Berlin. Die Klage der EU gegen Deutschland wegen der Luftverschmutzung kommt nicht überraschend. Die Politik und die Wirtschaft sind am Zug.

Dicke Luft in 66 deutschen Städten, in der Luft zum Atmen ist teilweise deutlich mehr Stickoxid, als seit dem Jahr 2010 noch erlaubt ist. Dass die EU-Kommission die Bundesrepublik und fünf weitere Länder wegen dieses Missstands irgendwann einmal verklagen wird, war abzusehen. Der Streit um die Luftbelastung tobt zwischen Brüssel und Berlin seit Jahren und erreicht mit der angekündigten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof nun einen vorläufigen Höhepunkt.

Bis die Richter jedoch zu einem Urteil kommen, dürften weitere Jahre vergehen. Bessere Luft für die Menschen bringt dieser bürokratische Akt also in naher Zeit nicht. Gehandelt werden muss aber sofort.

Und das nicht einmal wegen der möglichen Gefahr, die von zu hohen Stickoxid-Belastungen für Anwohner besonders viel befahrener Straßen ausgehen kann. Ab welcher Konzentration Stickstoffdioxid in der Atemluft tatsächlich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Gesundheit wird – das ist noch immer umstritten.

Verbraucherschutz ist lange Zeit vernachlässigt worden

Es geht bei diesem Thema auch um den finanziellen Schaden, den die teilweise hysterisch geführte Debatte um Dieselfahrzeuge als Hauptverursacher von hohen Stickoxid-Werten angerichtet hat. Millionen Autobesitzer mussten bereits massive Wertverluste ihrer Fahrzeuge hinnehmen. Dabei haben sie ihre Autos in dem guten Glauben gekauft, der Dieselmotor sei besser für Umwelt und Klima als ein Benziner. Sollten die in vielen Städten drohenden Fahrverbote nun tatsächlich kommen, dürfte der Wert der Diesel-Pkw noch weiter fallen.

Die Ursache für das jahrelange Stillhalten der deutschen Politik ist in einer äußerst freundlichen Haltung gegenüber den Autokonzernen zu suchen. „Kumpanei“ nennt das etwa der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Lange Zeit hat es die Politik geduldet – und überhaupt erst ermöglicht –, dass Autohersteller die auf dem Papier recht strengen Grenzwerte für den Abgasausstoß nur im Labor einhalten mussten. Millionen Autos kamen auf die Straße, die im Alltag nicht ansatzweise die Vorgaben erreichen. Oder im Fall des Dieselskandals rund um den VW-Konzern zusätzlich auch noch bewusst manipuliert worden sind.

Der Verbraucherschutz ist bei diesem Thema völlig vernachlässigt worden. Die Rechnung für den Dieselskandal zahlen bislang die Bürger. Die Klage der EU-Kommission wäre ein guter Anlass für die Bundesregierung, endlich durchzugreifen und, wie etwa von Umweltministerin Svenja Schulze gefordert, die Industrie zu Nachrüstungen verpflichten. Das bringt – sobald die Technik in Großserie produziert wird – schnell bessere Luftqualität und erhält den Wert der Fahrzeuge. Das wäre gut für geprellte Autofahrer, gut für abgasgeplagte Stadtbewohner.

Das Problem ist hausgemacht

Klar, die Zwangsumrüstung würde die Hersteller Milliarden kosten. Doch sie haben lange Zeit prächtig am Verkauf von Autos verdient, die für die dicke Luft mitverantwortlich sind. Dass die Politik hier bislang viel zu zögerlich vorging, belegt die ebenfalls von der EU-Kommission erteilte Rüge an die Bundesrepublik wegen des Umgangs mit dem Dieselskandal.

Eine Frage bleibt offen: Ist die Luft in den betroffenen Städten gar nicht so schlecht, wie Messwerte nahelegen? Haben deutsche Behörden die Messvorschriften besonders genau ausgelegt? Statt die Schadstoffbelastung in einigem Abstand zur Straße zu messen, wo sich Menschen eher aufhalten und wie es EU-Regeln vorsehen, stehen viele Stationen nah am Asphalt. Womöglich ist das Stickoxid-Problem am Ende ein hausgemachtes – das Deutschland jetzt eine Klage eingebrockt hat, die vermeidbar gewesen wäre.