Erfurt. Gesundheitsminister Spahn fordert auf dem Ärztetag eine „Mindestsprechstundenzeit“ für gesetzlich Versicherte – und erntet Empörung.

Frank-Ulrich Montgomery hat eine Vorahnung davon, wie die nächsten Monate laufen werden. „Jens Spahn und ich lassen beide keinen Streit aus, wenn es um die Sache geht“, sagt der Ärztepräsident vor Beginn des Ärztetags in eine Fernsehkamera. Und auch Spahn selbst, der Bundesgesundheitsminister, eröffnet seine Rede später mit den Worten: „Ich weiß, dass es Debatten geben wird.“ Zur Suche nach einer guten Lösung gehöre für ihn das Ringen um das richtige Argument: „Das heißt aber nicht, sich anzuschreien.“

Angeschrien haben ihn die Ärzte dann nicht. Sie haben aber sehr laut gegrummelt und sehr wenig Beifall gespendet. Seit Jahren ist kein Gesundheitsminister, zumal einer von der CDU, mit so viel Argwohn auf dem Ärztetag empfangen worden wie Spahn. Da hilft es auch nicht, als er betont: „Anders als manche Vorgängerin weiß ich, dass man gute Versorgung nur gemeinsam mit den Ärzten hinbekommen kann“ – eine Anspielung auf Ulla Schmidt (SPD), deren Verhältnis zu den Medizinern legendär schlecht war. Die Chancen, dass Spahn ihr nachfolgt, stehen nicht schlecht. Im Koalitionsvertrag stehen gleich mehrere Pläne, die den Ärzten gar nicht passen.

Gesundheitsminister hat sich schon mit fast allen Gruppen angelegt

Spahn hat sich in den sechs Wochen als Gesundheitsminister schon mit fast allen Gruppen im Gesundheitswesen angelegt. Er hat die Krankenkassen aufgefordert, nicht unnötig Geld zu horten, sondern Beiträge zu senken. Er hat den Krankenhäusern bescheinigt, nach wie vor zu viele Betten bereitzuhalten. Den Ärzten gibt er am Dienstag in Erfurt mit auf den Weg, dass das Gefühl vieler Kassenpatienten, nicht schnell genug einen Termin beim Facharzt zu bekommen, nicht nur ein Gefühl ist.

„Es geht nicht nur um gefühlte Wahrheiten“, sagt Spahn und erzählt von einem Freund, der einen gutartigen Tumor habe und erst in vier Monaten behandelt werde. Er erntet ungläubige Zwischenrufe. Ärzte würden eben doch einen Unterschied machen zwischen Kassen- und Privatpatienten, sagt Spahn und wiederholt: „Diesen Unterschied gibt es zu oft.“ Das Problem löse man nicht, indem man die private Krankenversicherung abschaffe, sondern durch Veränderungen im System der gesetzlichen Krankenkassen.

Aussicht auf mehr Geld besänftigt das Publikum

Als Spahn die Ärzte dazu „ermuntert“, wie er es nennt, sich intensiver um Kassenpatienten zu kümmern, sinkt die Stimmung im Saal. Das Wort des Ministers von einer „Mindestsprechstundenzeit“ für gesetzlich Versicherte quittieren die Mediziner mit empörtem Gemurmel. „Sie können ja zumindest darüber nachdenken, ob Sie meiner Argumentation etwas abgewinnen können“, antwortet Spahn.

Die warmen Worte, mit denen er die Mediziner zu Beginn der Rede zu umschmeicheln versucht, wirken nicht. Nur mit der Aussicht auf mehr Geld – in der Gesundheitspolitik ein zuverlässiges Heilmittel – kann der CDU-Politiker sein Publikum etwas besänftigen.

Ärztepräsident Montgomery hat Zweil an Vorhaben der Koalition

Den leicht gereizten Ton in der Auseinandersetzung setzt Ärztepräsident Montgomery, als er Spahns Formulierung aus dessen Regierungserklärung von Ärzten als „Helden des Alltags“ aufgreift und fordert: „Helden sollte man auch als solche behandeln.“ Der kampferprobte Chef der Bundesärztekammer meldet Zweifel an, ob alle im Koalitionsvertrag aufgeführten gesundheitspolitischen Pläne „wirklich zielführend“ seien.

Die von Union und SPD geplante Pflicht jedenfalls, dass Ärzte pro Woche mindestens 25 Stunden Sprechzeit für Kassenpatienten anbieten müssen, sei „eher stimmungs- als weltverändernd“.

Debatte um das Werbe­ver­bot für Schwangerschaftsabbrüche

In der Debatte um das Werbe­ver­bot für Schwangerschaftsabbrüche hingegen mahnt Montgomery zur Sachlichkeit: „Wir brauchen klare Verhältnisse.“ Konkret schlägt er „ein leicht zugängliches Internetportal“ vor, auf dem man sich über den Eingriff als solchen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Beratungsmöglichkeiten und „auch über die Ärzte, die den Eingriff durchführen“, informieren könne.

Die Internetseite solle von einer unabhängigen Institution eingerichtet und mit einem gesetzlichen Auftrag abgesichert sein. Ziel müsse es sein, Menschen in Not zu helfen, so der Ärztepräsident. Es solle keine „kontraproduktive Debatte“ um den Schwangerschaftsabbruch geben. Gesundheitsminister Spahn geht auf diesen Vorschlag mit keinem Wort ein. Diese Debatte will er nicht auch noch befeuern.