Rom. Politik-Neuling und Professor Giuseppe Conte könnte die nächste Regierung Italiens führen. Doch die Zweifel an seiner Eignung wachsen.

Ein „Wunderkind“ sei er gewesen, erinnert sich seine frühere Grundschullehrerin Vittoria Macchiarola aus Volturara Appula, dem kleinen Ort in Apulien, in dem Giuseppe Conte aufwuchs. Der heute stets in stilvollem Anzug mit Weste und Krawatte von zurückhaltender Eleganz sowie weißem Hemd mit Manschettenknöpfen auftretende, parteilose Jura-Professor war demnach bereits als Kind von ausgesuchter Höflichkeit und äußerst zurückhaltend. Jetzt ist er wahrscheinlicher neuer Regierungschef Italiens.

Auf dem Fußballplatz habe er die Mannschaften koordiniert, zitieren italienische Medien ehemalige Freunde aus Kindertagen. „Entschieden“ nennt der bei Kollegen und Studenten beliebte Professor sich selbst. Wer ihm über WhatsApp eine Nachricht zukommen lässt, wird aufgefordert, sich vorzustellen, dies koste ihn jeweils zehn Euro. „Das wird euch beim konzentrierten Denken helfen“, mahnt der Professor vor möglicher Zeitverschwendung.

Conte kam in Florenz in Kontakt mit Fünf Sterne

Die rechtspopulistische Lega und die linkspopulistische Bewegung der Fünf Sterne einigte sich nach zähen Verhandlungen auf Conte als Ministerpräsidenten. Im Gegensatz zu den meisten Italienern war er ihnen bereits bekannt. Der Chef der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, hatte den Juristen bereits 2013, zu Beginn der letzten Legislaturperiode, in den Richterrat geholt, in dem er mitverantwortlich für die Verurteilung eines Kollegen wurde.

Dieser hatte jungen Frauen bei der Ausbildung aufreizende Kleidung vorgeschrieben und sie gezwungen, Intimitäten aus ihrem Leben mit ihm zu teilen. Conte stammt aus Süditalien, studierte aber in Rom, wo er auch eine Anwaltskanzlei führt. Seinen festen Lehrstuhl für Privatrecht hat er aber in Florenz inne. In der toskanischen Stadt kam er auch mit der Fünf-Sterne-Bewegung in Kontakt.

Quereinsteiger Conte soll Italiens Ministerpräsident werden

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    Unstimmigkeiten im Lebenslauf

    Staatspräsident Sergio Mattarella zögert jedoch nach wie vor, den 54-Jährigen mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen. Conte verweist in seinem Lebenslauf auf prestigeträchtige Studien weltweit, darunter an der New York University. Auf Anfrage der „New York Times“ teilte die Hochschule jedoch mit, Contes Name sei nicht in den Registern verzeichnet.

    Die Fünf-Sterne-Bewegung stellten daraufhin klar: Conte habe an keiner Stelle geschrieben, Kurse an der Universität absolviert zu haben. Er habe lediglich sein Studium der Rechtswissenschaften „perfektioniert und aufgefrischt“. Auch ein in seinem Lebenslauf verzeichnetes Kulturinstitut in Wien existiert nur unter ähnlichem Namen als Sprachschule.

    Giuseppe Conte ist vor allem ausführendes Organ

    Nicht nur diese möglichen Stolpersteine in der Biografie des designierten Ministerpräsidenten nähren Zweifel des italienischen Staatspräsidenten, der als Hüter der Verfassung über die Regierungsbildung wacht. Überdies bestehen Zweifel daran, ob er über genügend Autonomie gegenüber den beiden Parteichefs von Lega und Fünf Sternen verfügt.

    Laut Verfassung gibt der Ministerpräsident die politische Linie der Regierung vor. Die Chefs von Lega, Matteo Salvini, und Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, beanspruchten nach den Parlamentswahlen vom 4. März dieses Amt jeweils für sich. Nachdem beide verzichteten, ist Conte nun vor allem als ausführendes Organ für den von beiden Parteien ausgearbeiteten Koalitionsvertrag vorgesehen.

    Wird Conte auch eigene Entscheidungen treffen?

    Conte versichert bereits: „Ich habe Autonomiegarantien eingefordert und erhalten.“ Der als Anhänger des 1968 gestorbenen und 2002 heiliggesprochenen Wunderheilers Padre Pio geltende, geschiedene Vater eines zehnjährigen Sohnes weiß als Experte für Vertragsrecht, dass der Koalitionsvertrag rechtlich nicht bindend ist. Mattarella dürfte ihn jedoch nur dann mit der Regierungsbildung beauftragen, wenn er glaubhaft machen kann, dass er als Ministerpräsident eigenständige Entscheidungen treffen wird.

    In der künftigen Regierung wollen die beiden Wahlgewinner von wichtigen Ministerien aus ihre Hauptforderungen verwirklichen. Salvini dürfte sich als Innenminister um die von der ausländerfeindlichen Lega angestrebte raschere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber bemühen. Di Maio will als Superminister für Arbeit und Wirtschaftsentwicklung das Grundeinkommen von 780 Euro einführen.

    Italien könnte für Unruhe in der EU sorgen

    Kopfschmerzen dürfte dem stets unaufgeregt auftretenden Staatspräsidenten vor allem der als Wirtschaftsminister vorgesehene Paolo Savona machen. Der 82-Jährige ist für eurokritische Positionen bekannt. Zu den Aufgaben des Staatspräsidenten bei der Regierungsbildung gehört jedoch auch, die Vereinbarkeit der Pläne eines künftigen Kabinetts mit den internationalen Verpflichtungen Italiens, allen voran der EU, zu überprüfen.

    Die Sorge vor einem Italien als Unsicherheitsfaktor innerhalb der Europäischen Union bemühte ausgerechnet der als EU-Kritiker bekannte Salvini zu zerstreuen. Italien werde sich in Verhandlungen mit Brüssel um Vertragsveränderungen bemühen, versicherte der Lega-Chef.

    Conte dürfte ein Diplomat zur Seite stehen

    Für Ausgleich zwischen den Forderungen der einen und Befürchtungen der anderen Seite soll der Jura-Professor Conte mit seiner internationalen Erfahrung und seinem Talent als Vermittler sorgen. Sollte er tatsächlich Ministerpräsident werden, dürfte dem neuen Regierungschef ohne Erfahrung in Politik und Verwaltung im Außenministerium ein Diplomat zur Seite stehen.

    ­Giampiero Massolo wäre bereits der dritte Botschafter an der Spitze des Ministeriums. Auch Massolo verfügt nicht über gewachsene Kontakte in den beiden Parteien, die ihn für das Amt vorschlagen. Als Generalsekretär des Außenministeriums kennt der 63-Jährige die Behörde jedoch gut. Bevor er 2016 Präsident der staatlichen Fincantieri-Werften wurde, war er im Amt des Ministerpräsidenten für die italienischen Geheimdienste zuständig.

    Infrastrukturprojekt mit Frankreich gefährdet

    Zu den wenigen Frauen, die für das Kabinett vorgesehen sind, gehört ausgerechnet eine entschiedene Gegnerin eines seit Langem beschlossenen, internationalen Infrastrukturprojekts. Laura Castelli könnte als Transportministerin versuchen, die Hochgeschwindigkeitszuglinie Turin–Lyon zu stoppen. Gewaltsame Proteste gegen den dazu vorgesehenen Bau eines Tunnels im Susa-Tal zogen in der Vergangenheit Globalisierungsgegner aus ganz Europa an.

    Die künftige Regierung soll nach dem Willen Di Maios den französischen Partnern erklären, das Projekt sei „überholt“. Die Arbeiten sind auf französischer Seite weitgehend fertiggestellt. Ein Rückzug würde also auch hier teuer und Milliardenstrafen nach sich ziehen.