Berlin. Die Risiken des Rauchens sind bekannt. Gesundheitspolitiker der großen Koalition fordern besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Tabakwerbung auf Plakaten und an Litfaßsäulen ist heute in allen EU-Ländern verboten. Mit einer Ausnahme: In Deutschland dürfen Zigarettenhersteller weiterhin großflächig Reklame machen. Die letzte Regierung wollte zwar ein Tabak-Werbeverbot durchsetzen, scheiterte aber am Widerstand aus den Reihen der CDU. Und jetzt?

Das Tabak-Werbeverbot taucht im Koalitionsvertrag nicht mehr auf. Im letzten Moment wurde der Passus wieder gestrichen. Doch die Befürworter eines Verbots lassen nicht locker. Die SPD will jetzt die Initiative ergreifen: „Das Tabak-Werbeverbot muss in Deutschland sofort umgesetzt werden“, fordert SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach gegenüber dieser Zeitung. „Es spricht nichts dagegen – mit Ausnahme des Drucks der Tabakindustrie.“

Für die Tabakwirtschaft ist Deutschland ein wichtiger Markt

Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung kämpft weiter für ein Werbeverbot: „Tabakaußenwerbung hat in einem modernen, gesundheitsbewussten Land nichts zu suchen“, sagt Marlene Mortler (CSU) dieser Redaktion. „Unser Ziel muss es sein, Jugendliche davon abzuhalten, mit dem Rauchen zu beginnen. Da können wir nicht zuschauen, wenn auf der Straße mit Millionenaufwand für neue Tabakprodukte und damit auch für das Rauchen geworben wird.“

Jeder vierte Deutsche greift regelmäßig zur Zigarette – das ist deutlich mehr als in den meisten westeuropäischen Ländern. Für die Tabakwirtschaft ist Deutschland ein wichtiger Markt. In den Augen der Verbots-Befürworter liegt es vor allem an deren Einfluss, dass Deutschland als einziges EU-Land noch kein umfassendes Werbeverbot hat.

Die Unionsfraktion hat den Gesetzentwurf bisher blockiert

„Der Druck der Lobbygruppen scheint in diesem Fall besonders bei der Fraktionsspitze von CDU und CSU zu fruchten“, ärgert sich Lauterbach. Der Widerstand gegen ein Werbeverbot ist dort jedenfalls massiv: Der Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett im April 2016 verabschiedet hatte, wurde so lange blockiert, bis die Wahlperiode zu Ende war.

Düpiert war nicht nur die Drogenbeauftragte. Auch die beiden Minister für Gesundheit und Verbraucherschutz, Hermann Gröhe (CDU) und Christian Schmidt (CSU), beide Befürworter eines Verbots, standen am Ende mit leeren Händen da.

Ministerin Klöckner hält nichts von einem Verbot

Wie zum Hohn startete der Tabakkonzern Philip Morris gleichzeitig eine breite Werbekampagne für seinen neuen Tabakerhitzer, die jetzt überall auf Plakatwänden zu sehen ist. Wäre das Gesetz in Kraft getreten, wäre solche Werbung zumindest ab 2020 verboten gewesen.

Noch heute steht Schmidts Plädoyer für ein Werbeverbot auf der Internetseite des Ministeriums. Schmidt ist jedoch nicht mehr Minister und seine Nachfolgerin Julia Klöckner (CDU) hält nichts von einem Werbeverbot. Ihr Argument: Wenn ein Produkt erlaubt ist, sollte auch die Werbung dafür erlaubt sein.

Die Linke wirft der Regierung einen „Völkerrechtsbruch“ vor

Verbots-Befürworter Lauterbach setzt deshalb nun auf Klöckners Kabinettskollegen: „Ich fordere Gesundheitsminister Spahn auf, sich genauso stark für ein Tabak-Werbeverbot einzusetzen wie sein Vorgänger.“ Spahn habe sich intern bereits öfter positiv zu einem Werbeverbot geäußert, heißt es in seinem Umfeld. Doch öffentlich äußern wollte er sich auf Anfrage dieser Redaktion dazu nicht.

Die Linksfraktion wirft der Regierung inzwischen „Völkerrechtsbruch“ vor: Der Bundestag habe die Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über ein umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung ratifiziert, setze dies aber nicht um.

Kinder sind die „wertvollsten Kunden für die Tabakindustrie“

„Die Tabakindustrie erkauft sich seit Jahren das Wohlgefallen der Politik und verhindert so umfassende Werbeverbote“, sagt der drogenpolitische Sprecher Niema Movassat. Zwischen 2010 und 2015 habe allein der Tabakkonzern Philip Morris 544.000 Euro für Parteievents von CDU, CSU, SPD und FDP sowie deren parteinahe Organisationen gezahlt.

Für Gesundheitspolitiker wie Lauterbach geht es beim Kampf für das Werbeverbot vor allem um den Schutz von Kindern und Jugendlichen: „Sie sind die wertvollsten Kunden für die Tabakindustrie“, sagt der Mediziner. Studien zeigen: Solange das Gehirn noch in der Entwicklung ist, sind Menschen besonders anfällig für eine Sucht. Die Folge: „Wer im jugendlichen Alter mit dem Rauchen anfängt, bringt der Tabakindustrie oft jahrzehntelang Profit“, warnt Lauterbach.

Elektronische Zigaretten führen oft zur Nikotin-Variante

Die vorherige Bundesregierung wollte deshalb nicht nur Außenwerbung für Tabakerzeugnisse und E-Zigaretten verbieten, sondern das Verbot auch ausdrücklich auf nikotinfreie elektronische Zigaretten ausdehnen. Denn: Experten warnen seit Langem, dass Kinder und Jugendliche sich durch den Konsum von scheinbar ungefährlichen Produkten ans regelmäßige Rauchen gewöhnen und später dann auch zu nikotinhaltigen Produkten greifen.

Eine neue Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat den Zusammenhang gerade erst für Zehntklässler gezeigt: Dazu wurden rund 2200 Jugendliche, die bislang keine Tabakerzeugnisse geraucht hatten, über sechs Monate beobachtet.

Jugendliche reagieren stärken auf Werbung als Erwachsene

„Die Studienergebnisse zeigen eindeutig: jugendliche Nie-Raucher experimentieren häufiger mit konventionellen Zigaretten, wenn sie zuvor E-Zigaretten konsumiert hatten“, sagt Studienautor Reiner Hanewinkel. Forscher der Universität Düsseldorf bestätigen zudem ein deutliches soziales Gefälle beim Rauchverhalten: „Je niedriger Schulabschluss und Einkommen sind, desto höher der Raucheranteil“, sagte der Düsseldorfer Suchtforscher Daniel Kotz dem „Spiegel“.

Auch die Wirkung von Tabakwerbung auf Jugendliche ist gut erforscht. Sie ist deswegen besonders groß, weil sich junge Menschen überproportional häufig im öffentlichen Raum bewegen, etwa an Bus- und Bahnhaltestellen mit viel Außenwerbung. Sie suchen zudem mehr als Ältere nach Orientierung – ein Bedürfnis, auf das die Werbung reagiert, indem sie nicht nur ein Produkt anpreist, sondern gleichzeitig auch ein positives Lebensgefühl.

Die Wirkung der Werbung ist bewiesen

Nach Angaben der Drogenbeauftragten ist sogar ein Dosis-Wirkung-Zusammenhang nachweisbar: Je mehr Tabakwerbung junge Menschen ausgesetzt sind, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit dem Rauchen beginnen.