Berlin. Die Grünen verlieren bei einem vermeintlichen Heimspiel nach 16 Jahren das Rathaus in Freiburg. Was heißt das für die Bundespartei?

Als Dieter Salomon 2002 zum ersten Mal zum Freiburger Oberbürgermeister gewählt wurde, regierte in Berlin eine rot-grüne Koalition, Gerhard Schröder war Bundeskanzler und der SC Freiburg sah seinem Abstieg in die Zweite Liga entgegen. 16 Jahre später hat sich einiges geändert – Rot-Grün ist lange Geschichte, Altkanzler Schröder verbringt dieser Tage viel Zeit in Moskau, der SC kann, obwohl wieder am unteren Ende der Tabelle, darauf hoffen, auch nächste Saison in der Bundesliga spielen zu dürfen.

Und Dieter Salomon weiß seit Sonntag, dass er bald im Ruhestand sein wird. 30,7 Prozent für Amtsinhaber Salomon, 44,2 Prozent für Widersacher Martin Horn – nach 16 Jahren machten die Freiburger unmissverständlich klar, dass zwei Amtszeiten für den ersten grünen Oberbürgermeister einer Großstadt genug seien. Horn ist parteilos, wurde aber von der SPD unterstützt.

Wahlsieger mit blauem Auge: Martin Horn (parteilos).
Wahlsieger mit blauem Auge: Martin Horn (parteilos). © dpa | Patrick Seeger

Freiburg war lange das grüne Versuchslabor

Der 33-Jährige ist ein politischer Quereinsteiger, arbeitet bislang im Rathaus von Sindelfingen als Europa- und Entwicklungskoordinator. Auf die Freude über den Sieg folgte am Sonntag ein Schock, als ein Mann Horn auf seiner Wahlparty angriff und ihm die Nase brach. Die Attacke soll nicht politisch motiviert sein. Horn zeigte sich trotzdem gut gelaunt und kehrte nach einer Behandlung zur Party zurück.

Weniger gut gelaunt war Noch-Bürgermeister Salomon. „Ich muss das jetzt nicht mehr analysieren, weil es vorbei ist“, sagte der 57-Jährige nach der Wahl Reportern, seine Stimme klang müde. Doch zumindest die Partei wird um eine Analyse nicht herumkommen. Denn der Südwesten war lange grünes Versuchslabor und Vorzeigeecke der Partei zugleich: Schaut her, schienen die Erfolge zu sagen, wir können auch regieren.

Winfried Kretschmann war der erste grüne Landesvater

Nach Salomon kamen Boris Palmer als Oberbürgermeister in Tübingen, Winfried Kretschmann als Ministerpräsident und Fritz Kuhn als Oberbürgermeister in Stuttgart. Baden-Württemberg, ein Paradies für Grüne.

Palmer hat sich bei seiner Partei mit Tönen, die eher nach CSU oder gar AfD klingen, inzwischen gehörig unbeliebt gemacht; Kretschmann kämpft seit einer gescheiterten Wahlrechtsreform darum, in Stuttgart die grün-schwarze Koalition zusammenzuhalten. Ist Salomons Schicksal ein Vorausblick auf das, was andere Grüne an den Hebeln der Macht erwartet?

Die Grünen haben die Wechselstimmung nicht erkannt

Nicht unbedingt, sagt Christoph Becker-Schaum, Forscher am Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam. „Salomon war jetzt 16 Jahre lang Bürgermeister, so lange war Kohl Kanzler“, sagt Becker-Schaum, der lange das Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung leitete. „Er kommt aus einer anderen Zeit.“ Wenn man den Grünen in Freiburg etwas vorwerfen könne, so Becker-Schaum, dann dass sie die Wechselstimmung in der Stadt nicht erkannt hätten: „Man hätte sich überlegen können, ob man nicht einen anderen grünen Kandidaten aufstellt. Wo ist der Nachwuchs?“

Im Norden konnten die Grünen am Wochenende feiern

Der Verlust des Rathauses, so der Wissenschaftler, wäre abwendbar gewesen. Trotzdem sieht Becker-Schaum in der Wahl im Breisgau kein Menetekel für die Grünen im Bund. „Ich glaube, dass die Bundespartei nach diesem Wochenende eher Rückenwind aus Schleswig-Holstein spürt als Gegenwind aus Freiburg.“

Denn während die Partei im Südwesten eine ihrer Galionsfiguren verlor, konnten die Grünen im Norden am Wochenende feiern: Bei den Kommunalwahlen wurden sie nach CDU und SPD drittstärkste Kraft, mit 16,5 Prozent – 2,8 Prozent mehr als bei den vorigen Kommunalwahlen und ganze 7,6 Prozent mehr als bei der Bundestagswahl.

Die Grünen sind an acht Länderregierungen beteiligt

In Schleswig-Holstein ist die Partei als Teil eines Jamaika-Bündnisses auch in der Regierung – ebenso wie in mittlerweile sieben anderen Bundesländern. Wenn es nach der Partei geht, soll diese Liste bald um ein neues Land erweitert werden. Bei der Landtagswahl in Bayern im Oktober heißt das Ziel: Regierungsbeteiligung. Die neuesten Umfragen sehen die Partei im Freistaat mit 14 Prozent als zweitstärkste Kraft.

Grünen-Chef Robert Habeck bemühte sich denn auch am Montag, klarzumachen, dass die Parteispitze Salomons Scheitern hauptsächlich als Freiburger Angelegenheit betrachtet. Das Ergebnis schmerze, sagte Habeck, aber: „Lassen wir auch mal das Münster in Freiburg. Die Niederlage hat in erster Linie mit lokalen Entwicklungen zu tun.“

Die Partei sei „locker“ in der Lage, Erfolge zu erzielen, so der Co-Vorsitzende. Grüne Politik zeichne sich dadurch aus, dass sie klar für Veränderung eintrete und gleichzeitig die Gesellschaft stabilisiere. „Veränderungen sind kein Selbstzweck“, erklärte Habeck. „Wo es gelingt, beides zusammenzubringen, sind wir erfolgreich.“ In Freiburg finden Veränderungen wohl erst einmal ohne die Grünen statt.