Berlin. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind abgekühlt. Doch bis zum Sommer haben Merkel und Macron Zeit, dies zu ändern.

Was ist geblieben vom Zauber des einst hochgelobten deutsch-französischen Traumpaars Angela Merkel und Emmanuel Macron? Stimmt die Chemie noch zwischen dem leidenschaftlichen Turbo-Europäer und der sachlich-nüchternen Kanzlerin, die Trippelschritte dem großen Wurf vorzieht? Antwort: Ja, aber der Reiz der ersten Tage ist verflogen. Es herrscht weniger Romantik, dafür mehr Pragmatismus.

Als Macron im Mai 2017 in den Élysée-Palast getragen wurde, galt er als der neue Wunderknabe der EU. Der damals 39-Jährige hauchte dem an Blutarmut leidenden Europa-Projekt neuen Geist ein. Und er vertrieb mit seinem grandiosen Wahlsieg gegen den Front National die Angst vor einem gefährlich fortschreitenden Rechtspopulismus auf dem Kontinent.

Macron startete sofort eine heftige Charme-Offensive Richtung Merkel, die die Kanzlerin erst im Wahlkampf, dann in den langwierigen Koalitionsverhandlungen auf dem falschen Fuß erwischte. Gemeinsamer Haushalt und Finanzminister für die Eurozone, mehr Investitionen, eine EU-weit synchronisierte Steuer-, Asyl- und Verteidigungspolitik, höherer Schutz der Außengrenzen: Dieser hochprozentige Europa-Cocktail verschlug manchem in der CDU/CSU zunächst die Sprache, während man in der SPD und bei den Grünen fast ausflippte.

Marcon fordert Investitionen

Beim Treffen zwischen Merkel und Macron am Donnerstag waren beide um atmosphärischen Gleichklang bemüht. Doch die zum Teil gravierenden Meinungsunterschiede spiegelten sich in der Sprache wider. So redete der französische Präsident unverändert von „Visionen“ und von „einem Moment des europäischen Abenteuers, das wirklich einzigartig ist“. Die Kanzlerin forderte dagegen „eine offene Debatte und am Schluss die Fähigkeit zum Kompromiss“. Durchlauferhitzer versus Abkühlbecken.

Beide benutzten unterschiedliche Schlüsselbegriffe. Macron warb stark für „Solidarität“ und „Konvergenz“. Übersetzt: Milliardenschwere Investitionen aus der Gemeinschaftskasse sollen für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa sorgen. Merkel hingegen betonte die Vokabeln „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Stabilität“. Im Klartext: Die EU-Mitgliedstaaten müssen zunächst ihre Volkswirtschaften auf Trab und ihre Budgets ins Lot bringen, bevor Brüssel einschreitet.

Auch beim gemeinsamen Einlagensicherungsfonds, für den die Franzosen trommeln, tritt die Kanzlerin auf die Bremse. Allenfalls „in ferner Zukunft“ sei ein System denkbar, bei dem Europas Banken für Institute einspringen, die in Schieflage geraten sind, so Merkel. Der Abbau von Risiken – insbesondere in hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland oder Italien – gehe vor kollektiver Haftung.

Bis Juni können Macron und Merkel gemeinsame Themen finden

Trotz dieser Differenzen können Angela Merkel und Emmanuel Macron einen gemeinsamen Nenner finden. Dass Deutschland mehr für Europa zahlt und dabei auch Geld für Investitionen lockermacht, steht bereits im Koalitionsvertrag. Nur wird dies im Rahmen des EU-Haushalts geschehen und nicht in einem dafür extra geschaffenen Etat für die Eurozone. Damit wird Macron leben müssen und können.

Darüber hinaus werden beide bis zum EU-Gipfel im Juni genug Felder finden, bei denen sie den Schulterschluss demonstrieren können: Eine gemeinsame EU-Außenpolitik ist angesichts schwerer internationaler Krisen wie in Syrien, der Rolle des Irans in Nahost oder des von US-Präsident Donald Trump losgetretenen Zoll-Streits notwendiger denn je. Das Gleiche gilt für die Asylpolitik und den Grenzschutz. Merkel und Macron sind in den Mühen der Ebene angekommen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein.