putin geschätzt. Österreichs Kanzler sieht sich als Vermittler.

An Tagen wie diesen scheint der 1,86 Meter messende Sebastian Kurz noch ein paar Zentimeter größer zu sein. Am Montag hagelt es dickes Lob aus Amerika. Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, nennt den österreichischen Kanzler einen „Rockstar“. Er sei ein „großer Fan“ des Chefs einer bürgerlich-rechtskonservativen Regierung.

Am Dienstag gibt sich der russische Präsident Wladimir Putin in Wien die Ehre. Anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Gasliefervertrags zwischen dem teilstaatlichen Konzern OMV und der damaligen Sowjetunion kommt der Kremlchef höchstselbst. Handschlag, Schulterklaps – das volle Programm. Amerikanisch-russisches Umarmungsfestival für den 31-jährigen Jungstar der österreichischen Politik.

Kurz will Brückenbauer zwischen Ost und West sein

Es ist das sechste Mal, dass Putin Wien besucht. Die Wertschätzung für die Alpenrepublik hat Gründe. Das Unternehmen OMV kooperiert eng mit dem russischen Energieriesen Gazprom und ist an dem von Moskau betriebenen Ostsee-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 beteiligt. Österreich trägt die EU-Sanktionen gegen Russland mit – aber widerwillig. Das Land betont seine traditionelle Neutralität und eine Vermittlerrolle zwischen Moskau und dem Westen.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit Bundeskanzlerin Merkel beim Balkan-Gipfel Mitte Mai in Sofia.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit Bundeskanzlerin Merkel beim Balkan-Gipfel Mitte Mai in Sofia. © REUTERS | HANDOUT

Das entspannte Verhältnis zu Russland teilt Kurz mit osteuropäischen Regierungschefs wie dem Ungarn Viktor Orbán. Der seit Dezember amtierende österreichische Kanzler hatte sich bereits in seiner Zeit als Außenminister gern als „Brückenbauer“ zwischen Ost und West bezeichnet. Kurz traf sich mit den Ministerpräsidenten der Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei. Er unterstützte deren Vorhaben, die Balkanroute zu schließen, und übte scharfe Kritik an der Politik der offenen Grenzen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei manchen im Westen handelte sich Kurz das Etikett eines „Autokratenverstehers“ ein.

Auch mit seiner Warnung vor zu viel EU-Bürokratie liegt der Österreicher auf dem Kurs der Osteuropäer. „Ich finde, wenn wir in Europa sparen wollen, sollte Brüssel mit gutem Beispiel vorangehen und auch bei den Verwaltungsausgaben kürzen“, sagt er der „Welt“. Die Zahl der Kommissare sollte von 28 auf 18 gekürzt werden. Bei der aktuellen Debatte um den Finanzrahmen der EU für 2021 bis 2027 tritt Kurz auf die Ausgabenbremse.

Kurz wird Akzente in der Europapolitik setzen

Große Vorhaben wie eine verbindliche Verteilungsquote für Asylbewerber lehnt er – wie seine osteuropäischen Amtskollegen – ab. Kurz wird demnächst noch stärkere Akzente in der Europapolitik setzen. Am 1. Juli übernimmt Österreich für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU. Bereits heute lässt sich absehen, dass sich der Wiener Regierungschef als Gegengewicht zu einem stärkeren Integrationskurs der Eurozone positionieren wird. Sein Plädoyer für mehr Kompetenz der Nationalstaaten richtet sich in erster Linie gegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, in abgemilderter Form auch gegen Kanzlerin Merkel.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. © REUTERS | PHILIPPE WOJAZER

Kurz’ Koalitionspartner, die Rechtsaußenpartei FPÖ, sieht das ähnlich. Dass einzelne Mitglieder immer wieder durch Verstrickungen in die völkische Ideologie von Burschenschaften von sich reden machen, nimmt der Kanzler in Kauf. Er moderiert mit langer Leine. Die EU ja nicht zu mächtig werden lassen: Diese Melodie kommt im „America First“-Reich von Donald Trump gut an. Deshalb darf man Kurz getrost als Trumps Liebling in Europa bezeichnen. In einem seiner ersten Interviews hatte der US-Präsident Brüssel als Bürokratiehochburg gegeißelt und sogar den Brexit bejubelt.

US-Botschafter lobt auch Lindner und Spahn

Diese Linie fährt auch Trumps Statthalter in Berlin in voller Lautstärke. Für Botschafter Grenell ist Kurz ein Konservativer neuen Typs wie sein Chef. Ihr Markenzeichen: Sie trommeln gegen Einwanderung, hohe Steuersätze und Bürokratie. „Ich möchte andere Konservative in Europa, andere Anführer unbedingt stärken“, sagt Grenell.

Neben Kurz lobt er Politiker wie Jens Spahn (CDU) oder Christian Lindner (FDP). Alle haben sich gegen die traditionellen Eliten und das (Partei-)Establishment profiliert. Am 13. Juni wird Kurz eine besondere Ehre zuteil. Botschafter Grenell bittet den österreichischen Kanzler in seine Residenz in Berlin-Dahlem zum Mittagessen, an dem auch hochrangige Repräsentanten der Bundesrepublik teilnehmen.

Bundesaußenminister Heiko Maas will sich zu Grenells expliziten politischen Kommentaren, die im Diplomatenmetier absolut unüblich sind, nicht direkt äußern. „Ich habe diese Äußerungen natürlich zur Kenntnis genommen und auch die Kritik, die es dazu gegeben hat“, sagt Maas, der von Grenell zuvor als „großartiger Staatsdiener“ bezeichnet worden war. Am heutigen Mittwoch dürfte es nicht ganz so zurückhaltend zugehen. Grenell absolviert bei Staatssekretär Andreas Michaelis im Außenministerium seinen Antrittsbesuch. „Es wird sicherlich einiges zu besprechen geben“, meint Maas. Was so viel heißt wie: Es wird Tacheles geredet.